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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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"Dann haben Sie die letzte Ihrer Hoffnungen vernichtet;
Sie sind nicht mehr zu retten. Man soll erst prüfen, ehe
man verdammt, erst lernen, ehe man lehren will. . . .
Meister, ich muß Sie aufgeben. Leben Sie wohl, wir sehen
uns nicht wieder . . . Aber Sie werden einstmals anders
denken, und dann erinnern Sie sich Thomas Beyer's."

Die Mittagsstunde hatte gerade geschlagen. Der Alt¬
geselle drehte sich um, suchte die Werkstatt auf und verließ
das Haus. Zwei Tage lang blieb er weg, ohnen seinen rück¬
ständigen Lohn zu holen, dann fand ihn der Meister
eines Morgens wie gewöhnlich an der Drehbank. Man that
so, als wäre nichts vorgefallen, wechselte aber nur die noth¬
wendigsten Worte, die sich auf die Arbeit bezogen.

Die Monate Juni und Juli erwiesen sich so schlecht
in geschäftlicher Beziehung, daß Timpe sich mit dem Gedanken
vertraut machte, auch den kleinen Sachsen zu entlassen. Es
war weit gekommen. Trotzdem hoffte er von Tag zu Tag,
daß irgend eine unvorhergehende Katastrophe hereinbrechen
und dadurch mit einem Schlage eine Besserung eintreten
würde. Als dann für Spiller eines Sonnabends die
Trennungsstunde schlug, hatten der Meister und sein Weib
das Gefühl, als würde es für ihre Zukunft besser sein, wenn sie
auch den Altgesellen entließen. Aber Thomas Beyer wich und
wankte nicht. Es kam eine Woche, in der wirklich kein
Stück Arbeit vorhanden war. Die Lehrlinge räumten gründlich
auf und drechselten dann zu ihrem Vergnügen allerhand
Dinge, die für ihre Fortbildung nützlich waren. Der Alt¬
geselle nahm diesen Zustand mit völliger Gleichgültigkeit auf.
Er schärfte seine Drehstähle, ersetzte die schadhaften Griffe und
pfiff dabei nach wie vor leise seine Lieblingsmelodie: "So

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„Dann haben Sie die letzte Ihrer Hoffnungen vernichtet;
Sie ſind nicht mehr zu retten. Man ſoll erſt prüfen, ehe
man verdammt, erſt lernen, ehe man lehren will. . . .
Meiſter, ich muß Sie aufgeben. Leben Sie wohl, wir ſehen
uns nicht wieder . . . Aber Sie werden einſtmals anders
denken, und dann erinnern Sie ſich Thomas Beyer's.“

Die Mittagsſtunde hatte gerade geſchlagen. Der Alt¬
geſelle drehte ſich um, ſuchte die Werkſtatt auf und verließ
das Haus. Zwei Tage lang blieb er weg, ohnen ſeinen rück¬
ſtändigen Lohn zu holen, dann fand ihn der Meiſter
eines Morgens wie gewöhnlich an der Drehbank. Man that
ſo, als wäre nichts vorgefallen, wechſelte aber nur die noth¬
wendigſten Worte, die ſich auf die Arbeit bezogen.

Die Monate Juni und Juli erwieſen ſich ſo ſchlecht
in geſchäftlicher Beziehung, daß Timpe ſich mit dem Gedanken
vertraut machte, auch den kleinen Sachſen zu entlaſſen. Es
war weit gekommen. Trotzdem hoffte er von Tag zu Tag,
daß irgend eine unvorhergehende Kataſtrophe hereinbrechen
und dadurch mit einem Schlage eine Beſſerung eintreten
würde. Als dann für Spiller eines Sonnabends die
Trennungsſtunde ſchlug, hatten der Meiſter und ſein Weib
das Gefühl, als würde es für ihre Zukunft beſſer ſein, wenn ſie
auch den Altgeſellen entließen. Aber Thomas Beyer wich und
wankte nicht. Es kam eine Woche, in der wirklich kein
Stück Arbeit vorhanden war. Die Lehrlinge räumten gründlich
auf und drechſelten dann zu ihrem Vergnügen allerhand
Dinge, die für ihre Fortbildung nützlich waren. Der Alt¬
geſelle nahm dieſen Zuſtand mit völliger Gleichgültigkeit auf.
Er ſchärfte ſeine Drehſtähle, erſetzte die ſchadhaften Griffe und
pfiff dabei nach wie vor leiſe ſeine Lieblingsmelodie: „So

15*
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[227/0239] „Dann haben Sie die letzte Ihrer Hoffnungen vernichtet; Sie ſind nicht mehr zu retten. Man ſoll erſt prüfen, ehe man verdammt, erſt lernen, ehe man lehren will. . . . Meiſter, ich muß Sie aufgeben. Leben Sie wohl, wir ſehen uns nicht wieder . . . Aber Sie werden einſtmals anders denken, und dann erinnern Sie ſich Thomas Beyer's.“ Die Mittagsſtunde hatte gerade geſchlagen. Der Alt¬ geſelle drehte ſich um, ſuchte die Werkſtatt auf und verließ das Haus. Zwei Tage lang blieb er weg, ohnen ſeinen rück¬ ſtändigen Lohn zu holen, dann fand ihn der Meiſter eines Morgens wie gewöhnlich an der Drehbank. Man that ſo, als wäre nichts vorgefallen, wechſelte aber nur die noth¬ wendigſten Worte, die ſich auf die Arbeit bezogen. Die Monate Juni und Juli erwieſen ſich ſo ſchlecht in geſchäftlicher Beziehung, daß Timpe ſich mit dem Gedanken vertraut machte, auch den kleinen Sachſen zu entlaſſen. Es war weit gekommen. Trotzdem hoffte er von Tag zu Tag, daß irgend eine unvorhergehende Kataſtrophe hereinbrechen und dadurch mit einem Schlage eine Beſſerung eintreten würde. Als dann für Spiller eines Sonnabends die Trennungsſtunde ſchlug, hatten der Meiſter und ſein Weib das Gefühl, als würde es für ihre Zukunft beſſer ſein, wenn ſie auch den Altgeſellen entließen. Aber Thomas Beyer wich und wankte nicht. Es kam eine Woche, in der wirklich kein Stück Arbeit vorhanden war. Die Lehrlinge räumten gründlich auf und drechſelten dann zu ihrem Vergnügen allerhand Dinge, die für ihre Fortbildung nützlich waren. Der Alt¬ geſelle nahm dieſen Zuſtand mit völliger Gleichgültigkeit auf. Er ſchärfte ſeine Drehſtähle, erſetzte die ſchadhaften Griffe und pfiff dabei nach wie vor leiſe ſeine Lieblingsmelodie: „So 15*

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/239>, abgerufen am 29.04.2024.