Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

Bild:
<< vorherige Seite

Während der Altgeselle sprach, hatten die Wangen seines
männlichen Gesichts sich leicht geröthet. Die Augen leuchteten,
das Antlitz hatte sich verschönert. Beyer hatte nichts von
einem Fanatiker. Es sprach aus ihm die Anschauung eines
ehrlichen Menschen, der im Stande ist, sich bis zur
Schwärmerei zu versteigen, wenn es sich um die Vertheidigung
seiner Idee handelt. Seine Stimme klang weich, und in der
Ruhe, mit der er zu sprechen pflegte, lag etwas Seltsames,
Bestrickendes, dem Seinesgleichen nicht zu widerstehen ver¬
mochten. Er gehörte zu den Leuten, deren Rede man
gern lauscht, weil sie immer etwas von Interesse zu sagen
haben.

Er war auf Timpe zugetreten und hatte seine Hand
auf dessen Schulter gelegt. Und nun zuckte der Meister, der
ihm ohne Unterbrechung zugehört hatte, zusammen und trat
einen Schritt zurück. Es war ihm, als stände in diesem
sonderbaren Menschen, den er seit mehr denn zwanzig Jahren
noch nie so gesehen hatte wie heute, plötzlich eine veränderte
Gestalt vor ihm, ein böser Dämon, der ihn in Versuchung
führen wolle.

Sein ganzes Ich, sein besseres Selbst bäumten sich auf
bei der Zumuthung des Gesellen. Er, der königstreue Hand¬
werker, der seine Liebe zur Monarchie und angestammten
Herrscherhause während eines Menschenalters nicht verleugnet
hatte, sollte am Spätabende seines Lebens seiner tiefeinge¬
wurzelten Anschauung untreu werden und zur Sozialdemo¬
kratie übertreten: jener blutrothen Fahne zuschwören, die
dereinst über die Leichenfelder der halben Menschheit hinweg
dem Sturmschritt der Massen als Siegeszeichen vorangetragen
werden sollte? Er, ein Anhänger der Umsturzpartei der

Während der Altgeſelle ſprach, hatten die Wangen ſeines
männlichen Geſichts ſich leicht geröthet. Die Augen leuchteten,
das Antlitz hatte ſich verſchönert. Beyer hatte nichts von
einem Fanatiker. Es ſprach aus ihm die Anſchauung eines
ehrlichen Menſchen, der im Stande iſt, ſich bis zur
Schwärmerei zu verſteigen, wenn es ſich um die Vertheidigung
ſeiner Idee handelt. Seine Stimme klang weich, und in der
Ruhe, mit der er zu ſprechen pflegte, lag etwas Seltſames,
Beſtrickendes, dem Seinesgleichen nicht zu widerſtehen ver¬
mochten. Er gehörte zu den Leuten, deren Rede man
gern lauſcht, weil ſie immer etwas von Intereſſe zu ſagen
haben.

Er war auf Timpe zugetreten und hatte ſeine Hand
auf deſſen Schulter gelegt. Und nun zuckte der Meiſter, der
ihm ohne Unterbrechung zugehört hatte, zuſammen und trat
einen Schritt zurück. Es war ihm, als ſtände in dieſem
ſonderbaren Menſchen, den er ſeit mehr denn zwanzig Jahren
noch nie ſo geſehen hatte wie heute, plötzlich eine veränderte
Geſtalt vor ihm, ein böſer Dämon, der ihn in Verſuchung
führen wolle.

Sein ganzes Ich, ſein beſſeres Selbſt bäumten ſich auf
bei der Zumuthung des Geſellen. Er, der königstreue Hand¬
werker, der ſeine Liebe zur Monarchie und angeſtammten
Herrſcherhauſe während eines Menſchenalters nicht verleugnet
hatte, ſollte am Spätabende ſeines Lebens ſeiner tiefeinge¬
wurzelten Anſchauung untreu werden und zur Sozialdemo¬
kratie übertreten: jener blutrothen Fahne zuſchwören, die
dereinſt über die Leichenfelder der halben Menſchheit hinweg
dem Sturmſchritt der Maſſen als Siegeszeichen vorangetragen
werden ſollte? Er, ein Anhänger der Umſturzpartei der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0220" n="208"/>
        <p>Während der Altge&#x017F;elle &#x017F;prach, hatten die Wangen &#x017F;eines<lb/>
männlichen Ge&#x017F;ichts &#x017F;ich leicht geröthet. Die Augen leuchteten,<lb/>
das Antlitz hatte &#x017F;ich ver&#x017F;chönert. Beyer hatte nichts von<lb/>
einem Fanatiker. Es &#x017F;prach aus ihm die An&#x017F;chauung eines<lb/>
ehrlichen Men&#x017F;chen, der im Stande i&#x017F;t, &#x017F;ich bis zur<lb/>
Schwärmerei zu ver&#x017F;teigen, wenn es &#x017F;ich um die Vertheidigung<lb/>
&#x017F;einer Idee handelt. Seine Stimme klang weich, und in der<lb/>
Ruhe, mit der er zu &#x017F;prechen pflegte, lag etwas Selt&#x017F;ames,<lb/>
Be&#x017F;trickendes, dem Seinesgleichen nicht zu wider&#x017F;tehen ver¬<lb/>
mochten. Er gehörte zu den Leuten, deren Rede man<lb/>
gern lau&#x017F;cht, weil &#x017F;ie immer etwas von Intere&#x017F;&#x017F;e zu &#x017F;agen<lb/>
haben.</p><lb/>
        <p>Er war auf Timpe zugetreten und hatte &#x017F;eine Hand<lb/>
auf de&#x017F;&#x017F;en Schulter gelegt. Und nun zuckte der Mei&#x017F;ter, der<lb/>
ihm ohne Unterbrechung zugehört hatte, zu&#x017F;ammen und trat<lb/>
einen Schritt zurück. Es war ihm, als &#x017F;tände in die&#x017F;em<lb/>
&#x017F;onderbaren Men&#x017F;chen, den er &#x017F;eit mehr denn zwanzig Jahren<lb/>
noch nie &#x017F;o ge&#x017F;ehen hatte wie heute, plötzlich eine veränderte<lb/>
Ge&#x017F;talt vor ihm, ein bö&#x017F;er Dämon, der ihn in <choice><sic>Ver&#x017F;uchuug</sic><corr>Ver&#x017F;uchung</corr></choice><lb/>
führen wolle.</p><lb/>
        <p>Sein ganzes Ich, &#x017F;ein be&#x017F;&#x017F;eres Selb&#x017F;t bäumten &#x017F;ich auf<lb/>
bei der Zumuthung des Ge&#x017F;ellen. Er, der königstreue Hand¬<lb/>
werker, der &#x017F;eine Liebe zur Monarchie und ange&#x017F;tammten<lb/>
Herr&#x017F;cherhau&#x017F;e während eines Men&#x017F;chenalters nicht verleugnet<lb/>
hatte, &#x017F;ollte am Spätabende &#x017F;eines Lebens &#x017F;einer tiefeinge¬<lb/>
wurzelten An&#x017F;chauung untreu werden und zur Sozialdemo¬<lb/>
kratie übertreten: jener blutrothen Fahne zu&#x017F;chwören, die<lb/>
derein&#x017F;t über die Leichenfelder der halben Men&#x017F;chheit hinweg<lb/>
dem Sturm&#x017F;chritt der Ma&#x017F;&#x017F;en als Siegeszeichen vorangetragen<lb/>
werden &#x017F;ollte? Er, ein Anhänger der Um&#x017F;turzpartei der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0220] Während der Altgeſelle ſprach, hatten die Wangen ſeines männlichen Geſichts ſich leicht geröthet. Die Augen leuchteten, das Antlitz hatte ſich verſchönert. Beyer hatte nichts von einem Fanatiker. Es ſprach aus ihm die Anſchauung eines ehrlichen Menſchen, der im Stande iſt, ſich bis zur Schwärmerei zu verſteigen, wenn es ſich um die Vertheidigung ſeiner Idee handelt. Seine Stimme klang weich, und in der Ruhe, mit der er zu ſprechen pflegte, lag etwas Seltſames, Beſtrickendes, dem Seinesgleichen nicht zu widerſtehen ver¬ mochten. Er gehörte zu den Leuten, deren Rede man gern lauſcht, weil ſie immer etwas von Intereſſe zu ſagen haben. Er war auf Timpe zugetreten und hatte ſeine Hand auf deſſen Schulter gelegt. Und nun zuckte der Meiſter, der ihm ohne Unterbrechung zugehört hatte, zuſammen und trat einen Schritt zurück. Es war ihm, als ſtände in dieſem ſonderbaren Menſchen, den er ſeit mehr denn zwanzig Jahren noch nie ſo geſehen hatte wie heute, plötzlich eine veränderte Geſtalt vor ihm, ein böſer Dämon, der ihn in Verſuchung führen wolle. Sein ganzes Ich, ſein beſſeres Selbſt bäumten ſich auf bei der Zumuthung des Geſellen. Er, der königstreue Hand¬ werker, der ſeine Liebe zur Monarchie und angeſtammten Herrſcherhauſe während eines Menſchenalters nicht verleugnet hatte, ſollte am Spätabende ſeines Lebens ſeiner tiefeinge¬ wurzelten Anſchauung untreu werden und zur Sozialdemo¬ kratie übertreten: jener blutrothen Fahne zuſchwören, die dereinſt über die Leichenfelder der halben Menſchheit hinweg dem Sturmſchritt der Maſſen als Siegeszeichen vorangetragen werden ſollte? Er, ein Anhänger der Umſturzpartei der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/220
Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/220>, abgerufen am 29.04.2024.