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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Beredtsamkeit besitzen in einer Sache, die es sel¬
ber nicht viel kümmerte, oder mochte der junge
Mann nicht gesonnen sein, sich in ihr eine neue
Erzieherin zu nähren und groß zu ziehen, genug
er ging an dem betreffenden Morgen in aller
Frühe in seinen Steinbruch hinaus und schaffte
dort in der warmen Maisonne so eifrig und
ernsthaft herum, als ob an diesem einen Tage
noch alle Arbeit der Welt abgethan werden müßte
und nie wieder die Sonne aufginge hernach.
Da ward seine Mutter ungehalten und setzte
ihren Kopf darauf, daß er dennoch in die Kirche
gehen müsse; und sie band ihre immer noch
glänzend schwarzen Zöpfe auf, nahm einen brei¬
ten Strohhut darüber und Fritzens Rock und
Hut an den Arm und wanderte rasch hinter das
Städtchen hinaus, wo der weitläufige Steinbruch
an der Höhe lag. Als sie den langen krummen
Fahrweg hinan stieg, auf welchem die Steinlasten
herabgebracht wurden, bemerkte sie, wie tief der
Bruch seit zwanzig Jahren in den Berg hinein
gegangen, und überschlug das unzweifelhafte gute
Erbthum, das sie erworben und zusammengehal¬
ten. Auf verschiedenen Abstufungen hämmerten

Beredtſamkeit beſitzen in einer Sache, die es ſel¬
ber nicht viel kümmerte, oder mochte der junge
Mann nicht geſonnen ſein, ſich in ihr eine neue
Erzieherin zu nähren und groß zu ziehen, genug
er ging an dem betreffenden Morgen in aller
Frühe in ſeinen Steinbruch hinaus und ſchaffte
dort in der warmen Maiſonne ſo eifrig und
ernſthaft herum, als ob an dieſem einen Tage
noch alle Arbeit der Welt abgethan werden müßte
und nie wieder die Sonne aufginge hernach.
Da ward ſeine Mutter ungehalten und ſetzte
ihren Kopf darauf, daß er dennoch in die Kirche
gehen müſſe; und ſie band ihre immer noch
glänzend ſchwarzen Zöpfe auf, nahm einen brei¬
ten Strohhut darüber und Fritzens Rock und
Hut an den Arm und wanderte raſch hinter das
Städtchen hinaus, wo der weitläufige Steinbruch
an der Höhe lag. Als ſie den langen krummen
Fahrweg hinan ſtieg, auf welchem die Steinlaſten
herabgebracht wurden, bemerkte ſie, wie tief der
Bruch ſeit zwanzig Jahren in den Berg hinein
gegangen, und überſchlug das unzweifelhafte gute
Erbthum, das ſie erworben und zuſammengehal¬
ten. Auf verſchiedenen Abſtufungen hämmerten

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[186/0198] Beredtſamkeit beſitzen in einer Sache, die es ſel¬ ber nicht viel kümmerte, oder mochte der junge Mann nicht geſonnen ſein, ſich in ihr eine neue Erzieherin zu nähren und groß zu ziehen, genug er ging an dem betreffenden Morgen in aller Frühe in ſeinen Steinbruch hinaus und ſchaffte dort in der warmen Maiſonne ſo eifrig und ernſthaft herum, als ob an dieſem einen Tage noch alle Arbeit der Welt abgethan werden müßte und nie wieder die Sonne aufginge hernach. Da ward ſeine Mutter ungehalten und ſetzte ihren Kopf darauf, daß er dennoch in die Kirche gehen müſſe; und ſie band ihre immer noch glänzend ſchwarzen Zöpfe auf, nahm einen brei¬ ten Strohhut darüber und Fritzens Rock und Hut an den Arm und wanderte raſch hinter das Städtchen hinaus, wo der weitläufige Steinbruch an der Höhe lag. Als ſie den langen krummen Fahrweg hinan ſtieg, auf welchem die Steinlaſten herabgebracht wurden, bemerkte ſie, wie tief der Bruch ſeit zwanzig Jahren in den Berg hinein gegangen, und überſchlug das unzweifelhafte gute Erbthum, das ſie erworben und zuſammengehal¬ ten. Auf verſchiedenen Abſtufungen hämmerten

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/198>, abgerufen am 29.04.2024.