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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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sich an ihr rächte. Dann folgte, außer zwei
oder drei aufgeweckten Wesen, welche ohne wei¬
tere Begründungen schlechtweg thaten was sie
mochten, die stille Theresa Gut, welche äußerst
theilnahmlos weder rechts noch links sah, Nie¬
mandem entgegen kam und kaum antwortete,
wenn man sie anredete, welche aber, zufällig in
ein Abenteuer verwickelt und angegriffen, uner¬
warteter Weise lachte wie eine Närrin und alles
geschehen ließ. Endlich saß auch dort das leicht¬
sinnige Käthchen Amhag, welches immer eine
Menge heimlicher Schulden zu tragen hatte.

Als Frau Amrain die Beschaffenheit dieses
weiblichen Kreises erkannte, wollte sie eben Gott
danken, daß ihr Sohn wenigstens auch da nicht
zu erblicken sei, als sie noch eine weibliche Ge¬
stalt zwischen ihnen entdeckte, die sie im ersten
Augenblicke nicht kannte, obgleich sie dieselbe
schon gesehen zu haben glaubte. Es war ein
großes prächtig gewachsenes Wesen von amazo¬
nenhafter Haltung und mit einem kecken blonden
Lockenkopfe, das aber hold verschämt und ver¬
liebt unter den lustigen Frauen saß und von
ihnen sehr aufmerksam behandelt wurde. Beim

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ſich an ihr rächte. Dann folgte, außer zwei
oder drei aufgeweckten Weſen, welche ohne wei¬
tere Begründungen ſchlechtweg thaten was ſie
mochten, die ſtille Thereſa Gut, welche äußerſt
theilnahmlos weder rechts noch links ſah, Nie¬
mandem entgegen kam und kaum antwortete,
wenn man ſie anredete, welche aber, zufällig in
ein Abenteuer verwickelt und angegriffen, uner¬
warteter Weiſe lachte wie eine Närrin und alles
geſchehen ließ. Endlich ſaß auch dort das leicht¬
ſinnige Käthchen Amhag, welches immer eine
Menge heimlicher Schulden zu tragen hatte.

Als Frau Amrain die Beſchaffenheit dieſes
weiblichen Kreiſes erkannte, wollte ſie eben Gott
danken, daß ihr Sohn wenigſtens auch da nicht
zu erblicken ſei, als ſie noch eine weibliche Ge¬
ſtalt zwiſchen ihnen entdeckte, die ſie im erſten
Augenblicke nicht kannte, obgleich ſie dieſelbe
ſchon geſehen zu haben glaubte. Es war ein
großes prächtig gewachſenes Weſen von amazo¬
nenhafter Haltung und mit einem kecken blonden
Lockenkopfe, das aber hold verſchämt und ver¬
liebt unter den luſtigen Frauen ſaß und von
ihnen ſehr aufmerkſam behandelt wurde. Beim

10 *
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[147/0159] ſich an ihr rächte. Dann folgte, außer zwei oder drei aufgeweckten Weſen, welche ohne wei¬ tere Begründungen ſchlechtweg thaten was ſie mochten, die ſtille Thereſa Gut, welche äußerſt theilnahmlos weder rechts noch links ſah, Nie¬ mandem entgegen kam und kaum antwortete, wenn man ſie anredete, welche aber, zufällig in ein Abenteuer verwickelt und angegriffen, uner¬ warteter Weiſe lachte wie eine Närrin und alles geſchehen ließ. Endlich ſaß auch dort das leicht¬ ſinnige Käthchen Amhag, welches immer eine Menge heimlicher Schulden zu tragen hatte. Als Frau Amrain die Beſchaffenheit dieſes weiblichen Kreiſes erkannte, wollte ſie eben Gott danken, daß ihr Sohn wenigſtens auch da nicht zu erblicken ſei, als ſie noch eine weibliche Ge¬ ſtalt zwiſchen ihnen entdeckte, die ſie im erſten Augenblicke nicht kannte, obgleich ſie dieſelbe ſchon geſehen zu haben glaubte. Es war ein großes prächtig gewachſenes Weſen von amazo¬ nenhafter Haltung und mit einem kecken blonden Lockenkopfe, das aber hold verſchämt und ver¬ liebt unter den luſtigen Frauen ſaß und von ihnen ſehr aufmerkſam behandelt wurde. Beim 10 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/159>, abgerufen am 29.04.2024.