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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

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erfordert, welch eine köstliche Zeit, sich aus dem
Nichts heraus zu windeu, darin man durch das
blinde Ohngefär der Geburt versenkt ist. Wie
viel Thaten müssen erst verrichtet werden, ehe
man diesen Flekken abwaschen kan, und hat man
sie gethan, und steht als ein angesehner Mann im
Dienst des Staats und der Kirche, Glük und
Segen um sich verbreitend, so zischt der hämische
Neid, und blökt seine Zähne über den Bastard;
wenn seine Verdienste laut sprechen, so stammelt
eine schwindsüchtige Matrone, oder eine stolze
Dame, die oft selbst ihren Vater nicht bestimmen
kan, das so gewönliche Lied her -- ja, wenn
er uur von ehrlicher Abkunft wäre!
Denn
dies ist immer der Lauf der Welt, daß man
das bei andern zu tadelu sucht, was man
bei sich selbst vermißt, daß man alsdann oft mit
hoher Herkunft prunkt, wenn man sich einer
niedern Abkunft bewust ist.

Warum hebt man aber überhaupt das Vor-
urteil der Geburt
nicht auf? kan die Würkung
eines blossen Ohngefärs mir Würde und Ansehen
verleihen? Das kan nur der Adel des Herzens,
die Grösse des Geistes -- Jch will dadurch
nicht die verschiedenen Stände aufheben, die

erfordert, welch eine koͤſtliche Zeit, ſich aus dem
Nichts heraus zu windeu, darin man durch das
blinde Ohngefaͤr der Geburt verſenkt iſt. Wie
viel Thaten muͤſſen erſt verrichtet werden, ehe
man dieſen Flekken abwaſchen kan, und hat man
ſie gethan, und ſteht als ein angeſehner Mann im
Dienſt des Staats und der Kirche, Gluͤk und
Segen um ſich verbreitend, ſo ziſcht der haͤmiſche
Neid, und bloͤkt ſeine Zaͤhne uͤber den Baſtard;
wenn ſeine Verdienſte laut ſprechen, ſo ſtammelt
eine ſchwindſuͤchtige Matrone, oder eine ſtolze
Dame, die oft ſelbſt ihren Vater nicht beſtimmen
kan, das ſo gewoͤnliche Lied her — ja, wenn
er uur von ehrlicher Abkunft waͤre!
Denn
dies iſt immer der Lauf der Welt, daß man
das bei andern zu tadelu ſucht, was man
bei ſich ſelbſt vermißt, daß man alsdann oft mit
hoher Herkunft prunkt, wenn man ſich einer
niedern Abkunft bewuſt iſt.

Warum hebt man aber uͤberhaupt das Vor-
urteil der Geburt
nicht auf? kan die Wuͤrkung
eines bloſſen Ohngefaͤrs mir Wuͤrde und Anſehen
verleihen? Das kan nur der Adel des Herzens,
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[146/0154] erfordert, welch eine koͤſtliche Zeit, ſich aus dem Nichts heraus zu windeu, darin man durch das blinde Ohngefaͤr der Geburt verſenkt iſt. Wie viel Thaten muͤſſen erſt verrichtet werden, ehe man dieſen Flekken abwaſchen kan, und hat man ſie gethan, und ſteht als ein angeſehner Mann im Dienſt des Staats und der Kirche, Gluͤk und Segen um ſich verbreitend, ſo ziſcht der haͤmiſche Neid, und bloͤkt ſeine Zaͤhne uͤber den Baſtard; wenn ſeine Verdienſte laut ſprechen, ſo ſtammelt eine ſchwindſuͤchtige Matrone, oder eine ſtolze Dame, die oft ſelbſt ihren Vater nicht beſtimmen kan, das ſo gewoͤnliche Lied her — ja, wenn er uur von ehrlicher Abkunft waͤre! Denn dies iſt immer der Lauf der Welt, daß man das bei andern zu tadelu ſucht, was man bei ſich ſelbſt vermißt, daß man alsdann oft mit hoher Herkunft prunkt, wenn man ſich einer niedern Abkunft bewuſt iſt. Warum hebt man aber uͤberhaupt das Vor- urteil der Geburt nicht auf? kan die Wuͤrkung eines bloſſen Ohngefaͤrs mir Wuͤrde und Anſehen verleihen? Das kan nur der Adel des Herzens, die Groͤſſe des Geiſtes — Jch will dadurch nicht die verſchiedenen Staͤnde aufheben, die

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Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/154>, abgerufen am 30.04.2024.