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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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na --" Er brach plötzlich ab, blieb stehen und spitzte die
Ohren.

"Hörst Du nichts, Liebegott?" fragte er leise. "Ich glaube
man schrie um Hülfe -- da drinnen bei Timpe's. Sollte
das am Ende ein Dieb sein, sollte wirklich mein Tag ge¬
kommen sein? . . ."

"Beruhige Dich, Du wirst es nicht erreichen, verlaß Dich
darauf . . . Das sind die Gespenster Deiner Phantasie",
sagte Liebegott und setzte wieder den einen Fuß vor den
anderen. Aber der Wächter hielt ihn zurück, denn in dem¬
selben Augenblick ertönte ein lauter Schrei im Hause, dem die
Rufe folgten: "Hilfe, Diebe!"

Mit wenigen Sätzen war Krusemeyer am Eingange.
Aber bevor er die Klinke ergreifen konnte, wurde die Thür
von innen geöffnet und eine dunkle Gestalt stürzte
bei ihm vorüber und die Straße hinunter. Es
war Franz, der die Modelle in der Tasche, keine
Ahnung davon hatte, daß der Großvater in der guten Stube
schlief, von der aus eine Thür zum Arbeitszimmer des Vaters
führte. Ein Blick des Wächters hatte genügt, um in dem
Fliehenden den Sohn Meister Timpe's zu erkennen. Er
wollte ihn festhalten, ihm nacheilen, aber wie vom Schrecken
gelähmt, stand er rath- und bewegungslos da. Das Einzige,
was er zu thun vermochte, war, daß er in seiner Herzens¬
angst zu Liebegott sagte:

"Wirklich ein Dieb, lauf' ihm nach, halt ihn fest!"

Und des Schutzmanns ungeschlachter Körper bewegte sich
in möglichster Schnelligkeit nach der Richtung zu, die Franz
genommen hatte. Jedoch konnte man mit ziemlicher Be¬
stimmtheit bereits vorhersagen, daß Liebegott's Verfolgung trotz

na —“ Er brach plötzlich ab, blieb ſtehen und ſpitzte die
Ohren.

„Hörſt Du nichts, Liebegott?“ fragte er leiſe. „Ich glaube
man ſchrie um Hülfe — da drinnen bei Timpe's. Sollte
das am Ende ein Dieb ſein, ſollte wirklich mein Tag ge¬
kommen ſein? . . .“

„Beruhige Dich, Du wirſt es nicht erreichen, verlaß Dich
darauf . . . Das ſind die Geſpenſter Deiner Phantaſie“,
ſagte Liebegott und ſetzte wieder den einen Fuß vor den
anderen. Aber der Wächter hielt ihn zurück, denn in dem¬
ſelben Augenblick ertönte ein lauter Schrei im Hauſe, dem die
Rufe folgten: „Hilfe, Diebe!“

Mit wenigen Sätzen war Kruſemeyer am Eingange.
Aber bevor er die Klinke ergreifen konnte, wurde die Thür
von innen geöffnet und eine dunkle Geſtalt ſtürzte
bei ihm vorüber und die Straße hinunter. Es
war Franz, der die Modelle in der Taſche, keine
Ahnung davon hatte, daß der Großvater in der guten Stube
ſchlief, von der aus eine Thür zum Arbeitszimmer des Vaters
führte. Ein Blick des Wächters hatte genügt, um in dem
Fliehenden den Sohn Meiſter Timpe's zu erkennen. Er
wollte ihn feſthalten, ihm nacheilen, aber wie vom Schrecken
gelähmt, ſtand er rath- und bewegungslos da. Das Einzige,
was er zu thun vermochte, war, daß er in ſeiner Herzens¬
angſt zu Liebegott ſagte:

„Wirklich ein Dieb, lauf' ihm nach, halt ihn feſt!“

Und des Schutzmanns ungeſchlachter Körper bewegte ſich
in möglichſter Schnelligkeit nach der Richtung zu, die Franz
genommen hatte. Jedoch konnte man mit ziemlicher Be¬
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[196/0208] na —“ Er brach plötzlich ab, blieb ſtehen und ſpitzte die Ohren. „Hörſt Du nichts, Liebegott?“ fragte er leiſe. „Ich glaube man ſchrie um Hülfe — da drinnen bei Timpe's. Sollte das am Ende ein Dieb ſein, ſollte wirklich mein Tag ge¬ kommen ſein? . . .“ „Beruhige Dich, Du wirſt es nicht erreichen, verlaß Dich darauf . . . Das ſind die Geſpenſter Deiner Phantaſie“, ſagte Liebegott und ſetzte wieder den einen Fuß vor den anderen. Aber der Wächter hielt ihn zurück, denn in dem¬ ſelben Augenblick ertönte ein lauter Schrei im Hauſe, dem die Rufe folgten: „Hilfe, Diebe!“ Mit wenigen Sätzen war Kruſemeyer am Eingange. Aber bevor er die Klinke ergreifen konnte, wurde die Thür von innen geöffnet und eine dunkle Geſtalt ſtürzte bei ihm vorüber und die Straße hinunter. Es war Franz, der die Modelle in der Taſche, keine Ahnung davon hatte, daß der Großvater in der guten Stube ſchlief, von der aus eine Thür zum Arbeitszimmer des Vaters führte. Ein Blick des Wächters hatte genügt, um in dem Fliehenden den Sohn Meiſter Timpe's zu erkennen. Er wollte ihn feſthalten, ihm nacheilen, aber wie vom Schrecken gelähmt, ſtand er rath- und bewegungslos da. Das Einzige, was er zu thun vermochte, war, daß er in ſeiner Herzens¬ angſt zu Liebegott ſagte: „Wirklich ein Dieb, lauf' ihm nach, halt ihn feſt!“ Und des Schutzmanns ungeſchlachter Körper bewegte ſich in möglichſter Schnelligkeit nach der Richtung zu, die Franz genommen hatte. Jedoch konnte man mit ziemlicher Be¬ ſtimmtheit bereits vorherſagen, daß Liebegott's Verfolgung trotz

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/208>, abgerufen am 28.04.2024.