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Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805.

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den Sonnenglanz auf, wie zu Gott, und die
Lerche wirbelt ihm nach, jubelnd über der ge-
schmückten Erde. Jeder duftende Kelch wird
zu einer Brautkammer, jedes Blatt ist eine
kleine Welt, und alles saugt Leben und Liebe
an dem heißen Herzen der Mutter! -- Nur
der Mensch --"

Hier verstummte plözlich das Alphorn, und
der lezte Ton und das lezte Wort verhallten
langsam und sterbend.

"Hast du nur bis zu diesem Worte ge-
schrieben, Mutter Natur? Und in wessen Hand
überlieferst du die Feder zur Fortsetzung? --
Kannst du es nimmer lösen, warum alle deine
Geschöpfe träumend glücklich sind, und nur
der Mensch wachend dasteht und fragend --
ohne Antwort zu erhalten? -- Wo liegt der
Tempel des Apollo -- wo ist die Stimme, die
einzig antwortende? Ich höre nichts, als Wie-
derhall, Wiederhall meiner eigenen Rede --
bin ich denn allein?


den Sonnenglanz auf, wie zu Gott, und die
Lerche wirbelt ihm nach, jubelnd uͤber der ge-
ſchmuͤckten Erde. Jeder duftende Kelch wird
zu einer Brautkammer, jedes Blatt iſt eine
kleine Welt, und alles ſaugt Leben und Liebe
an dem heißen Herzen der Mutter! — Nur
der Menſch —“

Hier verſtummte ploͤzlich das Alphorn, und
der lezte Ton und das lezte Wort verhallten
langſam und ſterbend.

„Haſt du nur bis zu dieſem Worte ge-
ſchrieben, Mutter Natur? Und in weſſen Hand
uͤberlieferſt du die Feder zur Fortſetzung? —
Kannſt du es nimmer loͤſen, warum alle deine
Geſchoͤpfe traͤumend gluͤcklich ſind, und nur
der Menſch wachend daſteht und fragend —
ohne Antwort zu erhalten? — Wo liegt der
Tempel des Apollo — wo iſt die Stimme, die
einzig antwortende? Ich hoͤre nichts, als Wie-
derhall, Wiederhall meiner eigenen Rede —
bin ich denn allein?


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[219/0221] den Sonnenglanz auf, wie zu Gott, und die Lerche wirbelt ihm nach, jubelnd uͤber der ge- ſchmuͤckten Erde. Jeder duftende Kelch wird zu einer Brautkammer, jedes Blatt iſt eine kleine Welt, und alles ſaugt Leben und Liebe an dem heißen Herzen der Mutter! — Nur der Menſch —“ Hier verſtummte ploͤzlich das Alphorn, und der lezte Ton und das lezte Wort verhallten langſam und ſterbend. „Haſt du nur bis zu dieſem Worte ge- ſchrieben, Mutter Natur? Und in weſſen Hand uͤberlieferſt du die Feder zur Fortſetzung? — Kannſt du es nimmer loͤſen, warum alle deine Geſchoͤpfe traͤumend gluͤcklich ſind, und nur der Menſch wachend daſteht und fragend — ohne Antwort zu erhalten? — Wo liegt der Tempel des Apollo — wo iſt die Stimme, die einzig antwortende? Ich hoͤre nichts, als Wie- derhall, Wiederhall meiner eigenen Rede — bin ich denn allein?

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Zitationshilfe: Klingemann, Ernst August Friedrich: Nachtwachen. Penig, 1805, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klingemann_nachtwachen_1805/221>, abgerufen am 03.05.2024.