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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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gänzlich, als er den Ausdruck ihres Gesichtes im Spiegel
sah und sie ungesäumt beim Namen rief, um den Kummer
zu verscheuchen, den er erblickte. Das war seine nächste
treue Regung. Sie lag nun glückselig in seinen Armen
und Alles ging in den ersten paar Stunden, bis sie sich
etwas ausgeplaudert, gut von Statten, auch das kleine
Verhör wegen des Aufzuges, in welchem er sie getroffen.
Erröthend und mit verfinsterten Augen erzählte sie, man
habe ihr nicht Ruhe gelassen, bis sie der bewußten Malerin
für eine Studie hingestanden; das sei eine wahre Pflicht¬
erfüllung, eine Gewissenssache und durchaus unverfänglich
und Alles bleibe unter ihnen, d. h. den Freundinnen, von
welchen eine der Malstunde beigewohnt habe. Nun, da
man ein solches Wesen von ihrem Wuchse gemacht und
sie den Damast einmal gekauft und bezahlt, habe sie
gedacht, das erste Anrecht, sie so zu sehen, wenn es denn
doch etwas Schönes sein solle, gehöre ihrem Mann, und
darum habe sie sich schon seit ein paar Tagen daran zu
gewöhnen gesucht, das Tuch ohne die Malerin in gehöriger
Weise umzuschlagen und festzumachen. Es sei auch nur
ein kleines Bildchen gemacht worden.

Aber wo es denn sei? fragte der Mann, seinerseits
erröthend. Ei, die Malerin habe es mitgenommen, es
sei ja ein Frauenzimmer, erwiderte Regine betreten.
Ueberdies wolle es eine der drei Freundinnen als An¬
denken in Anspruch nehmen. Erwin sah die Unerfahren¬
heit und Unschuld der guten Regine oder glaubte jetzt

gänzlich, als er den Ausdruck ihres Geſichtes im Spiegel
ſah und ſie ungeſäumt beim Namen rief, um den Kummer
zu verſcheuchen, den er erblickte. Das war ſeine nächſte
treue Regung. Sie lag nun glückſelig in ſeinen Armen
und Alles ging in den erſten paar Stunden, bis ſie ſich
etwas ausgeplaudert, gut von Statten, auch das kleine
Verhör wegen des Aufzuges, in welchem er ſie getroffen.
Erröthend und mit verfinſterten Augen erzählte ſie, man
habe ihr nicht Ruhe gelaſſen, bis ſie der bewußten Malerin
für eine Studie hingeſtanden; das ſei eine wahre Pflicht¬
erfüllung, eine Gewiſſensſache und durchaus unverfänglich
und Alles bleibe unter ihnen, d. h. den Freundinnen, von
welchen eine der Malſtunde beigewohnt habe. Nun, da
man ein ſolches Weſen von ihrem Wuchſe gemacht und
ſie den Damaſt einmal gekauft und bezahlt, habe ſie
gedacht, das erſte Anrecht, ſie ſo zu ſehen, wenn es denn
doch etwas Schönes ſein ſolle, gehöre ihrem Mann, und
darum habe ſie ſich ſchon ſeit ein paar Tagen daran zu
gewöhnen geſucht, das Tuch ohne die Malerin in gehöriger
Weiſe umzuſchlagen und feſtzumachen. Es ſei auch nur
ein kleines Bildchen gemacht worden.

Aber wo es denn ſei? fragte der Mann, ſeinerſeits
erröthend. Ei, die Malerin habe es mitgenommen, es
ſei ja ein Frauenzimmer, erwiderte Regine betreten.
Ueberdies wolle es eine der drei Freundinnen als An¬
denken in Anſpruch nehmen. Erwin ſah die Unerfahren¬
heit und Unſchuld der guten Regine oder glaubte jetzt

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[132/0142] gänzlich, als er den Ausdruck ihres Geſichtes im Spiegel ſah und ſie ungeſäumt beim Namen rief, um den Kummer zu verſcheuchen, den er erblickte. Das war ſeine nächſte treue Regung. Sie lag nun glückſelig in ſeinen Armen und Alles ging in den erſten paar Stunden, bis ſie ſich etwas ausgeplaudert, gut von Statten, auch das kleine Verhör wegen des Aufzuges, in welchem er ſie getroffen. Erröthend und mit verfinſterten Augen erzählte ſie, man habe ihr nicht Ruhe gelaſſen, bis ſie der bewußten Malerin für eine Studie hingeſtanden; das ſei eine wahre Pflicht¬ erfüllung, eine Gewiſſensſache und durchaus unverfänglich und Alles bleibe unter ihnen, d. h. den Freundinnen, von welchen eine der Malſtunde beigewohnt habe. Nun, da man ein ſolches Weſen von ihrem Wuchſe gemacht und ſie den Damaſt einmal gekauft und bezahlt, habe ſie gedacht, das erſte Anrecht, ſie ſo zu ſehen, wenn es denn doch etwas Schönes ſein ſolle, gehöre ihrem Mann, und darum habe ſie ſich ſchon ſeit ein paar Tagen daran zu gewöhnen geſucht, das Tuch ohne die Malerin in gehöriger Weiſe umzuſchlagen und feſtzumachen. Es ſei auch nur ein kleines Bildchen gemacht worden. Aber wo es denn ſei? fragte der Mann, ſeinerſeits erröthend. Ei, die Malerin habe es mitgenommen, es ſei ja ein Frauenzimmer, erwiderte Regine betreten. Ueberdies wolle es eine der drei Freundinnen als An¬ denken in Anſpruch nehmen. Erwin ſah die Unerfahren¬ heit und Unſchuld der guten Regine oder glaubte jetzt

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/142>, abgerufen am 29.04.2024.