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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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umzugehen wüßte, weshalb sie sich mit großem
Geräusch um sie drängten, als sie sich von ihrer
Überraschung etwas erholt. Am verblüfftesten
war jedoch Fritz, welcher nicht mehr wußte, wie
er sich in dem Kleide seiner Mutter zu geber¬
den habe; denn dies war jetzt plötzlich sein erster
Schrecken und er bezog den ernsten Blick, den sie
einstweilen auf ihn geworfen, nur auf die gute
Seide dieses Kleides. Andere Bedenken waren
noch nicht ernstlich in ihm aufgestiegen, da in
der allgemeinen Lust der Scherz zu gewöhnlich und
erlaubt schien. Als Alle sich wieder gesetzt hatten
und nachdem sich Frau Amrain ein Viertelstündchen
freundlich mit den jungen Leuten unterhalten,
winkte sie ihren Sohn zu sich und sagte ihm,
er möchte sie nach Hause begleiten, da sie gehen
wolle. Als er sich dazu ganz bereit erklärte,
flüsterte sie ihm aber mit strengem Tone zu:
Wenn ich von einem Weibe will begleitet sein,
so konnte ich die Grete hier behalten, die mir
hergeleuchtet hat! Du wirst so gut sein und
erst heim laufen, um Kleider anzuziehen, die Dir
besser stehen, als diese hier!

Erst jetzt merkte er, daß die Sache nicht

umzugehen wüßte, weshalb ſie ſich mit großem
Geräuſch um ſie drängten, als ſie ſich von ihrer
Überraſchung etwas erholt. Am verblüffteſten
war jedoch Fritz, welcher nicht mehr wußte, wie
er ſich in dem Kleide ſeiner Mutter zu geber¬
den habe; denn dies war jetzt plötzlich ſein erſter
Schrecken und er bezog den ernſten Blick, den ſie
einſtweilen auf ihn geworfen, nur auf die gute
Seide dieſes Kleides. Andere Bedenken waren
noch nicht ernſtlich in ihm aufgeſtiegen, da in
der allgemeinen Luſt der Scherz zu gewöhnlich und
erlaubt ſchien. Als Alle ſich wieder geſetzt hatten
und nachdem ſich Frau Amrain ein Viertelſtündchen
freundlich mit den jungen Leuten unterhalten,
winkte ſie ihren Sohn zu ſich und ſagte ihm,
er möchte ſie nach Hauſe begleiten, da ſie gehen
wolle. Als er ſich dazu ganz bereit erklärte,
flüſterte ſie ihm aber mit ſtrengem Tone zu:
Wenn ich von einem Weibe will begleitet ſein,
ſo konnte ich die Grete hier behalten, die mir
hergeleuchtet hat! Du wirſt ſo gut ſein und
erſt heim laufen, um Kleider anzuziehen, die Dir
beſſer ſtehen, als dieſe hier!

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[149/0161] umzugehen wüßte, weshalb ſie ſich mit großem Geräuſch um ſie drängten, als ſie ſich von ihrer Überraſchung etwas erholt. Am verblüffteſten war jedoch Fritz, welcher nicht mehr wußte, wie er ſich in dem Kleide ſeiner Mutter zu geber¬ den habe; denn dies war jetzt plötzlich ſein erſter Schrecken und er bezog den ernſten Blick, den ſie einſtweilen auf ihn geworfen, nur auf die gute Seide dieſes Kleides. Andere Bedenken waren noch nicht ernſtlich in ihm aufgeſtiegen, da in der allgemeinen Luſt der Scherz zu gewöhnlich und erlaubt ſchien. Als Alle ſich wieder geſetzt hatten und nachdem ſich Frau Amrain ein Viertelſtündchen freundlich mit den jungen Leuten unterhalten, winkte ſie ihren Sohn zu ſich und ſagte ihm, er möchte ſie nach Hauſe begleiten, da ſie gehen wolle. Als er ſich dazu ganz bereit erklärte, flüſterte ſie ihm aber mit ſtrengem Tone zu: Wenn ich von einem Weibe will begleitet ſein, ſo konnte ich die Grete hier behalten, die mir hergeleuchtet hat! Du wirſt ſo gut ſein und erſt heim laufen, um Kleider anzuziehen, die Dir beſſer ſtehen, als dieſe hier! Erſt jetzt merkte er, daß die Sache nicht

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/161>, abgerufen am 29.04.2024.