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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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daß es vollkommen aussah, als ob die schönen Blumen
unter einer leise fließenden Glasglocke ständen, die von
der Sonne durchspielt war. Regine hatte diese Wasser¬
kunst noch niemals gesehen. "Wie schön!" rief sie, still¬
stehend; "wie ist es nur möglich, das hervorzubringen?"

Unwillkürlich setzte sie sich auf eine Bank, dem artigen
Wunder gegenüber, und schaute unverwandt hin. Ein
seliges Lächeln spielte eben so leis um den Mund, wie
das Wasser um die Blumen, und ich sah wohl, daß die
lebendige Kristallglocke, die so treu die Rosen schützte,
die Gedanken der Frau nur wieder auf den Mann zurück¬
gewendet hatte. Wie ich so neben ihr stand und sie
meinerseits voll Theilnahme betrachtete, ohne daß sie dessen
inne ward, fühlte ich mich innig bewegt. Ich hätte vor¬
mals nie geglaubt, daß es eine so reine Freude geben
könnte, wie diejenige ist, in die Liebe einer holden Frau
zu einem Dritten hinein zu sehen und ihr nur Gutes zu
wünschen!

Aber unvermerkt nahm ich wahr, wie die stille Heiter¬
keit sich wandelte, leise, leis! und einer immer dunkler
werdenden Schwermuth Raum zu geben schien. Die Lippen
blieben leicht geöffnet, wie sie es im Lächeln gewesen,
aber mit bekümmertem Ausdruck. Das Haupt senkte sich
ein weniges, wie von tiefem Nachdenken, und endlich fielen
schwere Thränen ihr aus den Augen.

Betroffen weckte ich sie aus diesem Zustande, indem
ich mir erlaubte, die Hand leicht auf ihre Schulter zu

daß es vollkommen ausſah, als ob die ſchönen Blumen
unter einer leiſe fließenden Glasglocke ſtänden, die von
der Sonne durchſpielt war. Regine hatte dieſe Waſſer¬
kunſt noch niemals geſehen. „Wie ſchön!“ rief ſie, ſtill¬
ſtehend; „wie iſt es nur möglich, das hervorzubringen?“

Unwillkürlich ſetzte ſie ſich auf eine Bank, dem artigen
Wunder gegenüber, und ſchaute unverwandt hin. Ein
ſeliges Lächeln ſpielte eben ſo leis um den Mund, wie
das Waſſer um die Blumen, und ich ſah wohl, daß die
lebendige Kriſtallglocke, die ſo treu die Roſen ſchützte,
die Gedanken der Frau nur wieder auf den Mann zurück¬
gewendet hatte. Wie ich ſo neben ihr ſtand und ſie
meinerſeits voll Theilnahme betrachtete, ohne daß ſie deſſen
inne ward, fühlte ich mich innig bewegt. Ich hätte vor¬
mals nie geglaubt, daß es eine ſo reine Freude geben
könnte, wie diejenige iſt, in die Liebe einer holden Frau
zu einem Dritten hinein zu ſehen und ihr nur Gutes zu
wünſchen!

Aber unvermerkt nahm ich wahr, wie die ſtille Heiter¬
keit ſich wandelte, leiſe, leis! und einer immer dunkler
werdenden Schwermuth Raum zu geben ſchien. Die Lippen
blieben leicht geöffnet, wie ſie es im Lächeln geweſen,
aber mit bekümmertem Ausdruck. Das Haupt ſenkte ſich
ein weniges, wie von tiefem Nachdenken, und endlich fielen
ſchwere Thränen ihr aus den Augen.

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[117/0127] daß es vollkommen ausſah, als ob die ſchönen Blumen unter einer leiſe fließenden Glasglocke ſtänden, die von der Sonne durchſpielt war. Regine hatte dieſe Waſſer¬ kunſt noch niemals geſehen. „Wie ſchön!“ rief ſie, ſtill¬ ſtehend; „wie iſt es nur möglich, das hervorzubringen?“ Unwillkürlich ſetzte ſie ſich auf eine Bank, dem artigen Wunder gegenüber, und ſchaute unverwandt hin. Ein ſeliges Lächeln ſpielte eben ſo leis um den Mund, wie das Waſſer um die Blumen, und ich ſah wohl, daß die lebendige Kriſtallglocke, die ſo treu die Roſen ſchützte, die Gedanken der Frau nur wieder auf den Mann zurück¬ gewendet hatte. Wie ich ſo neben ihr ſtand und ſie meinerſeits voll Theilnahme betrachtete, ohne daß ſie deſſen inne ward, fühlte ich mich innig bewegt. Ich hätte vor¬ mals nie geglaubt, daß es eine ſo reine Freude geben könnte, wie diejenige iſt, in die Liebe einer holden Frau zu einem Dritten hinein zu ſehen und ihr nur Gutes zu wünſchen! Aber unvermerkt nahm ich wahr, wie die ſtille Heiter¬ keit ſich wandelte, leiſe, leis! und einer immer dunkler werdenden Schwermuth Raum zu geben ſchien. Die Lippen blieben leicht geöffnet, wie ſie es im Lächeln geweſen, aber mit bekümmertem Ausdruck. Das Haupt ſenkte ſich ein weniges, wie von tiefem Nachdenken, und endlich fielen ſchwere Thränen ihr aus den Augen. Betroffen weckte ich ſie aus dieſem Zuſtande, indem ich mir erlaubte, die Hand leicht auf ihre Schulter zu

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/127>, abgerufen am 29.04.2024.