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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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niedriger von den Felsen herabstürzen, große und klei-
ne Bäche herunterrieseln, unten vereinigt durch grüne Wie-
sen sich fortschlängeln, sehen hinter sich eine zerfallene Burg
auf einer gänzlich unterwaschenen Klippe, und weiter links
abermals die Ruinen eines Schlosses, dem der wohlerhal-
tene Wartthurm auf dem entfernteren Bergrücken nicht
mehr zum Schutze dient; sehen rechts mit ganz zurückge-
bogenen Nacken die schroffesten, gleich einer Wand von
Quadersteinen abgeschnittenen Felsen, die hoch oben ein
drohendes Gewölbe bilden, unter welchem der Wanderer
nur mit Grauen hinwegschleicht; denn hier und dort war-
nen ihn abgerissene, herniedergerollte Steinklumpen; und
unter diesem furchtbaren Gewölbe schimmern dennoch
hier und da die blauen Früchte des Weinstocks herab,
und dicht am Rande desselben steht ein neues Haus von
hervorragenden Steinen in der Luft getragen; den Hin-
tergrund dieses göttlich-schönen Thales schließt das Städt-
chen Cerdon mit weißen freundlichen Häusern. -- Ver-
zeihen Sie, wenn ich, meinem Vorsatz ungetreu, fast zu
einer Beschreibung hingerissen worden bin. Ach! hier war
es, wo mich zum ersten Male wieder ein Gefühl wehmü-
thiger Heiterkeit ergriff. -- Wahrlich! die Schönheiten
des Weges von Genf bis Cerdon sind allein einer Reise
werth, und vielleicht am meisten jetzt in der Weinlese,
wo man überall die frohen Menschen sich regen und be-
wegen sieht, und wo jeder lachend bekennt, daß er nicht
Gefäße genug hat, den Segen der Natur einzusammeln.
Alle Augenblicke begegnen Jhnen große Wagen mit off-
nen, voll Weintrauben gepfropften Fässern, oder die Fäs-
ser stehen in langen Reihen an der Landstraße, und Alt
und Jung ist beschäftigt, die Trauben hineinzustampfen.
Lockt Sie der Anblick, sind Sie durstig, so fordern Sie

niedriger von den Felsen herabstuͤrzen, große und klei-
ne Baͤche herunterrieseln, unten vereinigt durch gruͤne Wie-
sen sich fortschlaͤngeln, sehen hinter sich eine zerfallene Burg
auf einer gaͤnzlich unterwaschenen Klippe, und weiter links
abermals die Ruinen eines Schlosses, dem der wohlerhal-
tene Wartthurm auf dem entfernteren Bergruͤcken nicht
mehr zum Schutze dient; sehen rechts mit ganz zuruͤckge-
bogenen Nacken die schroffesten, gleich einer Wand von
Quadersteinen abgeschnittenen Felsen, die hoch oben ein
drohendes Gewoͤlbe bilden, unter welchem der Wanderer
nur mit Grauen hinwegschleicht; denn hier und dort war-
nen ihn abgerissene, herniedergerollte Steinklumpen; und
unter diesem furchtbaren Gewoͤlbe schimmern dennoch
hier und da die blauen Fruͤchte des Weinstocks herab,
und dicht am Rande desselben steht ein neues Haus von
hervorragenden Steinen in der Luft getragen; den Hin-
tergrund dieses goͤttlich-schoͤnen Thales schließt das Staͤdt-
chen Cerdon mit weißen freundlichen Haͤusern. — Ver-
zeihen Sie, wenn ich, meinem Vorsatz ungetreu, fast zu
einer Beschreibung hingerissen worden bin. Ach! hier war
es, wo mich zum ersten Male wieder ein Gefuͤhl wehmuͤ-
thiger Heiterkeit ergriff. — Wahrlich! die Schoͤnheiten
des Weges von Genf bis Cerdon sind allein einer Reise
werth, und vielleicht am meisten jetzt in der Weinlese,
wo man uͤberall die frohen Menschen sich regen und be-
wegen sieht, und wo jeder lachend bekennt, daß er nicht
Gefaͤße genug hat, den Segen der Natur einzusammeln.
Alle Augenblicke begegnen Jhnen große Wagen mit off-
nen, voll Weintrauben gepfropften Faͤssern, oder die Faͤs-
ser stehen in langen Reihen an der Landstraße, und Alt
und Jung ist beschaͤftigt, die Trauben hineinzustampfen.
Lockt Sie der Anblick, sind Sie durstig, so fordern Sie

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[39/0043] niedriger von den Felsen herabstuͤrzen, große und klei- ne Baͤche herunterrieseln, unten vereinigt durch gruͤne Wie- sen sich fortschlaͤngeln, sehen hinter sich eine zerfallene Burg auf einer gaͤnzlich unterwaschenen Klippe, und weiter links abermals die Ruinen eines Schlosses, dem der wohlerhal- tene Wartthurm auf dem entfernteren Bergruͤcken nicht mehr zum Schutze dient; sehen rechts mit ganz zuruͤckge- bogenen Nacken die schroffesten, gleich einer Wand von Quadersteinen abgeschnittenen Felsen, die hoch oben ein drohendes Gewoͤlbe bilden, unter welchem der Wanderer nur mit Grauen hinwegschleicht; denn hier und dort war- nen ihn abgerissene, herniedergerollte Steinklumpen; und unter diesem furchtbaren Gewoͤlbe schimmern dennoch hier und da die blauen Fruͤchte des Weinstocks herab, und dicht am Rande desselben steht ein neues Haus von hervorragenden Steinen in der Luft getragen; den Hin- tergrund dieses goͤttlich-schoͤnen Thales schließt das Staͤdt- chen Cerdon mit weißen freundlichen Haͤusern. — Ver- zeihen Sie, wenn ich, meinem Vorsatz ungetreu, fast zu einer Beschreibung hingerissen worden bin. Ach! hier war es, wo mich zum ersten Male wieder ein Gefuͤhl wehmuͤ- thiger Heiterkeit ergriff. — Wahrlich! die Schoͤnheiten des Weges von Genf bis Cerdon sind allein einer Reise werth, und vielleicht am meisten jetzt in der Weinlese, wo man uͤberall die frohen Menschen sich regen und be- wegen sieht, und wo jeder lachend bekennt, daß er nicht Gefaͤße genug hat, den Segen der Natur einzusammeln. Alle Augenblicke begegnen Jhnen große Wagen mit off- nen, voll Weintrauben gepfropften Faͤssern, oder die Faͤs- ser stehen in langen Reihen an der Landstraße, und Alt und Jung ist beschaͤftigt, die Trauben hineinzustampfen. Lockt Sie der Anblick, sind Sie durstig, so fordern Sie

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/43>, abgerufen am 28.04.2024.