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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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in Empfang nahm, erwiderte er die Einladungen der
Damen zu baldigem Besuche mit dankbarer Zusage. Als
nicht lange hernach seine Abreise nothwendig wurde, hielt
er es, wie schon gesagt, für einen glücklichen Umstand,
daß Regine einen so bildend anregenden Verkehr gefunden
habe, und er anempfahl ihr, denselben fleißig zu suchen;
mit arglosem Vertrauen gehorchte sie, obschon die wort¬
reichen, lauten und unruhigen Auftritte und Lebensarten
ihr wenigstens im Anfang nichts weniger als wol zu
behagen schienen.

Indessen verlor ich sie aus den Augen, wenigstens
für den persönlichen Umgang. Ich war meinem Ver¬
sprechen gemäß nach Erwin's Abreise noch zwei oder drei
Mal hingegangen, um zu sehen, ob ich etwas nützen
könne. Schon das erste Mal waren zwei von den
Renommistinnen dort anwesend; ich hörte zu, wie sie die
Regine bereden wollten, auf dem im Wurfe liegenden
Wohlthätigkeitsbazar eine Verkaufsstelle zu übernehmen,
und wie sie das Kostüm beriethen. Es gelang ihnen
jedoch diesmal noch nicht, ihre Bescheidenheit zu hinter¬
gehen. Später traf ich sie nicht mehr zu Hause. Die
ältere Dienerin klagte, daß die Damen sie immer häufiger
hinwegholten, und doch müsse man gewissermaßen jede
Zerstreuung willkommen heißen, denn wenn die Frau
allein sei, so sehne sie sich unaufhörlich nach ihrem Manne
und weine, wie wenn sie ihn verloren hätte.

Eines Tages gerieth ich zufällig in die sogenannte

in Empfang nahm, erwiderte er die Einladungen der
Damen zu baldigem Beſuche mit dankbarer Zuſage. Als
nicht lange hernach ſeine Abreiſe nothwendig wurde, hielt
er es, wie ſchon geſagt, für einen glücklichen Umſtand,
daß Regine einen ſo bildend anregenden Verkehr gefunden
habe, und er anempfahl ihr, denſelben fleißig zu ſuchen;
mit argloſem Vertrauen gehorchte ſie, obſchon die wort¬
reichen, lauten und unruhigen Auftritte und Lebensarten
ihr wenigſtens im Anfang nichts weniger als wol zu
behagen ſchienen.

Indeſſen verlor ich ſie aus den Augen, wenigſtens
für den perſönlichen Umgang. Ich war meinem Ver¬
ſprechen gemäß nach Erwin's Abreiſe noch zwei oder drei
Mal hingegangen, um zu ſehen, ob ich etwas nützen
könne. Schon das erſte Mal waren zwei von den
Renommiſtinnen dort anweſend; ich hörte zu, wie ſie die
Regine bereden wollten, auf dem im Wurfe liegenden
Wohlthätigkeitsbazar eine Verkaufsſtelle zu übernehmen,
und wie ſie das Koſtüm beriethen. Es gelang ihnen
jedoch diesmal noch nicht, ihre Beſcheidenheit zu hinter¬
gehen. Später traf ich ſie nicht mehr zu Hauſe. Die
ältere Dienerin klagte, daß die Damen ſie immer häufiger
hinwegholten, und doch müſſe man gewiſſermaßen jede
Zerſtreuung willkommen heißen, denn wenn die Frau
allein ſei, ſo ſehne ſie ſich unaufhörlich nach ihrem Manne
und weine, wie wenn ſie ihn verloren hätte.

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[108/0118] in Empfang nahm, erwiderte er die Einladungen der Damen zu baldigem Beſuche mit dankbarer Zuſage. Als nicht lange hernach ſeine Abreiſe nothwendig wurde, hielt er es, wie ſchon geſagt, für einen glücklichen Umſtand, daß Regine einen ſo bildend anregenden Verkehr gefunden habe, und er anempfahl ihr, denſelben fleißig zu ſuchen; mit argloſem Vertrauen gehorchte ſie, obſchon die wort¬ reichen, lauten und unruhigen Auftritte und Lebensarten ihr wenigſtens im Anfang nichts weniger als wol zu behagen ſchienen. Indeſſen verlor ich ſie aus den Augen, wenigſtens für den perſönlichen Umgang. Ich war meinem Ver¬ ſprechen gemäß nach Erwin's Abreiſe noch zwei oder drei Mal hingegangen, um zu ſehen, ob ich etwas nützen könne. Schon das erſte Mal waren zwei von den Renommiſtinnen dort anweſend; ich hörte zu, wie ſie die Regine bereden wollten, auf dem im Wurfe liegenden Wohlthätigkeitsbazar eine Verkaufsſtelle zu übernehmen, und wie ſie das Koſtüm beriethen. Es gelang ihnen jedoch diesmal noch nicht, ihre Beſcheidenheit zu hinter¬ gehen. Später traf ich ſie nicht mehr zu Hauſe. Die ältere Dienerin klagte, daß die Damen ſie immer häufiger hinwegholten, und doch müſſe man gewiſſermaßen jede Zerſtreuung willkommen heißen, denn wenn die Frau allein ſei, ſo ſehne ſie ſich unaufhörlich nach ihrem Manne und weine, wie wenn ſie ihn verloren hätte. Eines Tages gerieth ich zufällig in die ſogenannte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/118>, abgerufen am 29.04.2024.