Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

zugraben, indessen sein eigenes Gesicht einen säuerlich süßen
Ausdruck annahm, dann in ein halb spöttisches Lächeln,
dann in einen weichen Ernst überging und zuletzt von einem
vollen biederen Lachen erhellt wurde. Er faßte kräftig
die Hand des jungen Reinhart, schüttelte sie und fragte:
"Haben denn Ihre Eltern nie von mir gesprochen?"

Reinhart dachte nach und schüttelte den Kopf, sagte
aber nach einem weiteren Besinnen: "Es müßte denn
sein, was auch wahrscheinlich ist, daß Sie erst auch ein
Leutenant gewesen sind, ehe Sie Herr Oberst wurden.
Dunkel entsinne ich mich aus meinen Kinderjahren, daß
die Eltern, bald der Vater, bald die Mutter, meistens
diese, von einem Leutenant sprachen, und zwar hieß es
scherzend: das hätte der Leutenant nicht gethan, oder was
würde der Leutenant zu dem Falle sagen u. s. w. Dann
verlor sich die Gewohnheit, wenn es eine war, und ich
habe die Sache vergessen."

"Sehen Sie, es ist richtig!" rief der Oberst, "der
Leutenant bin ich! In Ihrem angenehmen Angesicht habe
ich die Spuren von beiden verehrten Eltern heraus¬
gefunden, vom Herrn sowol wie von der Dame, und es
geht mir fast ein Licht auf, wie wenn meine junge Lux
hier an meinem engen Altershorizont aufgeht als meine
tägliche Morgensonne! Sein Sie uns willkommen und
bleiben Sie jedenfalls einige Tage, oder besser, machen
Sie Ihre Reise fertig und kommen Sie bald wieder für
länger! Spielen Sie Schach?"

zugraben, indeſſen ſein eigenes Geſicht einen ſäuerlich ſüßen
Ausdruck annahm, dann in ein halb ſpöttiſches Lächeln,
dann in einen weichen Ernſt überging und zuletzt von einem
vollen biederen Lachen erhellt wurde. Er faßte kräftig
die Hand des jungen Reinhart, ſchüttelte ſie und fragte:
„Haben denn Ihre Eltern nie von mir geſprochen?“

Reinhart dachte nach und ſchüttelte den Kopf, ſagte
aber nach einem weiteren Beſinnen: „Es müßte denn
ſein, was auch wahrſcheinlich iſt, daß Sie erſt auch ein
Leutenant geweſen ſind, ehe Sie Herr Oberſt wurden.
Dunkel entſinne ich mich aus meinen Kinderjahren, daß
die Eltern, bald der Vater, bald die Mutter, meiſtens
dieſe, von einem Leutenant ſprachen, und zwar hieß es
ſcherzend: das hätte der Leutenant nicht gethan, oder was
würde der Leutenant zu dem Falle ſagen u. ſ. w. Dann
verlor ſich die Gewohnheit, wenn es eine war, und ich
habe die Sache vergeſſen.“

„Sehen Sie, es iſt richtig!“ rief der Oberſt, „der
Leutenant bin ich! In Ihrem angenehmen Angeſicht habe
ich die Spuren von beiden verehrten Eltern heraus¬
gefunden, vom Herrn ſowol wie von der Dame, und es
geht mir faſt ein Licht auf, wie wenn meine junge Lux
hier an meinem engen Altershorizont aufgeht als meine
tägliche Morgenſonne! Sein Sie uns willkommen und
bleiben Sie jedenfalls einige Tage, oder beſſer, machen
Sie Ihre Reiſe fertig und kommen Sie bald wieder für
länger! Spielen Sie Schach?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0167" n="157"/>
zugraben, inde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ein eigenes Ge&#x017F;icht einen &#x017F;äuerlich &#x017F;üßen<lb/>
Ausdruck annahm, dann in ein halb &#x017F;pötti&#x017F;ches Lächeln,<lb/>
dann in einen weichen Ern&#x017F;t überging und zuletzt von einem<lb/>
vollen biederen Lachen erhellt wurde. Er faßte kräftig<lb/>
die Hand des jungen Reinhart, &#x017F;chüttelte &#x017F;ie und fragte:<lb/>
&#x201E;Haben denn Ihre Eltern nie von mir ge&#x017F;prochen?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Reinhart dachte nach und &#x017F;chüttelte den Kopf, &#x017F;agte<lb/>
aber nach einem weiteren Be&#x017F;innen: &#x201E;Es müßte denn<lb/>
&#x017F;ein, was auch wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t, daß Sie er&#x017F;t auch ein<lb/>
Leutenant gewe&#x017F;en &#x017F;ind, ehe Sie Herr Ober&#x017F;t wurden.<lb/>
Dunkel ent&#x017F;inne ich mich aus meinen Kinderjahren, daß<lb/>
die Eltern, bald der Vater, bald die Mutter, mei&#x017F;tens<lb/>
die&#x017F;e, von einem Leutenant &#x017F;prachen, und zwar hieß es<lb/>
&#x017F;cherzend: das hätte der Leutenant nicht gethan, oder was<lb/>
würde der Leutenant zu dem Falle &#x017F;agen u. &#x017F;. w. Dann<lb/>
verlor &#x017F;ich die Gewohnheit, wenn es eine war, und ich<lb/>
habe die Sache verge&#x017F;&#x017F;en.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sehen Sie, es i&#x017F;t richtig!&#x201C; rief der Ober&#x017F;t, &#x201E;der<lb/>
Leutenant bin ich! In Ihrem angenehmen Ange&#x017F;icht habe<lb/>
ich die Spuren von beiden verehrten Eltern heraus¬<lb/>
gefunden, vom Herrn &#x017F;owol wie von der Dame, und es<lb/>
geht mir fa&#x017F;t ein Licht auf, wie wenn meine junge Lux<lb/>
hier an meinem engen Altershorizont aufgeht als meine<lb/>
tägliche Morgen&#x017F;onne! Sein Sie uns willkommen und<lb/>
bleiben Sie jedenfalls einige Tage, oder be&#x017F;&#x017F;er, machen<lb/>
Sie Ihre Rei&#x017F;e fertig und kommen Sie bald wieder für<lb/>
länger! Spielen Sie Schach?&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[157/0167] zugraben, indeſſen ſein eigenes Geſicht einen ſäuerlich ſüßen Ausdruck annahm, dann in ein halb ſpöttiſches Lächeln, dann in einen weichen Ernſt überging und zuletzt von einem vollen biederen Lachen erhellt wurde. Er faßte kräftig die Hand des jungen Reinhart, ſchüttelte ſie und fragte: „Haben denn Ihre Eltern nie von mir geſprochen?“ Reinhart dachte nach und ſchüttelte den Kopf, ſagte aber nach einem weiteren Beſinnen: „Es müßte denn ſein, was auch wahrſcheinlich iſt, daß Sie erſt auch ein Leutenant geweſen ſind, ehe Sie Herr Oberſt wurden. Dunkel entſinne ich mich aus meinen Kinderjahren, daß die Eltern, bald der Vater, bald die Mutter, meiſtens dieſe, von einem Leutenant ſprachen, und zwar hieß es ſcherzend: das hätte der Leutenant nicht gethan, oder was würde der Leutenant zu dem Falle ſagen u. ſ. w. Dann verlor ſich die Gewohnheit, wenn es eine war, und ich habe die Sache vergeſſen.“ „Sehen Sie, es iſt richtig!“ rief der Oberſt, „der Leutenant bin ich! In Ihrem angenehmen Angeſicht habe ich die Spuren von beiden verehrten Eltern heraus¬ gefunden, vom Herrn ſowol wie von der Dame, und es geht mir faſt ein Licht auf, wie wenn meine junge Lux hier an meinem engen Altershorizont aufgeht als meine tägliche Morgenſonne! Sein Sie uns willkommen und bleiben Sie jedenfalls einige Tage, oder beſſer, machen Sie Ihre Reiſe fertig und kommen Sie bald wieder für länger! Spielen Sie Schach?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/167
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/167>, abgerufen am 29.04.2024.