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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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legen und zu fragen, was ihr so Trauriges durch den
Sinn fahre? Sie schrak zusammen, suchte sich zu fassen,
und aus den paar Worten, die sie stammelte, ahnte ich,
daß erst das Heimweh nach dem Manne sie ergriffen und
dann der Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Dauer ihres
Glückes sie beschlichen hatte. Ich bestrebte mich, sie durch
einige zuversichtliche Scherzworte aus der verzwickten
Stimmung herauszubringen. Sie wurde auch wieder ruhig
und unbefangen, und als wir weiter gehend bald darauf
dem Brasilianer begegneten, der uns suchte, um uns zur
Mittagstafel zu holen, die unter Bäumen schon bereit
stehe, empfing sie ihn mit Freundlichkeit. Von dem be¬
scheiden dienstfertigen Wesen des hübschen Ritters bestochen
schien sie ihre frühere Härte gutmachen zu wollen und
nahm seinen Arm an für den kurzen Weg, den wir
bis zum Orte des Speisevergnügens noch zurückzulegen
hatten, und sie duldete sogar seine Gesellschaft und Be¬
dienung bei Tische, was er in tadellosester Weise benutzte.
Dagegen entzog sie sich den üblichen Lauf-, Spring- und
Lärmspielen, welche später beliebt wurden, und nahm
mich unverhohlen abermals in Anspruch, was mich bei
aller Theilnahme und guten Freundschaft, die ich für sie
empfand, doch nachgerade ein wenig zu demüthigen begann,
da ich mir beinahe wie ein unbedeutendes junges Vetter¬
lein vorkam, das ein stolzes Mädchen als Bedeckung mit
sich führt. An dem großen Kaffeekränzchen, das dann
unter erneuter Lustbarkeit abgehalten wurde, nahm sie

legen und zu fragen, was ihr ſo Trauriges durch den
Sinn fahre? Sie ſchrak zuſammen, ſuchte ſich zu faſſen,
und aus den paar Worten, die ſie ſtammelte, ahnte ich,
daß erſt das Heimweh nach dem Manne ſie ergriffen und
dann der Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Dauer ihres
Glückes ſie beſchlichen hatte. Ich beſtrebte mich, ſie durch
einige zuverſichtliche Scherzworte aus der verzwickten
Stimmung herauszubringen. Sie wurde auch wieder ruhig
und unbefangen, und als wir weiter gehend bald darauf
dem Braſilianer begegneten, der uns ſuchte, um uns zur
Mittagstafel zu holen, die unter Bäumen ſchon bereit
ſtehe, empfing ſie ihn mit Freundlichkeit. Von dem be¬
ſcheiden dienſtfertigen Weſen des hübſchen Ritters beſtochen
ſchien ſie ihre frühere Härte gutmachen zu wollen und
nahm ſeinen Arm an für den kurzen Weg, den wir
bis zum Orte des Speiſevergnügens noch zurückzulegen
hatten, und ſie duldete ſogar ſeine Geſellſchaft und Be¬
dienung bei Tiſche, was er in tadelloſeſter Weiſe benutzte.
Dagegen entzog ſie ſich den üblichen Lauf-, Spring- und
Lärmſpielen, welche ſpäter beliebt wurden, und nahm
mich unverhohlen abermals in Anſpruch, was mich bei
aller Theilnahme und guten Freundſchaft, die ich für ſie
empfand, doch nachgerade ein wenig zu demüthigen begann,
da ich mir beinahe wie ein unbedeutendes junges Vetter¬
lein vorkam, das ein ſtolzes Mädchen als Bedeckung mit
ſich führt. An dem großen Kaffeekränzchen, das dann
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[118/0128] legen und zu fragen, was ihr ſo Trauriges durch den Sinn fahre? Sie ſchrak zuſammen, ſuchte ſich zu faſſen, und aus den paar Worten, die ſie ſtammelte, ahnte ich, daß erſt das Heimweh nach dem Manne ſie ergriffen und dann der Zweifel an der Rechtmäßigkeit und Dauer ihres Glückes ſie beſchlichen hatte. Ich beſtrebte mich, ſie durch einige zuverſichtliche Scherzworte aus der verzwickten Stimmung herauszubringen. Sie wurde auch wieder ruhig und unbefangen, und als wir weiter gehend bald darauf dem Braſilianer begegneten, der uns ſuchte, um uns zur Mittagstafel zu holen, die unter Bäumen ſchon bereit ſtehe, empfing ſie ihn mit Freundlichkeit. Von dem be¬ ſcheiden dienſtfertigen Weſen des hübſchen Ritters beſtochen ſchien ſie ihre frühere Härte gutmachen zu wollen und nahm ſeinen Arm an für den kurzen Weg, den wir bis zum Orte des Speiſevergnügens noch zurückzulegen hatten, und ſie duldete ſogar ſeine Geſellſchaft und Be¬ dienung bei Tiſche, was er in tadelloſeſter Weiſe benutzte. Dagegen entzog ſie ſich den üblichen Lauf-, Spring- und Lärmſpielen, welche ſpäter beliebt wurden, und nahm mich unverhohlen abermals in Anſpruch, was mich bei aller Theilnahme und guten Freundſchaft, die ich für ſie empfand, doch nachgerade ein wenig zu demüthigen begann, da ich mir beinahe wie ein unbedeutendes junges Vetter¬ lein vorkam, das ein ſtolzes Mädchen als Bedeckung mit ſich führt. An dem großen Kaffeekränzchen, das dann unter erneuter Luſtbarkeit abgehalten wurde, nahm ſie

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/128>, abgerufen am 29.04.2024.