Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.pkl_030.001 Die Eigenthümlichkeit des Hexameters hat A. W. pkl_030.013 Der Hexameter. pkl_030.0151) Gleich wie sich dem, der die See durchschifft, auf offener pkl_030.016 2) Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend umschränkt pkl_030.018 3) Daß der umwölbende Himmel die Zahl zahlloser Gestirne, pkl_030.0204) Bei hell athmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe: pkl_030.0215) So auch trägt das Gemüth der Hexameter; ruhig umfaßend pkl_030.0226) Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den pkl_030.023 7) Kreißender Fluth, urväterlich so den Geschlechtern der pkl_030.025 8) Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher, pkl_030.0279) Alle Gewäßer auf Erden entrieselen oder entbrausen. -- pkl_030.02810) Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern pkl_030.02911) Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog' Abgründe pkl_030.03012) Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd pkl_030.031 13) So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen, pkl_030.03314) Bald, o, wie kühn in dem Schwung! der Hexameter; pkl_030.034 15) Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich pkl_030.036 pkl_030.001 Die Eigenthümlichkeit des Hexameters hat A. W. pkl_030.013 Der Hexameter. pkl_030.0151) Gleich wie sich dem, der die See durchschifft, auf offener pkl_030.016 2) Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend umschränkt pkl_030.018 3) Daß der umwölbende Himmel die Zahl zahlloser Gestirne, pkl_030.0204) Bei hell athmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe: pkl_030.0215) So auch trägt das Gemüth der Hexameter; ruhig umfaßend pkl_030.0226) Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den pkl_030.023 7) Kreißender Fluth, urväterlich so den Geschlechtern der pkl_030.025 8) Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher, pkl_030.0279) Alle Gewäßer auf Erden entrieselen oder entbrausen. — pkl_030.02810) Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern pkl_030.02911) Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog' Abgründe pkl_030.03012) Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd pkl_030.031 13) So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen, pkl_030.03314) Bald, o, wie kühn in dem Schwung! der Hexameter; pkl_030.034 15) Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich pkl_030.036 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0056" n="30"/><lb n="pkl_030.001"/> selten, meist nur in besonderer Rücksicht auf den Jnhalt <lb n="pkl_030.002"/> des Verses, gebraucht. (Siehe unten Vers 9.) Dagegen <lb n="pkl_030.003"/> werden, den antiken Mustern entsprechend, die <lb n="pkl_030.004"/> Daktylen mit Spondeen gemischt und zwar so, daß die <lb n="pkl_030.005"/> Spondeen jeden beliebigen Takt erfüllen können. (Siehe <lb n="pkl_030.006"/> unten Vers 4, 5, 6, 7, 8.) Jm fünften Takte jedoch <lb n="pkl_030.007"/> wendet man sie nur dann an, wenn besondere (malerische) <lb n="pkl_030.008"/> Zwecke obwalten. (Siehe unten Vers 11.) Dasselbe <lb n="pkl_030.009"/> gilt von der Ausfüllung der vier ersten Takte durch <lb n="pkl_030.010"/> lauter Spondeen. (Siehe unten Vers 10.) Am meisten <lb n="pkl_030.011"/> liebt man den Spondeus im <hi rendition="#g">sechsten</hi> Takt.</p> <lb n="pkl_030.012"/> <p> Die Eigenthümlichkeit des Hexameters hat A. W. <lb n="pkl_030.013"/> <hi rendition="#g">Schlegel</hi> in folgendem Gedicht herrlich geschildert:</p> <lb n="pkl_030.014"/> <p> <hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Der Hexameter</hi>.</hi> </p> <lb n="pkl_030.015"/> <p>1) Gleich wie sich dem, der die See durchschifft, auf offener <lb n="pkl_030.016"/> Meerhöh</p> <lb n="pkl_030.017"/> <p>2) Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend umschränkt <lb n="pkl_030.018"/> ist,</p> <lb n="pkl_030.019"/> <p>3) Daß der umwölbende Himmel die Zahl zahlloser Gestirne,</p> <lb n="pkl_030.020"/> <p>4) Bei hell athmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe:</p> <lb n="pkl_030.021"/> <p>5) So auch trägt das Gemüth der Hexameter; ruhig umfaßend</p> <lb n="pkl_030.022"/> <p>6) Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den <lb n="pkl_030.023"/> Schooß auf </p> <lb n="pkl_030.024"/> <p>7) Kreißender Fluth, urväterlich so den Geschlechtern der <lb n="pkl_030.025"/> Rhythmen,</p> <lb n="pkl_030.026"/> <p>8) Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher,</p> <lb n="pkl_030.027"/> <p>9) Alle Gewäßer auf Erden entrieselen oder entbrausen. —</p> <lb n="pkl_030.028"/> <p>10) Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern</p> <lb n="pkl_030.029"/> <p>11) Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog' Abgründe</p> <lb n="pkl_030.030"/> <p>12) Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd <lb n="pkl_030.031"/> dahinreißt:</p> <lb n="pkl_030.032"/> <p>13) So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen,</p> <lb n="pkl_030.033"/> <p>14) Bald, o, wie kühn in dem Schwung! der Hexameter; <lb n="pkl_030.034"/> immer sich selbst gleich,</p> <lb n="pkl_030.035"/> <p>15) Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich <lb n="pkl_030.036"/> gürtet,</p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0056]
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selten, meist nur in besonderer Rücksicht auf den Jnhalt pkl_030.002
des Verses, gebraucht. (Siehe unten Vers 9.) Dagegen pkl_030.003
werden, den antiken Mustern entsprechend, die pkl_030.004
Daktylen mit Spondeen gemischt und zwar so, daß die pkl_030.005
Spondeen jeden beliebigen Takt erfüllen können. (Siehe pkl_030.006
unten Vers 4, 5, 6, 7, 8.) Jm fünften Takte jedoch pkl_030.007
wendet man sie nur dann an, wenn besondere (malerische) pkl_030.008
Zwecke obwalten. (Siehe unten Vers 11.) Dasselbe pkl_030.009
gilt von der Ausfüllung der vier ersten Takte durch pkl_030.010
lauter Spondeen. (Siehe unten Vers 10.) Am meisten pkl_030.011
liebt man den Spondeus im sechsten Takt.
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Die Eigenthümlichkeit des Hexameters hat A. W. pkl_030.013
Schlegel in folgendem Gedicht herrlich geschildert:
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Der Hexameter.
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1) Gleich wie sich dem, der die See durchschifft, auf offener pkl_030.016
Meerhöh
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2) Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend umschränkt pkl_030.018
ist,
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3) Daß der umwölbende Himmel die Zahl zahlloser Gestirne,
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4) Bei hell athmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe:
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5) So auch trägt das Gemüth der Hexameter; ruhig umfaßend
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6) Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den pkl_030.023
Schooß auf
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7) Kreißender Fluth, urväterlich so den Geschlechtern der pkl_030.025
Rhythmen,
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8) Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher,
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9) Alle Gewäßer auf Erden entrieselen oder entbrausen. —
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10) Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern
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11) Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog' Abgründe
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12) Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd pkl_030.031
dahinreißt:
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13) So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen,
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14) Bald, o, wie kühn in dem Schwung! der Hexameter; pkl_030.034
immer sich selbst gleich,
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15) Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich pkl_030.036
gürtet,
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Zitationshilfe: | Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/56>, abgerufen am 17.06.2024. |