von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909].Siebentes Kapitel Helle Spätherbsttage. Gelb lag der Sonnenschein auf den bunten Bäumen. Unten im Obstgarten wurde die Äpfelernte vorgenommen. Günther war abwesend. Beate hatte sich ihren Sessel in den Obstgarten stellen lassen, wo die Sonne noch schön wärmte. Sie war guter Hoffnung und schwerfällig geworden. So saß sie gern ruhig da und sann dem Wunderbaren nach, das in ihr vorging. Vor sich sah sie ihre Mutter bei den Mägden sitzen, welche die Äpfel in große Kisten packten, und Seneide, die ihre langen, schwarzen Arme emporstreckte, um die Körbe in Empfang zu nehmen. Der Wind trug Obstdüfte zu Beate herüber. Wenn sie emporschaute, war der Himmel hellblau und voll segelnder Sommerfäden. Alles, was sie erlebt, schien ihr dann so ferne. Es war ihr, als sei sie noch das kleine Kaltiner Mädchen und wartete friedlich auf das Schöne, das im Leben für sie bereit lag. Doch dann faltete sie plötzlich die Hände und in ihren Augen erwogte ein angstvolles Flackern. Das war die Todesfurcht, die sie jetzt zuweilen erfaßte. Seneide kam und setzte sich zu ihr. "Wie geht es, Beating? Du machst solche Augen?" "Ich dachte - wenn - wenn ich das Kind nicht erlebe - wenn ..." "Was tut das," sagte Seneide heiter. "Eine Mutter, dort oben bei Gott, kann vielleicht mehr für ihr Kind sorgen, als wir hier ..." Siebentes Kapitel Helle Spätherbsttage. Gelb lag der Sonnenschein auf den bunten Bäumen. Unten im Obstgarten wurde die Äpfelernte vorgenommen. Günther war abwesend. Beate hatte sich ihren Sessel in den Obstgarten stellen lassen, wo die Sonne noch schön wärmte. Sie war guter Hoffnung und schwerfällig geworden. So saß sie gern ruhig da und sann dem Wunderbaren nach, das in ihr vorging. Vor sich sah sie ihre Mutter bei den Mägden sitzen, welche die Äpfel in große Kisten packten, und Seneïde, die ihre langen, schwarzen Arme emporstreckte, um die Körbe in Empfang zu nehmen. Der Wind trug Obstdüfte zu Beate herüber. Wenn sie emporschaute, war der Himmel hellblau und voll segelnder Sommerfäden. Alles, was sie erlebt, schien ihr dann so ferne. Es war ihr, als sei sie noch das kleine Kaltiner Mädchen und wartete friedlich auf das Schöne, das im Leben für sie bereit lag. Doch dann faltete sie plötzlich die Hände und in ihren Augen erwogte ein angstvolles Flackern. Das war die Todesfurcht, die sie jetzt zuweilen erfaßte. Seneïde kam und setzte sich zu ihr. „Wie geht es, Beating? Du machst solche Augen?“ „Ich dachte – wenn – wenn ich das Kind nicht erlebe – wenn …“ „Was tut das,“ sagte Seneïde heiter. „Eine Mutter, dort oben bei Gott, kann vielleicht mehr für ihr Kind sorgen, als wir hier …“ <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0052" n="50"/> <div n="1"> <head>Siebentes Kapitel</head><lb/> <p>Helle Spätherbsttage. Gelb lag der Sonnenschein auf den bunten Bäumen. Unten im Obstgarten wurde die Äpfelernte vorgenommen.</p> <p>Günther war abwesend.</p> <p>Beate hatte sich ihren Sessel in den Obstgarten stellen lassen, wo die Sonne noch schön wärmte. Sie war guter Hoffnung und schwerfällig geworden. So saß sie gern ruhig da und sann dem Wunderbaren nach, das in ihr vorging. Vor sich sah sie ihre Mutter bei den Mägden sitzen, welche die Äpfel in große Kisten packten, und Seneïde, die ihre langen, schwarzen Arme emporstreckte, um die Körbe in Empfang zu nehmen. Der Wind trug Obstdüfte zu Beate herüber. Wenn sie emporschaute, war der Himmel hellblau und voll segelnder Sommerfäden. Alles, was sie erlebt, schien ihr dann so ferne. Es war ihr, als sei sie noch das kleine Kaltiner Mädchen und wartete friedlich auf das Schöne, das im Leben für sie bereit lag. Doch dann faltete sie plötzlich die Hände und in ihren Augen erwogte ein angstvolles Flackern. Das war die Todesfurcht, die sie jetzt zuweilen erfaßte. Seneïde kam und setzte sich zu ihr.</p> <p>„Wie geht es, Beating? Du machst solche Augen?“</p> <p>„Ich dachte – wenn – wenn ich das Kind nicht erlebe – wenn …“</p> <p>„Was tut das,“ sagte Seneïde heiter. „Eine Mutter, dort oben bei Gott, kann vielleicht mehr für ihr Kind sorgen, als wir hier …“</p> </div> </body> </text> </TEI> [50/0052]
Siebentes Kapitel
Helle Spätherbsttage. Gelb lag der Sonnenschein auf den bunten Bäumen. Unten im Obstgarten wurde die Äpfelernte vorgenommen.
Günther war abwesend.
Beate hatte sich ihren Sessel in den Obstgarten stellen lassen, wo die Sonne noch schön wärmte. Sie war guter Hoffnung und schwerfällig geworden. So saß sie gern ruhig da und sann dem Wunderbaren nach, das in ihr vorging. Vor sich sah sie ihre Mutter bei den Mägden sitzen, welche die Äpfel in große Kisten packten, und Seneïde, die ihre langen, schwarzen Arme emporstreckte, um die Körbe in Empfang zu nehmen. Der Wind trug Obstdüfte zu Beate herüber. Wenn sie emporschaute, war der Himmel hellblau und voll segelnder Sommerfäden. Alles, was sie erlebt, schien ihr dann so ferne. Es war ihr, als sei sie noch das kleine Kaltiner Mädchen und wartete friedlich auf das Schöne, das im Leben für sie bereit lag. Doch dann faltete sie plötzlich die Hände und in ihren Augen erwogte ein angstvolles Flackern. Das war die Todesfurcht, die sie jetzt zuweilen erfaßte. Seneïde kam und setzte sich zu ihr.
„Wie geht es, Beating? Du machst solche Augen?“
„Ich dachte – wenn – wenn ich das Kind nicht erlebe – wenn …“
„Was tut das,“ sagte Seneïde heiter. „Eine Mutter, dort oben bei Gott, kann vielleicht mehr für ihr Kind sorgen, als wir hier …“
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/52 |
Zitationshilfe: | von Keyserling, Eduard: Beate und Mareile. Eine Schloßgeschichte. Berlin, [1909], S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keyserling_beatemareile_1903/52>, abgerufen am 26.06.2022. |