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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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Richts, -- denn die Verfassung der Seele und des Geistes
bleibt, was sie im Leben war; aber jetzt erst fühlt sie sich
einerseits in ihrer Blöse und Nichtigkeit mit der ganzen
Last der Selbstverschuldung, wenn sie bös war, und an-
dererseits in ihrem Gewinn und Reichthum mit der ganzen
Kraft des Glaubens, wenn sie gut war. Wenn das Natur-
gesetz aufhört, dann kommt es an die Herrschaft des Moral-
gesetzes, und dieses ist die Vergeltung nach den Werken.

In diesen Sätzen läßt sich diejenige Richtung in die Un-
natur erkennen, welche zur dunkeln Geisterwelt gehört,
in welcher die Verfassung der Seele in jenen atomistischen
Zustand versetzt ist, in welchem sie sich von dem in ihr
substantiell gewordenen Bösen allmählig reinigen muß.

2) Der Unterschied zwischen logischen und reli-
giösen Wahrheiten
.

Alle die Denkgesetze, Vernunftformeln und überhaupt der
ganze Zusammenhang des Wissens gelten nur für die mensch-
liche Natur und ihre Ordnungen, und haben nur eine unterge-
ordnete Beziehung zur Religon. Hat die Logik ihr Höchstes
im Absoluten erreicht und es als Urgleichung von Wissen
und Seyn zu ihrem Anfangspunkte gemacht, so bleibt sie
unbeweglich an diesem Schwerpunkt haften, während die
Religion das Absolute mitten entzwei theilt und an seine Ex-
treme führt, indem sie der Unnatur die absolute Selbst-
sucht
, der Uebernatur die absolute Liebe zuordnet.
Das Absolute, das in der Logik nur die höchste Form ist,
gewinnt erst Substanz in den Extremen, welche die Religion
uns lehrt.

3) Der Unterschied zwischen Selbstbewußtseyn
und Offenbarung
.

Es ist keinem Zweifel unterworfen, daß uns schon das
Selbstbewußtseyn, wenn wir sowohl sein urbildliches ideales
als auch sein abbildliches reales Leben in seinen Richtungen
verfolgen, an die Extreme der Unnatur und Uebernatur
hinführt, wie vorhin gezeigt wurde, aber weiter enthüllt
es uns nicht. Wie die beyden Extreme Substanz gewin-

Richts, — denn die Verfaſſung der Seele und des Geiſtes
bleibt, was ſie im Leben war; aber jetzt erſt fühlt ſie ſich
einerſeits in ihrer Blöſe und Nichtigkeit mit der ganzen
Laſt der Selbſtverſchuldung, wenn ſie bös war, und an-
dererſeits in ihrem Gewinn und Reichthum mit der ganzen
Kraft des Glaubens, wenn ſie gut war. Wenn das Natur-
geſetz aufhört, dann kommt es an die Herrſchaft des Moral-
geſetzes, und dieſes iſt die Vergeltung nach den Werken.

In dieſen Sätzen läßt ſich diejenige Richtung in die Un-
natur erkennen, welche zur dunkeln Geiſterwelt gehört,
in welcher die Verfaſſung der Seele in jenen atomiſtiſchen
Zuſtand verſetzt iſt, in welchem ſie ſich von dem in ihr
ſubſtantiell gewordenen Böſen allmählig reinigen muß.

2) Der Unterſchied zwiſchen logiſchen und reli-
giöſen Wahrheiten
.

Alle die Denkgeſetze, Vernunftformeln und überhaupt der
ganze Zuſammenhang des Wiſſens gelten nur für die menſch-
liche Natur und ihre Ordnungen, und haben nur eine unterge-
ordnete Beziehung zur Religon. Hat die Logik ihr Höchſtes
im Abſoluten erreicht und es als Urgleichung von Wiſſen
und Seyn zu ihrem Anfangspunkte gemacht, ſo bleibt ſie
unbeweglich an dieſem Schwerpunkt haften, während die
Religion das Abſolute mitten entzwei theilt und an ſeine Ex-
treme führt, indem ſie der Unnatur die abſolute Selbſt-
ſucht
, der Uebernatur die abſolute Liebe zuordnet.
Das Abſolute, das in der Logik nur die höchſte Form iſt,
gewinnt erſt Subſtanz in den Extremen, welche die Religion
uns lehrt.

3) Der Unterſchied zwiſchen Selbſtbewußtſeyn
und Offenbarung
.

Es iſt keinem Zweifel unterworfen, daß uns ſchon das
Selbſtbewußtſeyn, wenn wir ſowohl ſein urbildliches ideales
als auch ſein abbildliches reales Leben in ſeinen Richtungen
verfolgen, an die Extreme der Unnatur und Uebernatur
hinführt, wie vorhin gezeigt wurde, aber weiter enthüllt
es uns nicht. Wie die beyden Extreme Subſtanz gewin-

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[130/0144] Richts, — denn die Verfaſſung der Seele und des Geiſtes bleibt, was ſie im Leben war; aber jetzt erſt fühlt ſie ſich einerſeits in ihrer Blöſe und Nichtigkeit mit der ganzen Laſt der Selbſtverſchuldung, wenn ſie bös war, und an- dererſeits in ihrem Gewinn und Reichthum mit der ganzen Kraft des Glaubens, wenn ſie gut war. Wenn das Natur- geſetz aufhört, dann kommt es an die Herrſchaft des Moral- geſetzes, und dieſes iſt die Vergeltung nach den Werken. In dieſen Sätzen läßt ſich diejenige Richtung in die Un- natur erkennen, welche zur dunkeln Geiſterwelt gehört, in welcher die Verfaſſung der Seele in jenen atomiſtiſchen Zuſtand verſetzt iſt, in welchem ſie ſich von dem in ihr ſubſtantiell gewordenen Böſen allmählig reinigen muß. 2) Der Unterſchied zwiſchen logiſchen und reli- giöſen Wahrheiten. Alle die Denkgeſetze, Vernunftformeln und überhaupt der ganze Zuſammenhang des Wiſſens gelten nur für die menſch- liche Natur und ihre Ordnungen, und haben nur eine unterge- ordnete Beziehung zur Religon. Hat die Logik ihr Höchſtes im Abſoluten erreicht und es als Urgleichung von Wiſſen und Seyn zu ihrem Anfangspunkte gemacht, ſo bleibt ſie unbeweglich an dieſem Schwerpunkt haften, während die Religion das Abſolute mitten entzwei theilt und an ſeine Ex- treme führt, indem ſie der Unnatur die abſolute Selbſt- ſucht, der Uebernatur die abſolute Liebe zuordnet. Das Abſolute, das in der Logik nur die höchſte Form iſt, gewinnt erſt Subſtanz in den Extremen, welche die Religion uns lehrt. 3) Der Unterſchied zwiſchen Selbſtbewußtſeyn und Offenbarung. Es iſt keinem Zweifel unterworfen, daß uns ſchon das Selbſtbewußtſeyn, wenn wir ſowohl ſein urbildliches ideales als auch ſein abbildliches reales Leben in ſeinen Richtungen verfolgen, an die Extreme der Unnatur und Uebernatur hinführt, wie vorhin gezeigt wurde, aber weiter enthüllt es uns nicht. Wie die beyden Extreme Subſtanz gewin-

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/144>, abgerufen am 26.04.2024.