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[Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756.

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Der Messias.
Also durchdrang die Frommen des Todesengels Erwartung.
Aber keiner empfand den nähern Tod des Versöners,
Als der Vater, und als ihn die Mutter der Menschen empfanden.
Da sich Uriel wendet', und nun sein entschimmertes Antliz
Unter den Engeln verbarg; da standen sie beyde (Sie waren
Noch bey einander,) mit starren, mit hingehefteten Blicken
Unbeweglich, und fühlten in ihrem innersten Leben
Jeden Schrecken der Donnerworte des Engels von neuem!
Endlich sahen sie sich! So wird am lezten der Tage
Seinen Gewählten, der Freund, der Bruder den Bruder, erkennen,
Welchen er kurz vorher, im Erstaunen verloren, nur ansah.
Denn der Posaune gebietendes Tönen, der Hall der Gefilde,
Die vor der mächtigen Arbeit der Auferstehung erbebten,
Und ihr eignes Gefühl des umgeschaffenen Lebens,
Hatten iedem anderen Eindruck ihr Herz noch verschlossen.
Eva reicht ihm weinend die Hand. Was sollen wir, sagte
Sie mit Worten, die kaum zum Laute wurden, o Adam,
Sage du es, was sollen wir thun? was sollen wir nicht thun?
Wollen wir gehn, und suchen, wo irgend am tiefsten die Tief ist?
Dort uns niederwerfen in Staub? zum Allmächtigen flehen?
Ach, zum tödtenden Richter, daß er den Tod ihm lindre?
Adam hielt ihr weinend die Hand. Nein, Mutter der Menschen,
Wir sind viel zu endlich, für ihn, zum Richter zu flehen.
Wenn mit unaussprechlicher Wehmut, mit ringender Jnbrunst,
Daniel, Hiob, und Noah, mit uns, wenn selber der erste
Aller Erschaffnen, Eloa, es thäte; wir flehten vergebens!
Was dem Geopferten Gottes noch zu erdulden gesetzt ist,
Das,
Der Meſſias.
Alſo durchdrang die Frommen des Todesengels Erwartung.
Aber keiner empfand den naͤhern Tod des Verſoͤners,
Als der Vater, und als ihn die Mutter der Menſchen empfanden.
Da ſich Uriel wendet’, und nun ſein entſchimmertes Antliz
Unter den Engeln verbarg; da ſtanden ſie beyde (Sie waren
Noch bey einander,) mit ſtarren, mit hingehefteten Blicken
Unbeweglich, und fuͤhlten in ihrem innerſten Leben
Jeden Schrecken der Donnerworte des Engels von neuem!
Endlich ſahen ſie ſich! So wird am lezten der Tage
Seinen Gewaͤhlten, der Freund, der Bruder den Bruder, erkennen,
Welchen er kurz vorher, im Erſtaunen verloren, nur anſah.
Denn der Poſaune gebietendes Toͤnen, der Hall der Gefilde,
Die vor der maͤchtigen Arbeit der Auferſtehung erbebten,
Und ihr eignes Gefuͤhl des umgeſchaffenen Lebens,
Hatten iedem anderen Eindruck ihr Herz noch verſchloſſen.
Eva reicht ihm weinend die Hand. Was ſollen wir, ſagte
Sie mit Worten, die kaum zum Laute wurden, o Adam,
Sage du es, was ſollen wir thun? was ſollen wir nicht thun?
Wollen wir gehn, und ſuchen, wo irgend am tiefſten die Tief iſt?
Dort uns niederwerfen in Staub? zum Allmaͤchtigen flehen?
Ach, zum toͤdtenden Richter, daß er den Tod ihm lindre?
Adam hielt ihr weinend die Hand. Nein, Mutter der Menſchen,
Wir ſind viel zu endlich, fuͤr ihn, zum Richter zu flehen.
Wenn mit unausſprechlicher Wehmut, mit ringender Jnbrunſt,
Daniel, Hiob, und Noah, mit uns, wenn ſelber der erſte
Aller Erſchaffnen, Eloa, es thaͤte; wir flehten vergebens!
Was dem Geopferten Gottes noch zu erdulden geſetzt iſt,
Das,
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[150/0180] Der Meſſias. Alſo durchdrang die Frommen des Todesengels Erwartung. Aber keiner empfand den naͤhern Tod des Verſoͤners, Als der Vater, und als ihn die Mutter der Menſchen empfanden. Da ſich Uriel wendet’, und nun ſein entſchimmertes Antliz Unter den Engeln verbarg; da ſtanden ſie beyde (Sie waren Noch bey einander,) mit ſtarren, mit hingehefteten Blicken Unbeweglich, und fuͤhlten in ihrem innerſten Leben Jeden Schrecken der Donnerworte des Engels von neuem! Endlich ſahen ſie ſich! So wird am lezten der Tage Seinen Gewaͤhlten, der Freund, der Bruder den Bruder, erkennen, Welchen er kurz vorher, im Erſtaunen verloren, nur anſah. Denn der Poſaune gebietendes Toͤnen, der Hall der Gefilde, Die vor der maͤchtigen Arbeit der Auferſtehung erbebten, Und ihr eignes Gefuͤhl des umgeſchaffenen Lebens, Hatten iedem anderen Eindruck ihr Herz noch verſchloſſen. Eva reicht ihm weinend die Hand. Was ſollen wir, ſagte Sie mit Worten, die kaum zum Laute wurden, o Adam, Sage du es, was ſollen wir thun? was ſollen wir nicht thun? Wollen wir gehn, und ſuchen, wo irgend am tiefſten die Tief iſt? Dort uns niederwerfen in Staub? zum Allmaͤchtigen flehen? Ach, zum toͤdtenden Richter, daß er den Tod ihm lindre? Adam hielt ihr weinend die Hand. Nein, Mutter der Menſchen, Wir ſind viel zu endlich, fuͤr ihn, zum Richter zu flehen. Wenn mit unausſprechlicher Wehmut, mit ringender Jnbrunſt, Daniel, Hiob, und Noah, mit uns, wenn ſelber der erſte Aller Erſchaffnen, Eloa, es thaͤte; wir flehten vergebens! Was dem Geopferten Gottes noch zu erdulden geſetzt iſt, Das,

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Zitationshilfe: [Klopstock, Friedrich Gottlieb]: Der Messias. Bd. 2. Halle, 1756, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/klopstock_messias02_1756/180>, abgerufen am 26.04.2024.