Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

nächsten schweren Stuhl von Eichenholz, schwang ihn über
dem Recken und schlug nicht nur seine Waffe nieder,
sondern auch die rechte Schulter so gründlich entzwei, daß
er augenblicklich gelähmt und überdies vor Schmerz halb
ohnmächtig und ganz wehrlos wurde. Als ein Mensch
von niederem Charakter floh er gleich aus dem Zim¬
mer, und ihm folgte die übrige Compagnie, so wie sie
sich allmählig aus den Scherben aufraffte. Sie wischten
wie chinesische Schatten hinaus; hinter seinem Rücken
machte die Kammerfrau noch ein Zeichen gegen die
Herrin, die es mit fast unmerklichem Kopfnicken er¬
widerte. Nur der Page war noch im Zimmer und
steckte die Nase hinter der Frau hervor. Correa that
einen Schritt, faßte den Knaben an den Locken und warf
ihn wie einen jungen Hasen den Uebrigen nach vor die
die Thüre, welche er hierauf verriegelte.

Dann stellte er sich, auf die gezogene Degenklinge
gestützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knieen und
ausgestreckten Händen da stand, und sagte, nachdem er sie
eine Weile ernstlich betrachtet:

"Was bist Du für ein Weib?"

"Was bist Du für ein Mann?" fragte sie entgegen
mit furchtsamer Stimme und immerfort zitternd.

"Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur
von Rio bin ich! Wirst Du mir nun gehorchen?"

Durch diese offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib
in ihren Augen moralisch wieder das Oberwasser. Denn

19*

nächſten ſchweren Stuhl von Eichenholz, ſchwang ihn über
dem Recken und ſchlug nicht nur ſeine Waffe nieder,
ſondern auch die rechte Schulter ſo gründlich entzwei, daß
er augenblicklich gelähmt und überdies vor Schmerz halb
ohnmächtig und ganz wehrlos wurde. Als ein Menſch
von niederem Charakter floh er gleich aus dem Zim¬
mer, und ihm folgte die übrige Compagnie, ſo wie ſie
ſich allmählig aus den Scherben aufraffte. Sie wiſchten
wie chineſiſche Schatten hinaus; hinter ſeinem Rücken
machte die Kammerfrau noch ein Zeichen gegen die
Herrin, die es mit faſt unmerklichem Kopfnicken er¬
widerte. Nur der Page war noch im Zimmer und
ſteckte die Naſe hinter der Frau hervor. Correa that
einen Schritt, faßte den Knaben an den Locken und warf
ihn wie einen jungen Haſen den Uebrigen nach vor die
die Thüre, welche er hierauf verriegelte.

Dann ſtellte er ſich, auf die gezogene Degenklinge
geſtützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knieen und
ausgeſtreckten Händen da ſtand, und ſagte, nachdem er ſie
eine Weile ernſtlich betrachtet:

„Was biſt Du für ein Weib?“

„Was biſt Du für ein Mann?“ fragte ſie entgegen
mit furchtſamer Stimme und immerfort zitternd.

„Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur
von Rio bin ich! Wirſt Du mir nun gehorchen?“

Durch dieſe offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib
in ihren Augen moraliſch wieder das Oberwaſſer. Denn

19*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0301" n="291"/>
näch&#x017F;ten &#x017F;chweren Stuhl von Eichenholz, &#x017F;chwang ihn über<lb/>
dem Recken und &#x017F;chlug nicht nur &#x017F;eine Waffe nieder,<lb/>
&#x017F;ondern auch die rechte Schulter &#x017F;o gründlich entzwei, daß<lb/>
er augenblicklich gelähmt und überdies vor Schmerz halb<lb/>
ohnmächtig und ganz wehrlos wurde. Als ein Men&#x017F;ch<lb/>
von niederem Charakter floh er gleich aus dem Zim¬<lb/>
mer, und ihm folgte die übrige Compagnie, &#x017F;o wie &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ich allmählig aus den Scherben aufraffte. Sie wi&#x017F;chten<lb/>
wie chine&#x017F;i&#x017F;che Schatten hinaus; hinter &#x017F;einem Rücken<lb/>
machte die Kammerfrau noch ein Zeichen gegen die<lb/>
Herrin, die es mit fa&#x017F;t unmerklichem Kopfnicken er¬<lb/>
widerte. Nur der Page war noch im Zimmer und<lb/>
&#x017F;teckte die Na&#x017F;e hinter der Frau hervor. Correa that<lb/>
einen Schritt, faßte den Knaben an den Locken und warf<lb/>
ihn wie einen jungen Ha&#x017F;en den Uebrigen nach vor die<lb/>
die Thüre, welche er hierauf verriegelte.</p><lb/>
          <p>Dann &#x017F;tellte er &#x017F;ich, auf die gezogene Degenklinge<lb/>
ge&#x017F;tützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knieen und<lb/>
ausge&#x017F;treckten Händen da &#x017F;tand, und &#x017F;agte, nachdem er &#x017F;ie<lb/>
eine Weile ern&#x017F;tlich betrachtet:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was bi&#x017F;t Du für ein Weib?&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Was bi&#x017F;t Du für ein Mann?&#x201C; fragte &#x017F;ie entgegen<lb/>
mit furcht&#x017F;amer Stimme und immerfort zitternd.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur<lb/>
von Rio bin ich! Wir&#x017F;t Du mir nun gehorchen?&#x201C;</p><lb/>
          <p>Durch die&#x017F;e offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib<lb/>
in ihren Augen morali&#x017F;ch wieder das Oberwa&#x017F;&#x017F;er. Denn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">19*<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[291/0301] nächſten ſchweren Stuhl von Eichenholz, ſchwang ihn über dem Recken und ſchlug nicht nur ſeine Waffe nieder, ſondern auch die rechte Schulter ſo gründlich entzwei, daß er augenblicklich gelähmt und überdies vor Schmerz halb ohnmächtig und ganz wehrlos wurde. Als ein Menſch von niederem Charakter floh er gleich aus dem Zim¬ mer, und ihm folgte die übrige Compagnie, ſo wie ſie ſich allmählig aus den Scherben aufraffte. Sie wiſchten wie chineſiſche Schatten hinaus; hinter ſeinem Rücken machte die Kammerfrau noch ein Zeichen gegen die Herrin, die es mit faſt unmerklichem Kopfnicken er¬ widerte. Nur der Page war noch im Zimmer und ſteckte die Naſe hinter der Frau hervor. Correa that einen Schritt, faßte den Knaben an den Locken und warf ihn wie einen jungen Haſen den Uebrigen nach vor die die Thüre, welche er hierauf verriegelte. Dann ſtellte er ſich, auf die gezogene Degenklinge geſtützt, vor die Frau, welche mit zitternden Knieen und ausgeſtreckten Händen da ſtand, und ſagte, nachdem er ſie eine Weile ernſtlich betrachtet: „Was biſt Du für ein Weib?“ „Was biſt Du für ein Mann?“ fragte ſie entgegen mit furchtſamer Stimme und immerfort zitternd. „Ich? Salvador Correa, der Admiral und Gouverneur von Rio bin ich! Wirſt Du mir nun gehorchen?“ Durch dieſe offenbar ungeheure Lüge bekam das Weib in ihren Augen moraliſch wieder das Oberwaſſer. Denn 19*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/301
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/301>, abgerufen am 14.05.2024.