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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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derben wolle, ergab sich bald eine Gelegenheit
für ihr mütterliches Einschreiten. Es wurde eine
große Hochzeit gefeiert auf dem Rathhause und
das neu vermählte Paar gehörte den geräusch¬
vollsten und lustigsten Kreisen an, die gerade im
Flor waren. Wie an anderen Orten der Schweiz,
giebt es an den Hochzeiten zu Seldwyl, wenn
Bankett und Ball am Abend Statt finden, zwei¬
erlei Gäste: die eigentlichen geladenen Hochzeitgäste
und dann die Freunde oder Verwandten dieser,
welche denselben scherzhafte Hochzeit- oder Tafel¬
geschenke überbringen mit allerlei Witzen, Ge¬
dichten und Anspielungen. Sie verkleiden sich zu
diesem Ende hin in allerhand lustige Trachten,
welche dem zu überbringenden Geschenke entsprechen
und sind maskirt, indem jeder seinen Freund oder
seine Verwandte aufsucht, sich hinter deren Stuhl
stellt, seine Gabe überreicht und seine Rede hält.
Fritz Amrain hatte sich schon vorgenommen, einem
kleinen Bäschen einige Geschenke zu bringen und
die Mutter nichts dagegen gehabt, da das Mädchen
noch sehr jung und sonst wohlgeartet war. Allein
weniger das Bäschen lockte ihn, als ein dunkles
Verlangen, sich unter den lustigen Damen von

derben wolle, ergab ſich bald eine Gelegenheit
für ihr mütterliches Einſchreiten. Es wurde eine
große Hochzeit gefeiert auf dem Rathhauſe und
das neu vermählte Paar gehörte den geräuſch¬
vollſten und luſtigſten Kreiſen an, die gerade im
Flor waren. Wie an anderen Orten der Schweiz,
giebt es an den Hochzeiten zu Seldwyl, wenn
Bankett und Ball am Abend Statt finden, zwei¬
erlei Gäſte: die eigentlichen geladenen Hochzeitgäſte
und dann die Freunde oder Verwandten dieſer,
welche denſelben ſcherzhafte Hochzeit- oder Tafel¬
geſchenke überbringen mit allerlei Witzen, Ge¬
dichten und Anſpielungen. Sie verkleiden ſich zu
dieſem Ende hin in allerhand luſtige Trachten,
welche dem zu überbringenden Geſchenke entſprechen
und ſind maskirt, indem jeder ſeinen Freund oder
ſeine Verwandte aufſucht, ſich hinter deren Stuhl
ſtellt, ſeine Gabe überreicht und ſeine Rede hält.
Fritz Amrain hatte ſich ſchon vorgenommen, einem
kleinen Bäschen einige Geſchenke zu bringen und
die Mutter nichts dagegen gehabt, da das Mädchen
noch ſehr jung und ſonſt wohlgeartet war. Allein
weniger das Bäſchen lockte ihn, als ein dunkles
Verlangen, ſich unter den luſtigen Damen von

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[139/0151] derben wolle, ergab ſich bald eine Gelegenheit für ihr mütterliches Einſchreiten. Es wurde eine große Hochzeit gefeiert auf dem Rathhauſe und das neu vermählte Paar gehörte den geräuſch¬ vollſten und luſtigſten Kreiſen an, die gerade im Flor waren. Wie an anderen Orten der Schweiz, giebt es an den Hochzeiten zu Seldwyl, wenn Bankett und Ball am Abend Statt finden, zwei¬ erlei Gäſte: die eigentlichen geladenen Hochzeitgäſte und dann die Freunde oder Verwandten dieſer, welche denſelben ſcherzhafte Hochzeit- oder Tafel¬ geſchenke überbringen mit allerlei Witzen, Ge¬ dichten und Anſpielungen. Sie verkleiden ſich zu dieſem Ende hin in allerhand luſtige Trachten, welche dem zu überbringenden Geſchenke entſprechen und ſind maskirt, indem jeder ſeinen Freund oder ſeine Verwandte aufſucht, ſich hinter deren Stuhl ſtellt, ſeine Gabe überreicht und ſeine Rede hält. Fritz Amrain hatte ſich ſchon vorgenommen, einem kleinen Bäschen einige Geſchenke zu bringen und die Mutter nichts dagegen gehabt, da das Mädchen noch ſehr jung und ſonſt wohlgeartet war. Allein weniger das Bäſchen lockte ihn, als ein dunkles Verlangen, ſich unter den luſtigen Damen von

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/151>, abgerufen am 30.04.2024.