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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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er sich vor, Beyer zu entlassen, dann aber schämte er sich
seiner Furcht und ließ es beim Alten.

Eines Vormittags fand er auf dem Tische seiner Arbeitsstube
einige Schriften liegen. Er wußte nicht, wie sie dorthin ge¬
kommen waren. Als er, neugierig gemacht, eine von ihnen
aufschlug, fand er, daß er Broschüren sozialistischen Inhalts
vor sich hatte. Sofort ahnte er, wer der Besitzer der Bücher
sei. Sein Zorn kannte keine Grenzen. Voller Wuth packte
er die Schriften zusammen, schritt nach der Küche und steckte
sie in den Ofen, sodaß die Flamme hell aufloderte. Dann
ging er wieder zurück, rief den Altgesellen zu sich herein, zog
ihn nach dem Kochherd und sagte:

"Ich wollte Ihnen nur zeigen, wie gut man mit Ihren
Hetzschriften Kaffee kochen kann. Sehr viel Stroh in dem
Papier, das muß ich sagen! Es brennt ausgezeichnet! So
etwas dürfen Sie mir nicht machen! Sie wollen wohl mich
alten Mann noch mit der Polizei in Konflikt bringen, indem
Sie verbotene Schriften in mein Haus schleppen? Sie waren
es doch, gestehen Sie es nur ein!"

Frau Karoline war hinzugekommen und schlug entsetzt
die Hände zusammen.

In des Altgesellen Gesicht regte sich keine Muskel; nur
etwas wie Mitleid leuchtete aus seinen Augen, als er die
fieberhafte Erregung Timpe's gewahrte.

"Ja, ich war es", sagte er dann ruhig. "Haben Sie
die Bücher vorher gelesen?"

Der Meister lachte auf und erwiderte:

"Das fehlte noch! Ich will meine Seele nicht ver¬
giften."

Derselbe traurige Blick des Altgesellen traf ihn.

er ſich vor, Beyer zu entlaſſen, dann aber ſchämte er ſich
ſeiner Furcht und ließ es beim Alten.

Eines Vormittags fand er auf dem Tiſche ſeiner Arbeitsſtube
einige Schriften liegen. Er wußte nicht, wie ſie dorthin ge¬
kommen waren. Als er, neugierig gemacht, eine von ihnen
aufſchlug, fand er, daß er Broſchüren ſozialiſtiſchen Inhalts
vor ſich hatte. Sofort ahnte er, wer der Beſitzer der Bücher
ſei. Sein Zorn kannte keine Grenzen. Voller Wuth packte
er die Schriften zuſammen, ſchritt nach der Küche und ſteckte
ſie in den Ofen, ſodaß die Flamme hell aufloderte. Dann
ging er wieder zurück, rief den Altgeſellen zu ſich herein, zog
ihn nach dem Kochherd und ſagte:

„Ich wollte Ihnen nur zeigen, wie gut man mit Ihren
Hetzſchriften Kaffee kochen kann. Sehr viel Stroh in dem
Papier, das muß ich ſagen! Es brennt ausgezeichnet! So
etwas dürfen Sie mir nicht machen! Sie wollen wohl mich
alten Mann noch mit der Polizei in Konflikt bringen, indem
Sie verbotene Schriften in mein Haus ſchleppen? Sie waren
es doch, geſtehen Sie es nur ein!“

Frau Karoline war hinzugekommen und ſchlug entſetzt
die Hände zuſammen.

In des Altgeſellen Geſicht regte ſich keine Muskel; nur
etwas wie Mitleid leuchtete aus ſeinen Augen, als er die
fieberhafte Erregung Timpe's gewahrte.

„Ja, ich war es“, ſagte er dann ruhig. „Haben Sie
die Bücher vorher geleſen?“

Der Meiſter lachte auf und erwiderte:

„Das fehlte noch! Ich will meine Seele nicht ver¬
giften.“

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[226/0238] er ſich vor, Beyer zu entlaſſen, dann aber ſchämte er ſich ſeiner Furcht und ließ es beim Alten. Eines Vormittags fand er auf dem Tiſche ſeiner Arbeitsſtube einige Schriften liegen. Er wußte nicht, wie ſie dorthin ge¬ kommen waren. Als er, neugierig gemacht, eine von ihnen aufſchlug, fand er, daß er Broſchüren ſozialiſtiſchen Inhalts vor ſich hatte. Sofort ahnte er, wer der Beſitzer der Bücher ſei. Sein Zorn kannte keine Grenzen. Voller Wuth packte er die Schriften zuſammen, ſchritt nach der Küche und ſteckte ſie in den Ofen, ſodaß die Flamme hell aufloderte. Dann ging er wieder zurück, rief den Altgeſellen zu ſich herein, zog ihn nach dem Kochherd und ſagte: „Ich wollte Ihnen nur zeigen, wie gut man mit Ihren Hetzſchriften Kaffee kochen kann. Sehr viel Stroh in dem Papier, das muß ich ſagen! Es brennt ausgezeichnet! So etwas dürfen Sie mir nicht machen! Sie wollen wohl mich alten Mann noch mit der Polizei in Konflikt bringen, indem Sie verbotene Schriften in mein Haus ſchleppen? Sie waren es doch, geſtehen Sie es nur ein!“ Frau Karoline war hinzugekommen und ſchlug entſetzt die Hände zuſammen. In des Altgeſellen Geſicht regte ſich keine Muskel; nur etwas wie Mitleid leuchtete aus ſeinen Augen, als er die fieberhafte Erregung Timpe's gewahrte. „Ja, ich war es“, ſagte er dann ruhig. „Haben Sie die Bücher vorher geleſen?“ Der Meiſter lachte auf und erwiderte: „Das fehlte noch! Ich will meine Seele nicht ver¬ giften.“ Derſelbe traurige Blick des Altgeſellen traf ihn.

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/238>, abgerufen am 29.04.2024.