Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Correa erhob sich indessen mit ritterlicher Haltung
und bat um Verzeihung, daß er keinen Hut abnehmen
könne, weil das Meer ihm den seinigen geraubt habe.
Aber noch mehr wurde er überrascht, als die in Lissabon
so spröd und einsilbig gewesene Frau ihn jetzt mit großen
Augen und unverkennbarem Wohlgefallen anschaute und
mit fester wohltönender Stimme fragte, woher er komme
und woher er sei.

Und von ihrer Schönheit von Neuem betroffen, war
er kaum im Stande, das zurechtgezimmerte Märchen von
seinem widrigen Schicksal als armer Edelmann, der sein
Glück in weiter Welt zu suchen gezwungen und an diesem
Ufer elendiglich gestrandet und im Stiche gelassen worden
sei, mit einigem Zusammenhange vorzubringen. Um so
bessern Eindruck schien er aber zu machen. Die Frau
setzte sich statt seiner auf die Bank, und als sie im weite¬
ren Verlaufe des Gespräches wahrnahm, daß der Fremde
nach seinem ganzen Wesen ein junger Mann von Stand,
Lebensart, Geist und Entschlossenheit sein müsse, lud sie
ihn höflich ein, Platz neben ihr zu nehmen und sich aus¬
zuruhen, und schloß damit, ihm die wünschenswerthe Hülfe¬
leistung und Gastfreundschaft auf ihrer Burg anzubieten.
Ein Hut werde sich ohne Zweifel auch aufbringen lassen,
fügte sie bei, als sie schon auf dem engen Steige voran
ging, während der schiffbrüchige Cavalier mit seinem
Mantel folgte und der Page als, der letzte die Staffeln
erkletterte.

Correa erhob ſich indeſſen mit ritterlicher Haltung
und bat um Verzeihung, daß er keinen Hut abnehmen
könne, weil das Meer ihm den ſeinigen geraubt habe.
Aber noch mehr wurde er überraſcht, als die in Liſſabon
ſo ſpröd und einſilbig geweſene Frau ihn jetzt mit großen
Augen und unverkennbarem Wohlgefallen anſchaute und
mit feſter wohltönender Stimme fragte, woher er komme
und woher er ſei.

Und von ihrer Schönheit von Neuem betroffen, war
er kaum im Stande, das zurechtgezimmerte Märchen von
ſeinem widrigen Schickſal als armer Edelmann, der ſein
Glück in weiter Welt zu ſuchen gezwungen und an dieſem
Ufer elendiglich geſtrandet und im Stiche gelaſſen worden
ſei, mit einigem Zuſammenhange vorzubringen. Um ſo
beſſern Eindruck ſchien er aber zu machen. Die Frau
ſetzte ſich ſtatt ſeiner auf die Bank, und als ſie im weite¬
ren Verlaufe des Geſpräches wahrnahm, daß der Fremde
nach ſeinem ganzen Weſen ein junger Mann von Stand,
Lebensart, Geiſt und Entſchloſſenheit ſein müſſe, lud ſie
ihn höflich ein, Platz neben ihr zu nehmen und ſich aus¬
zuruhen, und ſchloß damit, ihm die wünſchenswerthe Hülfe¬
leiſtung und Gaſtfreundſchaft auf ihrer Burg anzubieten.
Ein Hut werde ſich ohne Zweifel auch aufbringen laſſen,
fügte ſie bei, als ſie ſchon auf dem engen Steige voran
ging, während der ſchiffbrüchige Cavalier mit ſeinem
Mantel folgte und der Page als, der letzte die Staffeln
erkletterte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0288" n="278"/>
          <p>Correa erhob &#x017F;ich inde&#x017F;&#x017F;en mit ritterlicher Haltung<lb/>
und bat um Verzeihung, daß er keinen Hut abnehmen<lb/>
könne, weil das Meer ihm den &#x017F;einigen geraubt habe.<lb/>
Aber noch mehr wurde er überra&#x017F;cht, als die in Li&#x017F;&#x017F;abon<lb/>
&#x017F;o &#x017F;pröd und ein&#x017F;ilbig gewe&#x017F;ene Frau ihn jetzt mit großen<lb/>
Augen und unverkennbarem Wohlgefallen an&#x017F;chaute und<lb/>
mit fe&#x017F;ter wohltönender Stimme fragte, woher er komme<lb/>
und woher er &#x017F;ei.</p><lb/>
          <p>Und von ihrer Schönheit von Neuem betroffen, war<lb/>
er kaum im Stande, das zurechtgezimmerte Märchen von<lb/>
&#x017F;einem widrigen Schick&#x017F;al als armer Edelmann, der &#x017F;ein<lb/>
Glück in weiter Welt zu &#x017F;uchen gezwungen und an die&#x017F;em<lb/>
Ufer elendiglich ge&#x017F;trandet und im Stiche gela&#x017F;&#x017F;en worden<lb/>
&#x017F;ei, mit einigem Zu&#x017F;ammenhange vorzubringen. Um &#x017F;o<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ern Eindruck &#x017F;chien er aber zu machen. Die Frau<lb/>
&#x017F;etzte &#x017F;ich &#x017F;tatt &#x017F;einer auf die Bank, und als &#x017F;ie im weite¬<lb/>
ren Verlaufe des Ge&#x017F;präches wahrnahm, daß der Fremde<lb/>
nach &#x017F;einem ganzen We&#x017F;en ein junger Mann von Stand,<lb/>
Lebensart, Gei&#x017F;t und Ent&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enheit &#x017F;ein mü&#x017F;&#x017F;e, lud &#x017F;ie<lb/>
ihn höflich ein, Platz neben ihr zu nehmen und &#x017F;ich aus¬<lb/>
zuruhen, und &#x017F;chloß damit, ihm die wün&#x017F;chenswerthe Hülfe¬<lb/>
lei&#x017F;tung und Ga&#x017F;tfreund&#x017F;chaft auf ihrer Burg anzubieten.<lb/>
Ein Hut werde &#x017F;ich ohne Zweifel auch aufbringen la&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
fügte &#x017F;ie bei, als &#x017F;ie &#x017F;chon auf dem engen Steige voran<lb/>
ging, während der &#x017F;chiffbrüchige Cavalier mit &#x017F;einem<lb/>
Mantel folgte und der Page als, der letzte die Staffeln<lb/>
erkletterte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[278/0288] Correa erhob ſich indeſſen mit ritterlicher Haltung und bat um Verzeihung, daß er keinen Hut abnehmen könne, weil das Meer ihm den ſeinigen geraubt habe. Aber noch mehr wurde er überraſcht, als die in Liſſabon ſo ſpröd und einſilbig geweſene Frau ihn jetzt mit großen Augen und unverkennbarem Wohlgefallen anſchaute und mit feſter wohltönender Stimme fragte, woher er komme und woher er ſei. Und von ihrer Schönheit von Neuem betroffen, war er kaum im Stande, das zurechtgezimmerte Märchen von ſeinem widrigen Schickſal als armer Edelmann, der ſein Glück in weiter Welt zu ſuchen gezwungen und an dieſem Ufer elendiglich geſtrandet und im Stiche gelaſſen worden ſei, mit einigem Zuſammenhange vorzubringen. Um ſo beſſern Eindruck ſchien er aber zu machen. Die Frau ſetzte ſich ſtatt ſeiner auf die Bank, und als ſie im weite¬ ren Verlaufe des Geſpräches wahrnahm, daß der Fremde nach ſeinem ganzen Weſen ein junger Mann von Stand, Lebensart, Geiſt und Entſchloſſenheit ſein müſſe, lud ſie ihn höflich ein, Platz neben ihr zu nehmen und ſich aus¬ zuruhen, und ſchloß damit, ihm die wünſchenswerthe Hülfe¬ leiſtung und Gaſtfreundſchaft auf ihrer Burg anzubieten. Ein Hut werde ſich ohne Zweifel auch aufbringen laſſen, fügte ſie bei, als ſie ſchon auf dem engen Steige voran ging, während der ſchiffbrüchige Cavalier mit ſeinem Mantel folgte und der Page als, der letzte die Staffeln erkletterte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/288
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/288>, abgerufen am 15.05.2024.