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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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man sie aber versicherte, sie solle in ihrem Glauben un-
gekränkt bleiben, und, die Ordenstracht ausgenommen,
nach Gefallen leben, da kehrte sie muthig wieder um.
Freilich erinnert sie sich mit Wehmuth des schönen Klo-
sters, das sie räumen mußten, und für das ihre jetzige
Wohnung keinen Ersatz gewährt, aber sie ist dennoch
heiter und zufrieden, im Bewußtseyn erfüllter Pflicht.
Jch fand wenige Fündlinge, denn sie werden, der gro-
ßen Sterblichkeit halber, gleich aufs Land gegeben; nur
die, welche am selbigen Morgen, und wenige Tage vor-
her gebracht worden, lagen in reinlichen warmen Bet-
ten. -- Jn einer Reihe von artigen Zellen, auf einem
langen Gang, warteten die Ammen auf Fündlinge, und
säugten indessen ihre eigene Kinder. Die weibliche Be-
dienung des Hauses bestand aus lauter groß gezogenen
Fündlingen. Ordnung, Sauberkeit, Freundlichkeit, Al-
les war wie vormals.

Das Waisenhaus,

nicht weit vom Jardin des plantes, beherbergt 1100 Kin-
der, wovon 600 bereits mit nützlichen Arbeiten beschäff-
tigt werden. Ein Theil wird zu Soldaten erzogen, und
diese stehen auch bereits Schildwach mit Ober- und Unter-
gewehr. Die meisten sehen gesund und froh aus. Jhr
Brod ist gut und schmackhaft. Ueberall herrscht Rein-
lichkeit. Das Gebäude ist sehr weitläuftig. Die Schlaf-
säle sind luftig, doch scheinen mir die Betten einander zu
nahe zu stehen. Die Schule ist in mehrere Klassen ge-
theilt. Jn einer derselben, wo das Schreiben gelehrt
wird, fand ich eine Menge Vorschriften angeheftet, die
sehr zweckmäßig aus kurzen faßlichen Sentenzen bestan-
den. (Jn Deutschland muß die liebe Jugend noch an

man sie aber versicherte, sie solle in ihrem Glauben un-
gekraͤnkt bleiben, und, die Ordenstracht ausgenommen,
nach Gefallen leben, da kehrte sie muthig wieder um.
Freilich erinnert sie sich mit Wehmuth des schoͤnen Klo-
sters, das sie raͤumen mußten, und fuͤr das ihre jetzige
Wohnung keinen Ersatz gewaͤhrt, aber sie ist dennoch
heiter und zufrieden, im Bewußtseyn erfuͤllter Pflicht.
Jch fand wenige Fuͤndlinge, denn sie werden, der gro-
ßen Sterblichkeit halber, gleich aufs Land gegeben; nur
die, welche am selbigen Morgen, und wenige Tage vor-
her gebracht worden, lagen in reinlichen warmen Bet-
ten. — Jn einer Reihe von artigen Zellen, auf einem
langen Gang, warteten die Ammen auf Fuͤndlinge, und
saͤugten indessen ihre eigene Kinder. Die weibliche Be-
dienung des Hauses bestand aus lauter groß gezogenen
Fuͤndlingen. Ordnung, Sauberkeit, Freundlichkeit, Al-
les war wie vormals.

Das Waisenhaus,

nicht weit vom Jardin des plantes, beherbergt 1100 Kin-
der, wovon 600 bereits mit nuͤtzlichen Arbeiten beschaͤff-
tigt werden. Ein Theil wird zu Soldaten erzogen, und
diese stehen auch bereits Schildwach mit Ober- und Unter-
gewehr. Die meisten sehen gesund und froh aus. Jhr
Brod ist gut und schmackhaft. Ueberall herrscht Rein-
lichkeit. Das Gebaͤude ist sehr weitlaͤuftig. Die Schlaf-
saͤle sind luftig, doch scheinen mir die Betten einander zu
nahe zu stehen. Die Schule ist in mehrere Klassen ge-
theilt. Jn einer derselben, wo das Schreiben gelehrt
wird, fand ich eine Menge Vorschriften angeheftet, die
sehr zweckmaͤßig aus kurzen faßlichen Sentenzen bestan-
den. (Jn Deutschland muß die liebe Jugend noch an

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[55/0055] man sie aber versicherte, sie solle in ihrem Glauben un- gekraͤnkt bleiben, und, die Ordenstracht ausgenommen, nach Gefallen leben, da kehrte sie muthig wieder um. Freilich erinnert sie sich mit Wehmuth des schoͤnen Klo- sters, das sie raͤumen mußten, und fuͤr das ihre jetzige Wohnung keinen Ersatz gewaͤhrt, aber sie ist dennoch heiter und zufrieden, im Bewußtseyn erfuͤllter Pflicht. Jch fand wenige Fuͤndlinge, denn sie werden, der gro- ßen Sterblichkeit halber, gleich aufs Land gegeben; nur die, welche am selbigen Morgen, und wenige Tage vor- her gebracht worden, lagen in reinlichen warmen Bet- ten. — Jn einer Reihe von artigen Zellen, auf einem langen Gang, warteten die Ammen auf Fuͤndlinge, und saͤugten indessen ihre eigene Kinder. Die weibliche Be- dienung des Hauses bestand aus lauter groß gezogenen Fuͤndlingen. Ordnung, Sauberkeit, Freundlichkeit, Al- les war wie vormals. Das Waisenhaus, nicht weit vom Jardin des plantes, beherbergt 1100 Kin- der, wovon 600 bereits mit nuͤtzlichen Arbeiten beschaͤff- tigt werden. Ein Theil wird zu Soldaten erzogen, und diese stehen auch bereits Schildwach mit Ober- und Unter- gewehr. Die meisten sehen gesund und froh aus. Jhr Brod ist gut und schmackhaft. Ueberall herrscht Rein- lichkeit. Das Gebaͤude ist sehr weitlaͤuftig. Die Schlaf- saͤle sind luftig, doch scheinen mir die Betten einander zu nahe zu stehen. Die Schule ist in mehrere Klassen ge- theilt. Jn einer derselben, wo das Schreiben gelehrt wird, fand ich eine Menge Vorschriften angeheftet, die sehr zweckmaͤßig aus kurzen faßlichen Sentenzen bestan- den. (Jn Deutschland muß die liebe Jugend noch an

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/55>, abgerufen am 26.04.2024.