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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Blöde endlich anhalten würde. Aber wie ist denn das?
Sie wäre ja schon verheirathet und könnte den Schuh¬
macher nicht mehr nehmen? Aber sie ist ja nicht die Regina,
welche den Amerikaner hat, sondern das ledige Bärbchen!
Aber nun ist sie ja nicht reich und kann die Stiefeletten
nicht bestellen -- kurz, sie verwickelte sich ganz in dem
Garn ihrer Spekulationen, während Aennchen, das andere
Mädchen, bereits drei Köchinnen angestellt und zwei wieder
weggejagt hatte.

Da sagte Lucie: "Wenn Ihr müde seid, Ihr Mäd¬
chen, so stellt die Räder weg und geht schlafen! Die
merkwürdige Regine ist jetzt versorgt und braucht wahr¬
scheinlich nicht mehr früh aufzustehen, wie Ihr es morgen
thun müßt."

Die hübschen Dienerinnen erhoben sich ohne Zögern,
als sie dergestalt aus ihrer kurzen Träumerei geweckt
worden, und trugen gehorsam die Spinnrädchen aus dem
Zimmer.

Zu Reinhart gewendet, fuhr Lucie fort: Ich wollte
es nicht darauf ankommen lassen, daß die guten Kinder
die Kehrseite oder den Ausgang Ihrer Geschichte mit
anhören; denn so viel ich vermuthen kann, wird es nun
über die Bildung hergehen, welche an dem in Aussicht
stehenden Unheil Schuld sein soll, und da wünschte ich
denn doch nicht, daß die Mädchen gegen den gebildeten
Frauenstand aufsätzig würden!"

"Ich überlege soeben," erwiderte Reinhart lächelnd,

Blöde endlich anhalten würde. Aber wie iſt denn das?
Sie wäre ja ſchon verheirathet und könnte den Schuh¬
macher nicht mehr nehmen? Aber ſie iſt ja nicht die Regina,
welche den Amerikaner hat, ſondern das ledige Bärbchen!
Aber nun iſt ſie ja nicht reich und kann die Stiefeletten
nicht beſtellen — kurz, ſie verwickelte ſich ganz in dem
Garn ihrer Spekulationen, während Aennchen, das andere
Mädchen, bereits drei Köchinnen angeſtellt und zwei wieder
weggejagt hatte.

Da ſagte Lucie: „Wenn Ihr müde ſeid, Ihr Mäd¬
chen, ſo ſtellt die Räder weg und geht ſchlafen! Die
merkwürdige Regine iſt jetzt verſorgt und braucht wahr¬
ſcheinlich nicht mehr früh aufzuſtehen, wie Ihr es morgen
thun müßt.“

Die hübſchen Dienerinnen erhoben ſich ohne Zögern,
als ſie dergeſtalt aus ihrer kurzen Träumerei geweckt
worden, und trugen gehorſam die Spinnrädchen aus dem
Zimmer.

Zu Reinhart gewendet, fuhr Lucie fort: Ich wollte
es nicht darauf ankommen laſſen, daß die guten Kinder
die Kehrſeite oder den Ausgang Ihrer Geſchichte mit
anhören; denn ſo viel ich vermuthen kann, wird es nun
über die Bildung hergehen, welche an dem in Ausſicht
ſtehenden Unheil Schuld ſein ſoll, und da wünſchte ich
denn doch nicht, daß die Mädchen gegen den gebildeten
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„Ich überlege ſoeben,“ erwiderte Reinhart lächelnd,

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[93/0103] Blöde endlich anhalten würde. Aber wie iſt denn das? Sie wäre ja ſchon verheirathet und könnte den Schuh¬ macher nicht mehr nehmen? Aber ſie iſt ja nicht die Regina, welche den Amerikaner hat, ſondern das ledige Bärbchen! Aber nun iſt ſie ja nicht reich und kann die Stiefeletten nicht beſtellen — kurz, ſie verwickelte ſich ganz in dem Garn ihrer Spekulationen, während Aennchen, das andere Mädchen, bereits drei Köchinnen angeſtellt und zwei wieder weggejagt hatte. Da ſagte Lucie: „Wenn Ihr müde ſeid, Ihr Mäd¬ chen, ſo ſtellt die Räder weg und geht ſchlafen! Die merkwürdige Regine iſt jetzt verſorgt und braucht wahr¬ ſcheinlich nicht mehr früh aufzuſtehen, wie Ihr es morgen thun müßt.“ Die hübſchen Dienerinnen erhoben ſich ohne Zögern, als ſie dergeſtalt aus ihrer kurzen Träumerei geweckt worden, und trugen gehorſam die Spinnrädchen aus dem Zimmer. Zu Reinhart gewendet, fuhr Lucie fort: Ich wollte es nicht darauf ankommen laſſen, daß die guten Kinder die Kehrſeite oder den Ausgang Ihrer Geſchichte mit anhören; denn ſo viel ich vermuthen kann, wird es nun über die Bildung hergehen, welche an dem in Ausſicht ſtehenden Unheil Schuld ſein ſoll, und da wünſchte ich denn doch nicht, daß die Mädchen gegen den gebildeten Frauenſtand aufſätzig würden!“ „Ich überlege ſoeben,“ erwiderte Reinhart lächelnd,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/103>, abgerufen am 29.04.2024.