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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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von Natur und Ursprünglichkeit am Arme zurückkehren und
in die Salons treten zu sehen.

Durch seine Beharrlichkeit schien die zierliche Wasser¬
jungfer wirklich allmälig zahm und halbwegs vertraulich
zu werden; die Herren Kameraden, die bisher darüber
gelächelt, daß seine Macht über die Frauenherzen sich nicht
bis an den Hudson und den Delaware erstrecke, fingen
an, ihn zu bewundern und zu loben, daß er als echter
Franzose nicht das Feld räume; kurz, er hatte zwischen
Tag und Nacht schon mehr als ein kleines Stelldichein
abgehalten mit wunderlichem Zwiegespräche von Geberden
und abgebrochenen Worten, wobei Keines das Andere
verstand noch auszudrücken wußte, was es wollte. Nur
Eines glaubte Thibaut zu bemerken, nämlich daß Quoneschi
jedenfalls von einem zärtlichen Gedanken bewegt war, der
sie fortwährend beschäftigte und die dunklen Augen öfters
wie in banger oder zweifelhafter Erwartung auf ihn
richten ließ.

Nun waren die höheren Personen auf beiden Seiten
des Flusses versammelt und die Unterhandlungen für
einstweilen erledigt, die indianischen Häuptlinge im
französischen Lager auch gut bewirthet worden, und es
blieb noch der officielle Besuch der französischen Herren
bei den Wilden übrig, welche sich auch ein wenig zeigen
wollten. Am Vorabend kam noch ein ganzes Schiff voll
Weiber herüber gefahren, die vor dem Weitermarsch der

von Natur und Urſprünglichkeit am Arme zurückkehren und
in die Salons treten zu ſehen.

Durch ſeine Beharrlichkeit ſchien die zierliche Waſſer¬
jungfer wirklich allmälig zahm und halbwegs vertraulich
zu werden; die Herren Kameraden, die bisher darüber
gelächelt, daß ſeine Macht über die Frauenherzen ſich nicht
bis an den Hudſon und den Delaware erſtrecke, fingen
an, ihn zu bewundern und zu loben, daß er als echter
Franzoſe nicht das Feld räume; kurz, er hatte zwiſchen
Tag und Nacht ſchon mehr als ein kleines Stelldichein
abgehalten mit wunderlichem Zwiegeſpräche von Geberden
und abgebrochenen Worten, wobei Keines das Andere
verſtand noch auszudrücken wußte, was es wollte. Nur
Eines glaubte Thibaut zu bemerken, nämlich daß Quoneſchi
jedenfalls von einem zärtlichen Gedanken bewegt war, der
ſie fortwährend beſchäftigte und die dunklen Augen öfters
wie in banger oder zweifelhafter Erwartung auf ihn
richten ließ.

Nun waren die höheren Perſonen auf beiden Seiten
des Fluſſes verſammelt und die Unterhandlungen für
einſtweilen erledigt, die indianiſchen Häuptlinge im
franzöſiſchen Lager auch gut bewirthet worden, und es
blieb noch der officielle Beſuch der franzöſiſchen Herren
bei den Wilden übrig, welche ſich auch ein wenig zeigen
wollten. Am Vorabend kam noch ein ganzes Schiff voll
Weiber herüber gefahren, die vor dem Weitermarſch der

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[360/0370] von Natur und Urſprünglichkeit am Arme zurückkehren und in die Salons treten zu ſehen. Durch ſeine Beharrlichkeit ſchien die zierliche Waſſer¬ jungfer wirklich allmälig zahm und halbwegs vertraulich zu werden; die Herren Kameraden, die bisher darüber gelächelt, daß ſeine Macht über die Frauenherzen ſich nicht bis an den Hudſon und den Delaware erſtrecke, fingen an, ihn zu bewundern und zu loben, daß er als echter Franzoſe nicht das Feld räume; kurz, er hatte zwiſchen Tag und Nacht ſchon mehr als ein kleines Stelldichein abgehalten mit wunderlichem Zwiegeſpräche von Geberden und abgebrochenen Worten, wobei Keines das Andere verſtand noch auszudrücken wußte, was es wollte. Nur Eines glaubte Thibaut zu bemerken, nämlich daß Quoneſchi jedenfalls von einem zärtlichen Gedanken bewegt war, der ſie fortwährend beſchäftigte und die dunklen Augen öfters wie in banger oder zweifelhafter Erwartung auf ihn richten ließ. Nun waren die höheren Perſonen auf beiden Seiten des Fluſſes verſammelt und die Unterhandlungen für einſtweilen erledigt, die indianiſchen Häuptlinge im franzöſiſchen Lager auch gut bewirthet worden, und es blieb noch der officielle Beſuch der franzöſiſchen Herren bei den Wilden übrig, welche ſich auch ein wenig zeigen wollten. Am Vorabend kam noch ein ganzes Schiff voll Weiber herüber gefahren, die vor dem Weitermarſch der

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 360. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/370>, abgerufen am 14.05.2024.