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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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"Etwas Hafer für das Pferd," sagte er, "und da es
sich hier kühl und lieblich zu leben scheint, auch ein Glas
Wein für mich, wenn Ihr so gut sein wollt!"

"Ihr habt Recht," sagte sie, "es ist hier gut sein,
still und angenehm und eine schöne Luft! So laßts Euch
gefallen und nehmt Platz!"

Als sie den Wein zu holen ging und mit der klaren
Flasche wieder kam, bewunderte Reinhart ihre schöne
Gestalt und den sicheren Gang, und als sie rüstig ein
Maß Hafer siebte und dem Pferde aufschüttete, ohne an
Reiz zu verlieren, sagte er sich: Wie voll ist doch die
Welt von schönen Geschöpfen und sieht keines dem andern
ganz gleich! -- Die Schöne setzte sich hierauf an den
Tisch und nahm ihre Arbeit wieder zur Hand. "Wie
ich sehe," sagte Reinhart, "seid Ihr allein zu Haus?"

"Ganz allein," erwiderte sie voll Freundlichkeit, blanke
Zahnreihen zeigend, "unsere Leute sind Alle auf den
Wiesen, um Heu zu machen."

"Gibt es viel und gutes Heu dies Jahr?"
"So ziemlich; wenn das Frühjahr nicht so trocken
gewesen wäre, so gäbe es noch mehr; man muß es eben
nehmen, wie's kommt, Alles kann nicht gerathen!"

"So ist es! Der schöne Frühling war dagegen für
andere Dinge gut, zum Beispiel für die Obstbäume, die
konnten vortrefflich verblühen."

"Das haben sie auch redlich gethan!"

"So wird es also viel Obst geben im Herbst?"

„Etwas Hafer für das Pferd,“ ſagte er, „und da es
ſich hier kühl und lieblich zu leben ſcheint, auch ein Glas
Wein für mich, wenn Ihr ſo gut ſein wollt!“

„Ihr habt Recht,“ ſagte ſie, „es iſt hier gut ſein,
ſtill und angenehm und eine ſchöne Luft! So laßts Euch
gefallen und nehmt Platz!“

Als ſie den Wein zu holen ging und mit der klaren
Flaſche wieder kam, bewunderte Reinhart ihre ſchöne
Geſtalt und den ſicheren Gang, und als ſie rüſtig ein
Maß Hafer ſiebte und dem Pferde aufſchüttete, ohne an
Reiz zu verlieren, ſagte er ſich: Wie voll iſt doch die
Welt von ſchönen Geſchöpfen und ſieht keines dem andern
ganz gleich! — Die Schöne ſetzte ſich hierauf an den
Tiſch und nahm ihre Arbeit wieder zur Hand. „Wie
ich ſehe,“ ſagte Reinhart, „ſeid Ihr allein zu Haus?“

„Ganz allein,“ erwiderte ſie voll Freundlichkeit, blanke
Zahnreihen zeigend, „unſere Leute ſind Alle auf den
Wieſen, um Heu zu machen.“

„Gibt es viel und gutes Heu dies Jahr?“
„So ziemlich; wenn das Frühjahr nicht ſo trocken
geweſen wäre, ſo gäbe es noch mehr; man muß es eben
nehmen, wie's kommt, Alles kann nicht gerathen!“

„So iſt es! Der ſchöne Frühling war dagegen für
andere Dinge gut, zum Beiſpiel für die Obſtbäume, die
konnten vortrefflich verblühen.“

„Das haben ſie auch redlich gethan!“

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[21/0031] „Etwas Hafer für das Pferd,“ ſagte er, „und da es ſich hier kühl und lieblich zu leben ſcheint, auch ein Glas Wein für mich, wenn Ihr ſo gut ſein wollt!“ „Ihr habt Recht,“ ſagte ſie, „es iſt hier gut ſein, ſtill und angenehm und eine ſchöne Luft! So laßts Euch gefallen und nehmt Platz!“ Als ſie den Wein zu holen ging und mit der klaren Flaſche wieder kam, bewunderte Reinhart ihre ſchöne Geſtalt und den ſicheren Gang, und als ſie rüſtig ein Maß Hafer ſiebte und dem Pferde aufſchüttete, ohne an Reiz zu verlieren, ſagte er ſich: Wie voll iſt doch die Welt von ſchönen Geſchöpfen und ſieht keines dem andern ganz gleich! — Die Schöne ſetzte ſich hierauf an den Tiſch und nahm ihre Arbeit wieder zur Hand. „Wie ich ſehe,“ ſagte Reinhart, „ſeid Ihr allein zu Haus?“ „Ganz allein,“ erwiderte ſie voll Freundlichkeit, blanke Zahnreihen zeigend, „unſere Leute ſind Alle auf den Wieſen, um Heu zu machen.“ „Gibt es viel und gutes Heu dies Jahr?“ „So ziemlich; wenn das Frühjahr nicht ſo trocken geweſen wäre, ſo gäbe es noch mehr; man muß es eben nehmen, wie's kommt, Alles kann nicht gerathen!“ „So iſt es! Der ſchöne Frühling war dagegen für andere Dinge gut, zum Beiſpiel für die Obſtbäume, die konnten vortrefflich verblühen.“ „Das haben ſie auch redlich gethan!“ „So wird es alſo viel Obſt geben im Herbſt?“

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/31>, abgerufen am 26.04.2024.