Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

Bild:
<< vorherige Seite

nung; ich dichtete zu ihrer Begleitung fol-
genden
Dithyrambus über den Frühling.

"Du erscheinst, und erschrocken flieht dein
finsterer Bruder, und die Schilde und Panzer,
worin er gewaffnet dastand, rasseln durchein-
anderstürzend und zerbrechen; und siehe errö-
thend in Morgengluth tritt die junge Erde
hervor, wie eine blühende Jungfrau; und du
küssest die Geliebte, Jüngling, und schlingst
ihr den Brautkranz in die Locken. Da sinkt
der letzte Glätscher und das erstarrte Element
wird frei, und fließt still dahin zwischen Blu-
men und überwölkt von grünen Gebüschen,
die Berge halten ihre Sennenhütten hoch in
die blaue Luft, und an ihren Abhängen kleben
die gefleckten Heerden. Blumen blühen und
träumen Liebe, und die Nachtigall singt sie in
den Gesträuchen. Die Bäume schlingen ihre
Zweige in duftige Kränze, und reichen sie zum
Himmel empor; der Adler steigt betend in

nung; ich dichtete zu ihrer Begleitung fol-
genden
Dithyrambus uͤber den Fruͤhling.

„Du erſcheinſt, und erſchrocken flieht dein
finſterer Bruder, und die Schilde und Panzer,
worin er gewaffnet daſtand, raſſeln durchein-
anderſtuͤrzend und zerbrechen; und ſiehe erroͤ-
thend in Morgengluth tritt die junge Erde
hervor, wie eine bluͤhende Jungfrau; und du
kuͤſſeſt die Geliebte, Juͤngling, und ſchlingſt
ihr den Brautkranz in die Locken. Da ſinkt
der letzte Glaͤtſcher und das erſtarrte Element
wird frei, und fließt ſtill dahin zwiſchen Blu-
men und uͤberwoͤlkt von gruͤnen Gebuͤſchen,
die Berge halten ihre Sennenhuͤtten hoch in
die blaue Luft, und an ihren Abhaͤngen kleben
die gefleckten Heerden. Blumen bluͤhen und
traͤumen Liebe, und die Nachtigall ſingt ſie in
den Geſtraͤuchen. Die Baͤume ſchlingen ihre
Zweige in duftige Kraͤnze, und reichen ſie zum
Himmel empor; der Adler ſteigt betend in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="218"/>
nung; ich dichtete zu ihrer Begleitung fol-<lb/>
genden<lb/><hi rendition="#c"><hi rendition="#g">Dithyrambus u&#x0364;ber den Fru&#x0364;hling</hi>.</hi></p><lb/>
        <p>&#x201E;Du er&#x017F;chein&#x017F;t, und er&#x017F;chrocken flieht dein<lb/>
fin&#x017F;terer Bruder, und die Schilde und Panzer,<lb/>
worin er gewaffnet da&#x017F;tand, ra&#x017F;&#x017F;eln durchein-<lb/>
ander&#x017F;tu&#x0364;rzend und zerbrechen; und &#x017F;iehe erro&#x0364;-<lb/>
thend in Morgengluth tritt die junge Erde<lb/>
hervor, wie eine blu&#x0364;hende Jungfrau; und du<lb/>
ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t die Geliebte, Ju&#x0364;ngling, und &#x017F;chling&#x017F;t<lb/>
ihr den Brautkranz in die Locken. Da &#x017F;inkt<lb/>
der letzte Gla&#x0364;t&#x017F;cher und das er&#x017F;tarrte Element<lb/>
wird frei, und fließt &#x017F;till dahin zwi&#x017F;chen Blu-<lb/>
men und u&#x0364;berwo&#x0364;lkt von gru&#x0364;nen Gebu&#x0364;&#x017F;chen,<lb/>
die Berge halten ihre Sennenhu&#x0364;tten hoch in<lb/>
die blaue Luft, und an ihren Abha&#x0364;ngen kleben<lb/>
die gefleckten Heerden. Blumen blu&#x0364;hen und<lb/>
tra&#x0364;umen Liebe, und die Nachtigall &#x017F;ingt &#x017F;ie in<lb/>
den Ge&#x017F;tra&#x0364;uchen. Die Ba&#x0364;ume &#x017F;chlingen ihre<lb/>
Zweige in duftige Kra&#x0364;nze, und reichen &#x017F;ie zum<lb/>
Himmel empor; der Adler &#x017F;teigt betend in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[218/0220] nung; ich dichtete zu ihrer Begleitung fol- genden Dithyrambus uͤber den Fruͤhling. „Du erſcheinſt, und erſchrocken flieht dein finſterer Bruder, und die Schilde und Panzer, worin er gewaffnet daſtand, raſſeln durchein- anderſtuͤrzend und zerbrechen; und ſiehe erroͤ- thend in Morgengluth tritt die junge Erde hervor, wie eine bluͤhende Jungfrau; und du kuͤſſeſt die Geliebte, Juͤngling, und ſchlingſt ihr den Brautkranz in die Locken. Da ſinkt der letzte Glaͤtſcher und das erſtarrte Element wird frei, und fließt ſtill dahin zwiſchen Blu- men und uͤberwoͤlkt von gruͤnen Gebuͤſchen, die Berge halten ihre Sennenhuͤtten hoch in die blaue Luft, und an ihren Abhaͤngen kleben die gefleckten Heerden. Blumen bluͤhen und traͤumen Liebe, und die Nachtigall ſingt ſie in den Geſtraͤuchen. Die Baͤume ſchlingen ihre Zweige in duftige Kraͤnze, und reichen ſie zum Himmel empor; der Adler ſteigt betend in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/220
Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/220>, abgerufen am 03.05.2024.