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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Seldwyl einmal recht herumzutummeln, deren
Fröhlichkeit, wenn Viele beisammen waren, ihm
schon oft sehr anmuthig geschildert worden. Er
war nur noch unschlüssig, welche Verkleidung er
wählen sollte, um auf der Hochzeit zu erscheinen,
und erst am Abend entschloß er sich auf den
Rath einiger Bekannten, sich als Frauenzimmer
zu kleiden. Seine Mutter war eben ausgegan¬
gen, als er mit diesem lustigen Vorsatz nach
Hause gelaufen kam und denselben sogleich in's
Werk setzte. Ohne Schlimmes zu ahnen, gerieth
er über den Kleiderschrank seiner Mutter und
warf da so lange Alles durcheinander, von einem
lachenden Dienstmädchen unterstützt, bis er die
besten und buntesten Toilettenstücke zusammen¬
gesucht und sich angeeignet hatte. Er zog das
schönste und beste Kleid der Mutter an, das sie
selbst nur bei feierlichen Gelegenheiten trug, und
wühlte dazu aus den reichlichen Schachteln Krau¬
sen, Bänder und sonstigen Putz hervor. Zum
Überfluß hing er sich noch die Halskette der
Mutter um und zog so, aus dem Gröbsten ge¬
putzt, zu seinen Genossen, die sich inzwischen
ebenfalls angekleidet. Dort vollendeten zwei

Seldwyl einmal recht herumzutummeln, deren
Fröhlichkeit, wenn Viele beiſammen waren, ihm
ſchon oft ſehr anmuthig geſchildert worden. Er
war nur noch unſchlüſſig, welche Verkleidung er
wählen ſollte, um auf der Hochzeit zu erſcheinen,
und erſt am Abend entſchloß er ſich auf den
Rath einiger Bekannten, ſich als Frauenzimmer
zu kleiden. Seine Mutter war eben ausgegan¬
gen, als er mit dieſem luſtigen Vorſatz nach
Hauſe gelaufen kam und denſelben ſogleich in's
Werk ſetzte. Ohne Schlimmes zu ahnen, gerieth
er über den Kleiderſchrank ſeiner Mutter und
warf da ſo lange Alles durcheinander, von einem
lachenden Dienſtmädchen unterſtützt, bis er die
beſten und bunteſten Toilettenſtücke zuſammen¬
geſucht und ſich angeeignet hatte. Er zog das
ſchönſte und beſte Kleid der Mutter an, das ſie
ſelbſt nur bei feierlichen Gelegenheiten trug, und
wühlte dazu aus den reichlichen Schachteln Krau¬
ſen, Bänder und ſonſtigen Putz hervor. Zum
Überfluß hing er ſich noch die Halskette der
Mutter um und zog ſo, aus dem Gröbſten ge¬
putzt, zu ſeinen Genoſſen, die ſich inzwiſchen
ebenfalls angekleidet. Dort vollendeten zwei

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[140/0152] Seldwyl einmal recht herumzutummeln, deren Fröhlichkeit, wenn Viele beiſammen waren, ihm ſchon oft ſehr anmuthig geſchildert worden. Er war nur noch unſchlüſſig, welche Verkleidung er wählen ſollte, um auf der Hochzeit zu erſcheinen, und erſt am Abend entſchloß er ſich auf den Rath einiger Bekannten, ſich als Frauenzimmer zu kleiden. Seine Mutter war eben ausgegan¬ gen, als er mit dieſem luſtigen Vorſatz nach Hauſe gelaufen kam und denſelben ſogleich in's Werk ſetzte. Ohne Schlimmes zu ahnen, gerieth er über den Kleiderſchrank ſeiner Mutter und warf da ſo lange Alles durcheinander, von einem lachenden Dienſtmädchen unterſtützt, bis er die beſten und bunteſten Toilettenſtücke zuſammen¬ geſucht und ſich angeeignet hatte. Er zog das ſchönſte und beſte Kleid der Mutter an, das ſie ſelbſt nur bei feierlichen Gelegenheiten trug, und wühlte dazu aus den reichlichen Schachteln Krau¬ ſen, Bänder und ſonſtigen Putz hervor. Zum Überfluß hing er ſich noch die Halskette der Mutter um und zog ſo, aus dem Gröbſten ge¬ putzt, zu ſeinen Genoſſen, die ſich inzwiſchen ebenfalls angekleidet. Dort vollendeten zwei

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/152>, abgerufen am 29.04.2024.