Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

Bild:
<< vorherige Seite

Jm Schauspiel sitzt er still und ernst, scheint sehr auf-
merksam, spricht mit keinem seiner Begleiter, (die alle
hinter ihm stehen), giebt kein Zeichen weder des Bei-
falls noch des Mißfallens, auch nicht einmal durch eine
Miene. Das Parterre empfängt ihn jedesmal mit rau-
schendem Beifall, übrigens aber bekümmert es sich nicht
um ihn. Das Recht zu pfeifen und zu toben läßt es sich
nicht rauben, und ich habe es in Bonaparte's Gegenwart
erlebt, daß ein neues Stück, welches er doch auch zu se-
hen gekommen war; nicht einmal ausgespielt werden durf-
te. Bei diesem Muthwillen bleibt er ganz gelassen, ver-
muthlich eingedenk, daß die Pariser wie die Römer panem
et circenses haben müssen, wenn sie ruhig bleiben sollen.
-- Bonaparte liebt vorzüglich Trauerspiele. Er hat sich
gegen mich selbst, mit guter Laune, gegen die Dramen
erklärt, ließ aber auch die aus Voltaire hergenommene
Einwendung gelten; que tous les genres sont bons,
hors le genre ennuyeux. Man glaube auch nicht, daß
er darum eben ein Feind der Lustspiele oder Dramen sey:
ich habe ihn vielmehr der ersten Vorstellung eines neuen
Lustspiels beiwohnen sehen, und mein Drama: Bru-
derzwist,
besuchte er, als es grade nach einem Trauer-
spiel dargestellt wurde, bei welchem er nicht gegenwär-
tig war.

Seine Logen in den vier ersten Theatern sind sehr
reich und geschmackvoll verziert. Unter die Verzierungen
gehört besonders auch ein goldner Stern, der bald
unter, bald über der Loge angebracht ist. Man sagt, er
glaube an einen Glücksstern, und vertraue mehr
auf denselben, als auf sein großes Genie. Wenn das
auch wahr ist, (wie mich viele versichert haben), so kann
das dennoch seinen Ruhm nicht schmälern. Wenn der

Jm Schauspiel sitzt er still und ernst, scheint sehr auf-
merksam, spricht mit keinem seiner Begleiter, (die alle
hinter ihm stehen), giebt kein Zeichen weder des Bei-
falls noch des Mißfallens, auch nicht einmal durch eine
Miene. Das Parterre empfaͤngt ihn jedesmal mit rau-
schendem Beifall, uͤbrigens aber bekuͤmmert es sich nicht
um ihn. Das Recht zu pfeifen und zu toben laͤßt es sich
nicht rauben, und ich habe es in Bonaparte's Gegenwart
erlebt, daß ein neues Stuͤck, welches er doch auch zu se-
hen gekommen war; nicht einmal ausgespielt werden durf-
te. Bei diesem Muthwillen bleibt er ganz gelassen, ver-
muthlich eingedenk, daß die Pariser wie die Roͤmer panem
et circenses haben muͤssen, wenn sie ruhig bleiben sollen.
— Bonaparte liebt vorzuͤglich Trauerspiele. Er hat sich
gegen mich selbst, mit guter Laune, gegen die Dramen
erklaͤrt, ließ aber auch die aus Voltaire hergenommene
Einwendung gelten; que tous les genres sont bons,
hors le genre ennuyeux. Man glaube auch nicht, daß
er darum eben ein Feind der Lustspiele oder Dramen sey:
ich habe ihn vielmehr der ersten Vorstellung eines neuen
Lustspiels beiwohnen sehen, und mein Drama: Bru-
derzwist,
besuchte er, als es grade nach einem Trauer-
spiel dargestellt wurde, bei welchem er nicht gegenwaͤr-
tig war.

Seine Logen in den vier ersten Theatern sind sehr
reich und geschmackvoll verziert. Unter die Verzierungen
gehoͤrt besonders auch ein goldner Stern, der bald
unter, bald uͤber der Loge angebracht ist. Man sagt, er
glaube an einen Gluͤcksstern, und vertraue mehr
auf denselben, als auf sein großes Genie. Wenn das
auch wahr ist, (wie mich viele versichert haben), so kann
das dennoch seinen Ruhm nicht schmaͤlern. Wenn der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0078" n="74"/>
            <p>Jm Schauspiel sitzt er still und ernst, scheint sehr auf-<lb/>
merksam, spricht mit keinem seiner Begleiter, (die alle<lb/><hi rendition="#g">hinter</hi> ihm <hi rendition="#g">stehen</hi>), giebt kein Zeichen weder des Bei-<lb/>
falls noch des Mißfallens, auch nicht einmal durch eine<lb/><hi rendition="#g">Miene.</hi> Das Parterre empfa&#x0364;ngt ihn jedesmal mit rau-<lb/>
schendem Beifall, u&#x0364;brigens aber beku&#x0364;mmert es sich nicht<lb/>
um ihn. Das Recht zu pfeifen und zu toben la&#x0364;ßt es sich<lb/>
nicht rauben, und ich habe es in Bonaparte's Gegenwart<lb/>
erlebt, daß ein neues Stu&#x0364;ck, welches er doch auch zu se-<lb/>
hen gekommen war; nicht einmal ausgespielt werden durf-<lb/>
te. Bei diesem Muthwillen bleibt er ganz gelassen, ver-<lb/>
muthlich eingedenk, daß die Pariser wie die Ro&#x0364;mer panem<lb/>
et circenses haben mu&#x0364;ssen, wenn sie ruhig bleiben sollen.<lb/>
&#x2014; Bonaparte liebt vorzu&#x0364;glich Trauerspiele. Er hat sich<lb/>
gegen mich selbst, mit guter Laune, gegen die Dramen<lb/>
erkla&#x0364;rt, ließ aber auch die aus Voltaire hergenommene<lb/>
Einwendung gelten; que tous les genres sont bons,<lb/>
hors le genre ennuyeux. Man glaube auch nicht, daß<lb/>
er darum eben ein <hi rendition="#g">Feind</hi> der Lustspiele oder Dramen sey:<lb/>
ich habe ihn vielmehr der ersten Vorstellung eines neuen<lb/><hi rendition="#g">Lustspiels</hi> beiwohnen sehen, und mein <hi rendition="#g">Drama: Bru-<lb/>
derzwist,</hi> besuchte er, als es grade nach einem Trauer-<lb/>
spiel dargestellt wurde, bei welchem er <hi rendition="#g">nicht</hi> gegenwa&#x0364;r-<lb/>
tig war.</p><lb/>
            <p>Seine Logen in den vier ersten Theatern sind sehr<lb/>
reich und geschmackvoll verziert. Unter die Verzierungen<lb/>
geho&#x0364;rt besonders auch ein <hi rendition="#g">goldner Stern,</hi> der bald<lb/>
unter, bald u&#x0364;ber der Loge angebracht ist. Man sagt, er<lb/><hi rendition="#g">glaube</hi> an einen <hi rendition="#g">Glu&#x0364;cksstern,</hi> und vertraue mehr<lb/>
auf denselben, als auf sein großes Genie. Wenn das<lb/>
auch wahr ist, (wie mich viele versichert haben), so kann<lb/>
das dennoch seinen Ruhm nicht schma&#x0364;lern. Wenn der<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[74/0078] Jm Schauspiel sitzt er still und ernst, scheint sehr auf- merksam, spricht mit keinem seiner Begleiter, (die alle hinter ihm stehen), giebt kein Zeichen weder des Bei- falls noch des Mißfallens, auch nicht einmal durch eine Miene. Das Parterre empfaͤngt ihn jedesmal mit rau- schendem Beifall, uͤbrigens aber bekuͤmmert es sich nicht um ihn. Das Recht zu pfeifen und zu toben laͤßt es sich nicht rauben, und ich habe es in Bonaparte's Gegenwart erlebt, daß ein neues Stuͤck, welches er doch auch zu se- hen gekommen war; nicht einmal ausgespielt werden durf- te. Bei diesem Muthwillen bleibt er ganz gelassen, ver- muthlich eingedenk, daß die Pariser wie die Roͤmer panem et circenses haben muͤssen, wenn sie ruhig bleiben sollen. — Bonaparte liebt vorzuͤglich Trauerspiele. Er hat sich gegen mich selbst, mit guter Laune, gegen die Dramen erklaͤrt, ließ aber auch die aus Voltaire hergenommene Einwendung gelten; que tous les genres sont bons, hors le genre ennuyeux. Man glaube auch nicht, daß er darum eben ein Feind der Lustspiele oder Dramen sey: ich habe ihn vielmehr der ersten Vorstellung eines neuen Lustspiels beiwohnen sehen, und mein Drama: Bru- derzwist, besuchte er, als es grade nach einem Trauer- spiel dargestellt wurde, bei welchem er nicht gegenwaͤr- tig war. Seine Logen in den vier ersten Theatern sind sehr reich und geschmackvoll verziert. Unter die Verzierungen gehoͤrt besonders auch ein goldner Stern, der bald unter, bald uͤber der Loge angebracht ist. Man sagt, er glaube an einen Gluͤcksstern, und vertraue mehr auf denselben, als auf sein großes Genie. Wenn das auch wahr ist, (wie mich viele versichert haben), so kann das dennoch seinen Ruhm nicht schmaͤlern. Wenn der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/78
Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/78>, abgerufen am 07.05.2024.