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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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gerecht urtheilen, weil sie annehmen, daß Sie nun ebenfalls
zu ihnen gehören . . . Meister, unsere Partei ist die einzige,
die sich der Unterdrückten nnd Hülfsbedürftigen annimmt."

Und diesen Worten folgte dann die Propaganda, die um
so nachdrücklicher von ihm betrieben wurde, je schlechter die
Verhältnisse sich im Hause gestalteten. Immer mehr empfand
Timpe den verführerischen Zauber, mit dem der Altgeselle ihn
zu umstricken versuchte. Es war gerade, als wäre Thomas
Beyer sein schlechteres Ich, das mit aller Gewalt das bessere
zu tödten versuche. Jede Gelegenheit nahm er wahr, um
den Meister zu "bearbeiten", wie er sich dem Sachsen gegen¬
über ausdrückte. Und wenn Johannes auch mit aller Energie
die Versuchungen zurückwies, dem Gesellen ins Gesicht lachte, und
ihm sagte, daß er seine Bemühungen nur als komisch auffassen
könne -- Beyer schien das nicht im Geringsten zu berühren. Sein
Gesicht blieb ernst und kein Wort deutete darauf hin, daß er
seinem Brodgeber böse sei. Gleich einem Manne,
der von seinem endlichen Siege überzeugt ist, begann er den
erneuerten Kampf mit der alten Hartnäckigkeit und trieb
seinen Gegner so in die Enge, daß Timpen schließlich keine
andere Waffe übrig blieb, als die Grobheit. Aber auch ihr
gegenüber büßte der Altgeselle von seiner fast demüthigen
Ergebenheit nichts ein. Es war dann immer dasselbe, sein
Gesicht verklärende Lächeln, das die Worte begleitete: "Meister,
und wenn Sie mich beschimpfen, ich nehme Ihnen das nicht
übel, denn auf die Unwissenheit muß man immer Rücksicht
nehmen."

Diese kecken Worte machten Timpe so stutzig, daß er ver¬
geblich nach einer passenden Erwiderung suchte, aber stärker
denn je seine Ohnmacht empfand. Mehr als einmal nahm

Kretzer, Meister Timpe. 15

gerecht urtheilen, weil ſie annehmen, daß Sie nun ebenfalls
zu ihnen gehören . . . Meiſter, unſere Partei iſt die einzige,
die ſich der Unterdrückten nnd Hülfsbedürftigen annimmt.“

Und dieſen Worten folgte dann die Propaganda, die um
ſo nachdrücklicher von ihm betrieben wurde, je ſchlechter die
Verhältniſſe ſich im Hauſe geſtalteten. Immer mehr empfand
Timpe den verführeriſchen Zauber, mit dem der Altgeſelle ihn
zu umſtricken verſuchte. Es war gerade, als wäre Thomas
Beyer ſein ſchlechteres Ich, das mit aller Gewalt das beſſere
zu tödten verſuche. Jede Gelegenheit nahm er wahr, um
den Meiſter zu „bearbeiten“, wie er ſich dem Sachſen gegen¬
über ausdrückte. Und wenn Johannes auch mit aller Energie
die Verſuchungen zurückwies, dem Geſellen ins Geſicht lachte, und
ihm ſagte, daß er ſeine Bemühungen nur als komiſch auffaſſen
könne — Beyer ſchien das nicht im Geringſten zu berühren. Sein
Geſicht blieb ernſt und kein Wort deutete darauf hin, daß er
ſeinem Brodgeber böſe ſei. Gleich einem Manne,
der von ſeinem endlichen Siege überzeugt iſt, begann er den
erneuerten Kampf mit der alten Hartnäckigkeit und trieb
ſeinen Gegner ſo in die Enge, daß Timpen ſchließlich keine
andere Waffe übrig blieb, als die Grobheit. Aber auch ihr
gegenüber büßte der Altgeſelle von ſeiner faſt demüthigen
Ergebenheit nichts ein. Es war dann immer daſſelbe, ſein
Geſicht verklärende Lächeln, das die Worte begleitete: „Meiſter,
und wenn Sie mich beſchimpfen, ich nehme Ihnen das nicht
übel, denn auf die Unwiſſenheit muß man immer Rückſicht
nehmen.“

Dieſe kecken Worte machten Timpe ſo ſtutzig, daß er ver¬
geblich nach einer paſſenden Erwiderung ſuchte, aber ſtärker
denn je ſeine Ohnmacht empfand. Mehr als einmal nahm

Kretzer, Meiſter Timpe. 15
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[225/0237] gerecht urtheilen, weil ſie annehmen, daß Sie nun ebenfalls zu ihnen gehören . . . Meiſter, unſere Partei iſt die einzige, die ſich der Unterdrückten nnd Hülfsbedürftigen annimmt.“ Und dieſen Worten folgte dann die Propaganda, die um ſo nachdrücklicher von ihm betrieben wurde, je ſchlechter die Verhältniſſe ſich im Hauſe geſtalteten. Immer mehr empfand Timpe den verführeriſchen Zauber, mit dem der Altgeſelle ihn zu umſtricken verſuchte. Es war gerade, als wäre Thomas Beyer ſein ſchlechteres Ich, das mit aller Gewalt das beſſere zu tödten verſuche. Jede Gelegenheit nahm er wahr, um den Meiſter zu „bearbeiten“, wie er ſich dem Sachſen gegen¬ über ausdrückte. Und wenn Johannes auch mit aller Energie die Verſuchungen zurückwies, dem Geſellen ins Geſicht lachte, und ihm ſagte, daß er ſeine Bemühungen nur als komiſch auffaſſen könne — Beyer ſchien das nicht im Geringſten zu berühren. Sein Geſicht blieb ernſt und kein Wort deutete darauf hin, daß er ſeinem Brodgeber böſe ſei. Gleich einem Manne, der von ſeinem endlichen Siege überzeugt iſt, begann er den erneuerten Kampf mit der alten Hartnäckigkeit und trieb ſeinen Gegner ſo in die Enge, daß Timpen ſchließlich keine andere Waffe übrig blieb, als die Grobheit. Aber auch ihr gegenüber büßte der Altgeſelle von ſeiner faſt demüthigen Ergebenheit nichts ein. Es war dann immer daſſelbe, ſein Geſicht verklärende Lächeln, das die Worte begleitete: „Meiſter, und wenn Sie mich beſchimpfen, ich nehme Ihnen das nicht übel, denn auf die Unwiſſenheit muß man immer Rückſicht nehmen.“ Dieſe kecken Worte machten Timpe ſo ſtutzig, daß er ver¬ geblich nach einer paſſenden Erwiderung ſuchte, aber ſtärker denn je ſeine Ohnmacht empfand. Mehr als einmal nahm Kretzer, Meiſter Timpe. 15

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/237>, abgerufen am 28.04.2024.