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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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langwieriger wurde und mit größeren Opfern verbunden war,
als er erwartet hatte. Erst im Frühjahr des folgenden Jahres
standen die Fabrikgebäude vollendet da; und es bedurfte noch
des ganzen Sommers von 1874 zur Einrichtung und Aus¬
stattung der inneren Räume.

Die Mauer, die das Nachbargrundstück getrennt hatte,
und an welche sich so mannigfache Erinnerungen knüpften,
war niedergerissen worden. An ihrer Stelle ragte nun die
kahle Kehrseite des Kesselhauses. Zwei Mal noch im Laufe
des vergangenen Sommers hatte Urban den Versuch gemacht,
die Timpes zum Verkaufe ihres Grundstückes zu bewegen.
Als er endlich einsah, daß jede fernere Mühe nutzlos sei, ließ
er das Maschinenhaus direkt an das Gärtchen bauen, obgleich
der ursprüngliche Plan ein anderer war. Er wollte wenigstens
durch irgend etwas seine Rache beweisen. Nur ein wenige
Fuß breites Stück des alten Gemäuers ließ er in gleicher
Höhe neu ersetzen, als wollte er symbolisch den Weg an¬
deuten, auf dem er sich dereinst Eingang in die verschlossene
Welt zu verschaffen gedenke.

Was Meister Timpe anbetraf, so hatte gerade diese
Chikane einen tiefen Groll in ihm gegen den Nachbar er¬
zeugt: eine mächtig in ihm emporflammende feindselige
Stimmung, die selbst die Rücksicht auf seinen Sohn nicht mehr
umzuwandeln vermochte. Als der Bau wiederholt ruhen
mußte, konnte er seine Genugthuung nicht verschweigen, und
als der Schornstein des Kesselhauses in Angriff genommen
wurde, wartete er mit einer gewissen Schadenfreude auf die
Vollendung desselben.

"Wehe ihm, wenn er ihn nicht so hoch bauen läßt, daß
wir unter dem Qualm nicht zu leiden haben", sagte er

langwieriger wurde und mit größeren Opfern verbunden war,
als er erwartet hatte. Erſt im Frühjahr des folgenden Jahres
ſtanden die Fabrikgebäude vollendet da; und es bedurfte noch
des ganzen Sommers von 1874 zur Einrichtung und Aus¬
ſtattung der inneren Räume.

Die Mauer, die das Nachbargrundſtück getrennt hatte,
und an welche ſich ſo mannigfache Erinnerungen knüpften,
war niedergeriſſen worden. An ihrer Stelle ragte nun die
kahle Kehrſeite des Keſſelhauſes. Zwei Mal noch im Laufe
des vergangenen Sommers hatte Urban den Verſuch gemacht,
die Timpes zum Verkaufe ihres Grundſtückes zu bewegen.
Als er endlich einſah, daß jede fernere Mühe nutzlos ſei, ließ
er das Maſchinenhaus direkt an das Gärtchen bauen, obgleich
der urſprüngliche Plan ein anderer war. Er wollte wenigſtens
durch irgend etwas ſeine Rache beweiſen. Nur ein wenige
Fuß breites Stück des alten Gemäuers ließ er in gleicher
Höhe neu erſetzen, als wollte er ſymboliſch den Weg an¬
deuten, auf dem er ſich dereinſt Eingang in die verſchloſſene
Welt zu verſchaffen gedenke.

Was Meiſter Timpe anbetraf, ſo hatte gerade dieſe
Chikane einen tiefen Groll in ihm gegen den Nachbar er¬
zeugt: eine mächtig in ihm emporflammende feindſelige
Stimmung, die ſelbſt die Rückſicht auf ſeinen Sohn nicht mehr
umzuwandeln vermochte. Als der Bau wiederholt ruhen
mußte, konnte er ſeine Genugthuung nicht verſchweigen, und
als der Schornſtein des Keſſelhauſes in Angriff genommen
wurde, wartete er mit einer gewiſſen Schadenfreude auf die
Vollendung deſſelben.

„Wehe ihm, wenn er ihn nicht ſo hoch bauen läßt, daß
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[127/0139] langwieriger wurde und mit größeren Opfern verbunden war, als er erwartet hatte. Erſt im Frühjahr des folgenden Jahres ſtanden die Fabrikgebäude vollendet da; und es bedurfte noch des ganzen Sommers von 1874 zur Einrichtung und Aus¬ ſtattung der inneren Räume. Die Mauer, die das Nachbargrundſtück getrennt hatte, und an welche ſich ſo mannigfache Erinnerungen knüpften, war niedergeriſſen worden. An ihrer Stelle ragte nun die kahle Kehrſeite des Keſſelhauſes. Zwei Mal noch im Laufe des vergangenen Sommers hatte Urban den Verſuch gemacht, die Timpes zum Verkaufe ihres Grundſtückes zu bewegen. Als er endlich einſah, daß jede fernere Mühe nutzlos ſei, ließ er das Maſchinenhaus direkt an das Gärtchen bauen, obgleich der urſprüngliche Plan ein anderer war. Er wollte wenigſtens durch irgend etwas ſeine Rache beweiſen. Nur ein wenige Fuß breites Stück des alten Gemäuers ließ er in gleicher Höhe neu erſetzen, als wollte er ſymboliſch den Weg an¬ deuten, auf dem er ſich dereinſt Eingang in die verſchloſſene Welt zu verſchaffen gedenke. Was Meiſter Timpe anbetraf, ſo hatte gerade dieſe Chikane einen tiefen Groll in ihm gegen den Nachbar er¬ zeugt: eine mächtig in ihm emporflammende feindſelige Stimmung, die ſelbſt die Rückſicht auf ſeinen Sohn nicht mehr umzuwandeln vermochte. Als der Bau wiederholt ruhen mußte, konnte er ſeine Genugthuung nicht verſchweigen, und als der Schornſtein des Keſſelhauſes in Angriff genommen wurde, wartete er mit einer gewiſſen Schadenfreude auf die Vollendung deſſelben. „Wehe ihm, wenn er ihn nicht ſo hoch bauen läßt, daß wir unter dem Qualm nicht zu leiden haben“, ſagte er

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/139>, abgerufen am 27.04.2024.