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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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da alles verkehrt bei Ihnen eintrifft, Sie vom Hofe
jagen, damit Sie uns um so sicherer von der andern
Seite wieder zurückkommen!"

"Nein, schönstes Fräulein, ich möchte jetzo mit Ihrer
Hülfe versuchen, der Dinge wieder Meister zu werden!
Weisen Sie mir meinen Aufenthalt an, und ich werde
ohne Abweichung stracks hinzukommen trachten und mich
so fest halten wie eine Klette!"

"Das will ich thun! Aber dann halten Sie sich ja
tapfer und lassen sich weder rechts noch links verschlagen,
und wenn Sie sich nicht recht sicher trauen, so bleiben
Sie lieber auf einem Stuhle sitzen, bis ich Sie rufen
lasse! Auf keinen Fall entfernen Sie sich vom Hause,
und wenn Ihnen dennoch etwas Ungeheuerliches oder Ver¬
kehrtes aufstoßen sollte, so rufen Sie mich gleich zu Hülfe!
Läuft es aber glücklich ab und halten Sie sich gut über
Wasser, so sehen wir uns bald wieder."

Mit diesen Worten grüßte sie den Gast und eilte mit
ihrem Rosenkorbe in das Haus, um Leute zu senden. Es
erschien bald darauf ein alter Diener mit weißen Haaren,
der, als er das Pferd gesehen, einen Stallknecht aus dem
weiter rückwärtsgelegenen Wirthschaftshofe herbeiholte.
Dann kamen zwei Mädchen in der malerischen Landes¬
tracht, die er schon im Waldhorn gesehen, und führten
ihn in das Haus. Als Reinhart in dem ihm angewiesenen
Zimmer einige Zeit verweilt und sein Aeußeres in Ord¬
nung gebracht hatte, erschien das eine der Mädchen wieder

da alles verkehrt bei Ihnen eintrifft, Sie vom Hofe
jagen, damit Sie uns um ſo ſicherer von der andern
Seite wieder zurückkommen!“

„Nein, ſchönſtes Fräulein, ich möchte jetzo mit Ihrer
Hülfe verſuchen, der Dinge wieder Meiſter zu werden!
Weiſen Sie mir meinen Aufenthalt an, und ich werde
ohne Abweichung ſtracks hinzukommen trachten und mich
ſo feſt halten wie eine Klette!“

„Das will ich thun! Aber dann halten Sie ſich ja
tapfer und laſſen ſich weder rechts noch links verſchlagen,
und wenn Sie ſich nicht recht ſicher trauen, ſo bleiben
Sie lieber auf einem Stuhle ſitzen, bis ich Sie rufen
laſſe! Auf keinen Fall entfernen Sie ſich vom Hauſe,
und wenn Ihnen dennoch etwas Ungeheuerliches oder Ver¬
kehrtes aufſtoßen ſollte, ſo rufen Sie mich gleich zu Hülfe!
Läuft es aber glücklich ab und halten Sie ſich gut über
Waſſer, ſo ſehen wir uns bald wieder.“

Mit dieſen Worten grüßte ſie den Gaſt und eilte mit
ihrem Roſenkorbe in das Haus, um Leute zu ſenden. Es
erſchien bald darauf ein alter Diener mit weißen Haaren,
der, als er das Pferd geſehen, einen Stallknecht aus dem
weiter rückwärtsgelegenen Wirthſchaftshofe herbeiholte.
Dann kamen zwei Mädchen in der maleriſchen Landes¬
tracht, die er ſchon im Waldhorn geſehen, und führten
ihn in das Haus. Als Reinhart in dem ihm angewieſenen
Zimmer einige Zeit verweilt und ſein Aeußeres in Ord¬
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[36/0046] da alles verkehrt bei Ihnen eintrifft, Sie vom Hofe jagen, damit Sie uns um ſo ſicherer von der andern Seite wieder zurückkommen!“ „Nein, ſchönſtes Fräulein, ich möchte jetzo mit Ihrer Hülfe verſuchen, der Dinge wieder Meiſter zu werden! Weiſen Sie mir meinen Aufenthalt an, und ich werde ohne Abweichung ſtracks hinzukommen trachten und mich ſo feſt halten wie eine Klette!“ „Das will ich thun! Aber dann halten Sie ſich ja tapfer und laſſen ſich weder rechts noch links verſchlagen, und wenn Sie ſich nicht recht ſicher trauen, ſo bleiben Sie lieber auf einem Stuhle ſitzen, bis ich Sie rufen laſſe! Auf keinen Fall entfernen Sie ſich vom Hauſe, und wenn Ihnen dennoch etwas Ungeheuerliches oder Ver¬ kehrtes aufſtoßen ſollte, ſo rufen Sie mich gleich zu Hülfe! Läuft es aber glücklich ab und halten Sie ſich gut über Waſſer, ſo ſehen wir uns bald wieder.“ Mit dieſen Worten grüßte ſie den Gaſt und eilte mit ihrem Roſenkorbe in das Haus, um Leute zu ſenden. Es erſchien bald darauf ein alter Diener mit weißen Haaren, der, als er das Pferd geſehen, einen Stallknecht aus dem weiter rückwärtsgelegenen Wirthſchaftshofe herbeiholte. Dann kamen zwei Mädchen in der maleriſchen Landes¬ tracht, die er ſchon im Waldhorn geſehen, und führten ihn in das Haus. Als Reinhart in dem ihm angewieſenen Zimmer einige Zeit verweilt und ſein Aeußeres in Ord¬ nung gebracht hatte, erſchien das eine der Mädchen wieder

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/46>, abgerufen am 27.04.2024.