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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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So ist es auch mit dem Handwerk. Wenn die Meister ihre
Söhne zu guten Handwerkern machten und die Söhne diesem
Prinzipe ihren dereinstigen Kindern gegenüber treu blieben,
so würden immer wieder aufs Neue kräftige Generationen
entstehen, die ein gutes Fundament unter den Füßen hätten.
Und wo das ist, da ist bekanntlich gut bauen."

Er machte eine Pause, während welcher Timpe zustim¬
mend nickte. Dann begann er aufs Neue:

"Meister, Sie sind einer der besten Menschen, die ich
kennen gelernt habe. Sie haben Niemandem etwas zu Leide
gethan, haben von früh bis spät fleißig gearbeitet, sind gerecht
gegen Jedermann gewesen, und doch hat es den Anschein, als
wären Sie auf der Welt überflüssig, als würde die Gro߬
industrie eines Tages siegreich über Sie hinwegschreiten. Meister,
Sie müßten blind sein, wenn Sie nicht einsähen, daß das
Heil nur in der Sozialdemokratie liegt. Treten Sie zu uns
über, besuchen Sie unsere Versammlungen -- heute Abend
schon! Geben Sie Ihre Stimme bei der nächsten Reichstags¬
wahl einem Manne aus dem werkthätigen Volke, der die
Leiden der Kleinmeister kennt, der mit beredten Worten Ihre
Rechte vertreten wird. Dann wird auch für Sie der Tag der
Vergeltung kommen -- gegen den da drüben, der einen einzigen
Treibriemen höher schätzt, als die Existenz von hundert Familien;
der Ihnen das letzte Stück Brod aus dem Munde wegnehmen
wird, so wahr ich Thomas Beyer heiße. Die Welt läuft
nicht rückwärts, denn sie muß vorwärts gehen. Ich weiß, Sie
sind ein gottesfürchtiger Mann, aber Gott will nicht, daß ein
Gerechter leide um hundert Ungerechter willen. Und selbst die
Könige sind doch demüthig vor Gott . . . Schlagen Sie ein
Meister -- solche Leute können wir gebrauchen."

So iſt es auch mit dem Handwerk. Wenn die Meiſter ihre
Söhne zu guten Handwerkern machten und die Söhne dieſem
Prinzipe ihren dereinſtigen Kindern gegenüber treu blieben,
ſo würden immer wieder aufs Neue kräftige Generationen
entſtehen, die ein gutes Fundament unter den Füßen hätten.
Und wo das iſt, da iſt bekanntlich gut bauen.“

Er machte eine Pauſe, während welcher Timpe zuſtim¬
mend nickte. Dann begann er aufs Neue:

„Meiſter, Sie ſind einer der beſten Menſchen, die ich
kennen gelernt habe. Sie haben Niemandem etwas zu Leide
gethan, haben von früh bis ſpät fleißig gearbeitet, ſind gerecht
gegen Jedermann geweſen, und doch hat es den Anſchein, als
wären Sie auf der Welt überflüſſig, als würde die Gro߬
induſtrie eines Tages ſiegreich über Sie hinwegſchreiten. Meiſter,
Sie müßten blind ſein, wenn Sie nicht einſähen, daß das
Heil nur in der Sozialdemokratie liegt. Treten Sie zu uns
über, beſuchen Sie unſere Verſammlungen — heute Abend
ſchon! Geben Sie Ihre Stimme bei der nächſten Reichstags¬
wahl einem Manne aus dem werkthätigen Volke, der die
Leiden der Kleinmeiſter kennt, der mit beredten Worten Ihre
Rechte vertreten wird. Dann wird auch für Sie der Tag der
Vergeltung kommen — gegen den da drüben, der einen einzigen
Treibriemen höher ſchätzt, als die Exiſtenz von hundert Familien;
der Ihnen das letzte Stück Brod aus dem Munde wegnehmen
wird, ſo wahr ich Thomas Beyer heiße. Die Welt läuft
nicht rückwärts, denn ſie muß vorwärts gehen. Ich weiß, Sie
ſind ein gottesfürchtiger Mann, aber Gott will nicht, daß ein
Gerechter leide um hundert Ungerechter willen. Und ſelbſt die
Könige ſind doch demüthig vor Gott . . . Schlagen Sie ein
Meiſter — ſolche Leute können wir gebrauchen.“

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[207/0219] So iſt es auch mit dem Handwerk. Wenn die Meiſter ihre Söhne zu guten Handwerkern machten und die Söhne dieſem Prinzipe ihren dereinſtigen Kindern gegenüber treu blieben, ſo würden immer wieder aufs Neue kräftige Generationen entſtehen, die ein gutes Fundament unter den Füßen hätten. Und wo das iſt, da iſt bekanntlich gut bauen.“ Er machte eine Pauſe, während welcher Timpe zuſtim¬ mend nickte. Dann begann er aufs Neue: „Meiſter, Sie ſind einer der beſten Menſchen, die ich kennen gelernt habe. Sie haben Niemandem etwas zu Leide gethan, haben von früh bis ſpät fleißig gearbeitet, ſind gerecht gegen Jedermann geweſen, und doch hat es den Anſchein, als wären Sie auf der Welt überflüſſig, als würde die Gro߬ induſtrie eines Tages ſiegreich über Sie hinwegſchreiten. Meiſter, Sie müßten blind ſein, wenn Sie nicht einſähen, daß das Heil nur in der Sozialdemokratie liegt. Treten Sie zu uns über, beſuchen Sie unſere Verſammlungen — heute Abend ſchon! Geben Sie Ihre Stimme bei der nächſten Reichstags¬ wahl einem Manne aus dem werkthätigen Volke, der die Leiden der Kleinmeiſter kennt, der mit beredten Worten Ihre Rechte vertreten wird. Dann wird auch für Sie der Tag der Vergeltung kommen — gegen den da drüben, der einen einzigen Treibriemen höher ſchätzt, als die Exiſtenz von hundert Familien; der Ihnen das letzte Stück Brod aus dem Munde wegnehmen wird, ſo wahr ich Thomas Beyer heiße. Die Welt läuft nicht rückwärts, denn ſie muß vorwärts gehen. Ich weiß, Sie ſind ein gottesfürchtiger Mann, aber Gott will nicht, daß ein Gerechter leide um hundert Ungerechter willen. Und ſelbſt die Könige ſind doch demüthig vor Gott . . . Schlagen Sie ein Meiſter — ſolche Leute können wir gebrauchen.“

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/219>, abgerufen am 29.04.2024.