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Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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einem zerschossenen Arme, aber sonst noch rüstig, in sein väterliches Dorf zurückkehrte, ein Weib nahm und sein kleines Erbgut zu bewirthschaften anfing, da wandte er Alles, was er gesehen und in achtsamen Herzen bewahrt hatte, auf sein Arbeiten an, nicht in dem neuernden Geiste halber Bauernbildung, der Alles versucht und gleich wieder aufgiebt, bevor es sich als nützlich hat bewähren können, sondern mit besonnener und geduldiger Prüfung. Zum Staunen des Dorfes trat er, der schlichte Mann vom Pfluge, in einen benachbarten Verein reicher und gebildeter Grundbesitzer ein, der eben damals zur Aufbesserung der schmählich vernachlässigten Landwirthschaft jener Gebirge zusammentrat; gern nahmen ihn die Theoretiker auf, die von seinem sichern Blick und seiner verständigen Erfahrung Vieles lernten, während dagegen er von ihnen die Resultate der neuern Wissenschaft für den Landbau empfing und sogleich benützte. In fünfzehn Jahren stand der Mann, der so klein angefangen hatte, bloß durch die Macht des Verstandes unter den wohlhabendsten Leuten seiner Gemeinde da, und die erst über seine neuen Bebauungsweisen und die wunderlichen Besserungen und Futterkräuter lächelnd den Kopf geschüttelt, beeiferten sich jetzt von ihm zu lernen. Man wählte ihn zum Schöffen, und wenn er seine Meinung über eine gemeinschaftliche Maßregel im Gemeinderath oder auch im Wirthshause vortrug, so war Alles still, dem klaren scharfen Auge, den ruhig hingestellten Gründen, der beredten prakti-

einem zerschossenen Arme, aber sonst noch rüstig, in sein väterliches Dorf zurückkehrte, ein Weib nahm und sein kleines Erbgut zu bewirthschaften anfing, da wandte er Alles, was er gesehen und in achtsamen Herzen bewahrt hatte, auf sein Arbeiten an, nicht in dem neuernden Geiste halber Bauernbildung, der Alles versucht und gleich wieder aufgiebt, bevor es sich als nützlich hat bewähren können, sondern mit besonnener und geduldiger Prüfung. Zum Staunen des Dorfes trat er, der schlichte Mann vom Pfluge, in einen benachbarten Verein reicher und gebildeter Grundbesitzer ein, der eben damals zur Aufbesserung der schmählich vernachlässigten Landwirthschaft jener Gebirge zusammentrat; gern nahmen ihn die Theoretiker auf, die von seinem sichern Blick und seiner verständigen Erfahrung Vieles lernten, während dagegen er von ihnen die Resultate der neuern Wissenschaft für den Landbau empfing und sogleich benützte. In fünfzehn Jahren stand der Mann, der so klein angefangen hatte, bloß durch die Macht des Verstandes unter den wohlhabendsten Leuten seiner Gemeinde da, und die erst über seine neuen Bebauungsweisen und die wunderlichen Besserungen und Futterkräuter lächelnd den Kopf geschüttelt, beeiferten sich jetzt von ihm zu lernen. Man wählte ihn zum Schöffen, und wenn er seine Meinung über eine gemeinschaftliche Maßregel im Gemeinderath oder auch im Wirthshause vortrug, so war Alles still, dem klaren scharfen Auge, den ruhig hingestellten Gründen, der beredten prakti-

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:40:10Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:40:10Z)

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Zitationshilfe: Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/12>, abgerufen am 26.04.2024.