Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

und setzte sich auf die Bank; denn er war von dem Aben¬
teuer ebenso erschöpft, wie wenn er unfreiwillig gestrandet
wäre. Indem bemerkte er lächelnd die zahlreichen Motten¬
löcher, die in den dunkeln Mantel gefressen waren und
nun, da die Nachmittagssonne dahinter stand, wie ein
Sternhimmel schimmerten. Drei solcher Löcher standen
so schön in einer Reihe, daß sie prächtig den Gürtel des
Orion vorstellten, einige andere zeigten ziemlich genau
das Sternbild der Cassiopeia, zweie standen sich wie die
Gestirne der Waage gegenüber, und eine Menge einzelner
Löchlein ließen sich je nach ihrer Stellung und Entfernung
von einander von einem Kundigen so oder anders be¬
nennen. Weil aber manche davon noch von Wassertropfen
wie mit kleinen Glaskügelchen verschlossen waren, so
schimmerten sie in den Sonnenstrahlen bläulich oder röth¬
lich, und Don Correa, der ein Sternkenner und Astro¬
loge war, betrachtete die Erscheinung sogleich mit Auf¬
merksamkeit als ein bedeutsames Spiel des Zufalls. Er
brachte unverweilt eine Constellation zusammen, in welcher
ihm das Venusgestirn glückverheißend zu glänzen schien.

Er war in diesen Anblick und die dazu gehörigen
Gedanken so vertieft, daß er leichte Schritte, die sich
näherten, nicht hörte, und daher höchlich erstaunte, als
der Mantel unversehens von einer Hand zurückgeschoben
und statt des Planeten Venus die ganze Gestalt der
Donna Feniza Mayor de Cercal sichtbar wurde, hinter
welcher der Knabe stand.

und ſetzte ſich auf die Bank; denn er war von dem Aben¬
teuer ebenſo erſchöpft, wie wenn er unfreiwillig geſtrandet
wäre. Indem bemerkte er lächelnd die zahlreichen Motten¬
löcher, die in den dunkeln Mantel gefreſſen waren und
nun, da die Nachmittagsſonne dahinter ſtand, wie ein
Sternhimmel ſchimmerten. Drei ſolcher Löcher ſtanden
ſo ſchön in einer Reihe, daß ſie prächtig den Gürtel des
Orion vorſtellten, einige andere zeigten ziemlich genau
das Sternbild der Caſſiopeia, zweie ſtanden ſich wie die
Geſtirne der Waage gegenüber, und eine Menge einzelner
Löchlein ließen ſich je nach ihrer Stellung und Entfernung
von einander von einem Kundigen ſo oder anders be¬
nennen. Weil aber manche davon noch von Waſſertropfen
wie mit kleinen Glaskügelchen verſchloſſen waren, ſo
ſchimmerten ſie in den Sonnenſtrahlen bläulich oder röth¬
lich, und Don Correa, der ein Sternkenner und Aſtro¬
loge war, betrachtete die Erſcheinung ſogleich mit Auf¬
merkſamkeit als ein bedeutſames Spiel des Zufalls. Er
brachte unverweilt eine Conſtellation zuſammen, in welcher
ihm das Venusgeſtirn glückverheißend zu glänzen ſchien.

Er war in dieſen Anblick und die dazu gehörigen
Gedanken ſo vertieft, daß er leichte Schritte, die ſich
näherten, nicht hörte, und daher höchlich erſtaunte, als
der Mantel unverſehens von einer Hand zurückgeſchoben
und ſtatt des Planeten Venus die ganze Geſtalt der
Donna Feniza Mayor de Cercal ſichtbar wurde, hinter
welcher der Knabe ſtand.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0287" n="277"/>
und &#x017F;etzte &#x017F;ich auf die Bank; denn er war von dem Aben¬<lb/>
teuer eben&#x017F;o er&#x017F;chöpft, wie wenn er unfreiwillig ge&#x017F;trandet<lb/>
wäre. Indem bemerkte er lächelnd die zahlreichen Motten¬<lb/>
löcher, die in den dunkeln Mantel gefre&#x017F;&#x017F;en waren und<lb/>
nun, da die Nachmittags&#x017F;onne dahinter &#x017F;tand, wie ein<lb/>
Sternhimmel &#x017F;chimmerten. Drei &#x017F;olcher Löcher &#x017F;tanden<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chön in einer Reihe, daß &#x017F;ie prächtig den Gürtel des<lb/>
Orion vor&#x017F;tellten, einige andere zeigten ziemlich genau<lb/>
das Sternbild der Ca&#x017F;&#x017F;iopeia, zweie &#x017F;tanden &#x017F;ich wie die<lb/>
Ge&#x017F;tirne der Waage gegenüber, und eine Menge einzelner<lb/>
Löchlein ließen &#x017F;ich je nach ihrer Stellung und Entfernung<lb/>
von einander von einem Kundigen &#x017F;o oder anders be¬<lb/>
nennen. Weil aber manche davon noch von Wa&#x017F;&#x017F;ertropfen<lb/>
wie mit kleinen Glaskügelchen ver&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en waren, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chimmerten &#x017F;ie in den Sonnen&#x017F;trahlen bläulich oder röth¬<lb/>
lich, und Don Correa, der ein Sternkenner und A&#x017F;tro¬<lb/>
loge war, betrachtete die Er&#x017F;cheinung &#x017F;ogleich mit Auf¬<lb/>
merk&#x017F;amkeit als ein bedeut&#x017F;ames Spiel des Zufalls. Er<lb/>
brachte unverweilt eine Con&#x017F;tellation zu&#x017F;ammen, in welcher<lb/>
ihm das Venusge&#x017F;tirn glückverheißend zu glänzen &#x017F;chien.</p><lb/>
          <p>Er war in die&#x017F;en Anblick und die dazu gehörigen<lb/>
Gedanken &#x017F;o vertieft, daß er leichte Schritte, die &#x017F;ich<lb/>
näherten, nicht hörte, und daher höchlich er&#x017F;taunte, als<lb/>
der Mantel unver&#x017F;ehens von einer Hand zurückge&#x017F;choben<lb/>
und &#x017F;tatt des Planeten Venus die ganze Ge&#x017F;talt der<lb/>
Donna Feniza Mayor de Cercal &#x017F;ichtbar wurde, hinter<lb/>
welcher der Knabe &#x017F;tand.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0287] und ſetzte ſich auf die Bank; denn er war von dem Aben¬ teuer ebenſo erſchöpft, wie wenn er unfreiwillig geſtrandet wäre. Indem bemerkte er lächelnd die zahlreichen Motten¬ löcher, die in den dunkeln Mantel gefreſſen waren und nun, da die Nachmittagsſonne dahinter ſtand, wie ein Sternhimmel ſchimmerten. Drei ſolcher Löcher ſtanden ſo ſchön in einer Reihe, daß ſie prächtig den Gürtel des Orion vorſtellten, einige andere zeigten ziemlich genau das Sternbild der Caſſiopeia, zweie ſtanden ſich wie die Geſtirne der Waage gegenüber, und eine Menge einzelner Löchlein ließen ſich je nach ihrer Stellung und Entfernung von einander von einem Kundigen ſo oder anders be¬ nennen. Weil aber manche davon noch von Waſſertropfen wie mit kleinen Glaskügelchen verſchloſſen waren, ſo ſchimmerten ſie in den Sonnenſtrahlen bläulich oder röth¬ lich, und Don Correa, der ein Sternkenner und Aſtro¬ loge war, betrachtete die Erſcheinung ſogleich mit Auf¬ merkſamkeit als ein bedeutſames Spiel des Zufalls. Er brachte unverweilt eine Conſtellation zuſammen, in welcher ihm das Venusgeſtirn glückverheißend zu glänzen ſchien. Er war in dieſen Anblick und die dazu gehörigen Gedanken ſo vertieft, daß er leichte Schritte, die ſich näherten, nicht hörte, und daher höchlich erſtaunte, als der Mantel unverſehens von einer Hand zurückgeſchoben und ſtatt des Planeten Venus die ganze Geſtalt der Donna Feniza Mayor de Cercal ſichtbar wurde, hinter welcher der Knabe ſtand.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/287
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/287>, abgerufen am 16.05.2024.