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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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storbene sie einst als geschmückte Braut gemalt
in aller ihrer Schönheit, bewahrte sie an einem
altarähnlichen Platze und betete das Bild unver¬
drossen an. Sonst war die achtzehnjährige Toch¬
ter Agnes der einzige ästhetische Nachlaß des
Mannes, und man bedauerte bei ihrem Anblick
den Aermsten, daß er dieses sein bestes Kunstwerk
nicht selber mehr sehen konnte, und man bedauerte
um so tiefer, als die Wittwe gar kein Auge für
das liebliche Wunder zu haben schien, sondern,
in die Betrachtung ihrer eigenen früheren Schön¬
heit versunken, die zarte Blume des Kindes
schwanken und blühen ließ wie sie eben wollte.

Von einer Schulter zur andern, mit Inbegriff
beider, war Agnes kaum eine Spanne breit, aber
Hals und Schultern waren bei aller Feinheit wie
aus Elfenbein gedrechselt und rund, wie die zwei
kleinen vollkommenen Brüstchen, und wie die
schlanken Arme, deren Ellbogen bei aller Schlänke
ein anmuthiges Grübchen zeigten. Bis zu den
Hüften wurde der Leib immer schlangenartiger
und selbst die Hüften verursachten eine fast un¬
merkliche Wölbung; aber diese war so schön, daß

ſtorbene ſie einſt als geſchmuͤckte Braut gemalt
in aller ihrer Schoͤnheit, bewahrte ſie an einem
altaraͤhnlichen Platze und betete das Bild unver¬
droſſen an. Sonſt war die achtzehnjaͤhrige Toch¬
ter Agnes der einzige aͤſthetiſche Nachlaß des
Mannes, und man bedauerte bei ihrem Anblick
den Aermſten, daß er dieſes ſein beſtes Kunſtwerk
nicht ſelber mehr ſehen konnte, und man bedauerte
um ſo tiefer, als die Wittwe gar kein Auge fuͤr
das liebliche Wunder zu haben ſchien, ſondern,
in die Betrachtung ihrer eigenen fruͤheren Schoͤn¬
heit verſunken, die zarte Blume des Kindes
ſchwanken und bluͤhen ließ wie ſie eben wollte.

Von einer Schulter zur andern, mit Inbegriff
beider, war Agnes kaum eine Spanne breit, aber
Hals und Schultern waren bei aller Feinheit wie
aus Elfenbein gedrechſelt und rund, wie die zwei
kleinen vollkommenen Bruͤſtchen, und wie die
ſchlanken Arme, deren Ellbogen bei aller Schlaͤnke
ein anmuthiges Gruͤbchen zeigten. Bis zu den
Huͤften wurde der Leib immer ſchlangenartiger
und ſelbſt die Huͤften verurſachten eine faſt un¬
merkliche Woͤlbung; aber dieſe war ſo ſchoͤn, daß

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[218/0228] ſtorbene ſie einſt als geſchmuͤckte Braut gemalt in aller ihrer Schoͤnheit, bewahrte ſie an einem altaraͤhnlichen Platze und betete das Bild unver¬ droſſen an. Sonſt war die achtzehnjaͤhrige Toch¬ ter Agnes der einzige aͤſthetiſche Nachlaß des Mannes, und man bedauerte bei ihrem Anblick den Aermſten, daß er dieſes ſein beſtes Kunſtwerk nicht ſelber mehr ſehen konnte, und man bedauerte um ſo tiefer, als die Wittwe gar kein Auge fuͤr das liebliche Wunder zu haben ſchien, ſondern, in die Betrachtung ihrer eigenen fruͤheren Schoͤn¬ heit verſunken, die zarte Blume des Kindes ſchwanken und bluͤhen ließ wie ſie eben wollte. Von einer Schulter zur andern, mit Inbegriff beider, war Agnes kaum eine Spanne breit, aber Hals und Schultern waren bei aller Feinheit wie aus Elfenbein gedrechſelt und rund, wie die zwei kleinen vollkommenen Bruͤſtchen, und wie die ſchlanken Arme, deren Ellbogen bei aller Schlaͤnke ein anmuthiges Gruͤbchen zeigten. Bis zu den Huͤften wurde der Leib immer ſchlangenartiger und ſelbſt die Huͤften verurſachten eine faſt un¬ merkliche Woͤlbung; aber dieſe war ſo ſchoͤn, daß

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/228>, abgerufen am 27.04.2024.