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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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lohn bekam. Der Vater gebrauchte nach einer Beschwerde
die Ausrede, sein Sohn habe ihm berichtet, daß selten etwas
zu thun sei, und da könne er wenig lernen. Johannes faßte
die Sache trotz des Aergers, den er empfand, nicht so tragisch
auf. Er hatte einen Esser weniger, und das wollte bei der
trüben Zeit schon etwas sagen.

Als außer einigen Kleinigkeiten immer noch keine nennens¬
werthe Bestellung eintraf, konnte Timpe den Anblick der
bewegungslosen Drehbänke nicht mehr ertragen. Er zog
seinen Sonntagsstaat an, legte einige Muster zusammen und
machte sich auf den Weg zu den ihm fremden Händlern und
größeren Fabrikanten, um Arbeit zu verlangen. Man lobte
seine Kunstfertigkeit, machte ihm das Kompliment, bereits von
ihm gehört zu haben und bat wie gewöhnlich um eine
Kalkulation. War man einmal mit derselben einverstanden
und nicht abgeneigt, ihm einen größeren Auftrag zu geben, so
scheiterte die Ausführung derselben wieder an dem Umstande,
daß er jetzt nicht einmal das nothwendige Kapital besaß, um
Rohmaterialien einzukaufen. Obendrein verlangte man einen
Kredit von einem halben Jahre. Bei den Modeartikeln war
das durchaus der Fall. Hin und wieder bekam er die An¬
fertigung irgend eines einzelnen Gegenstandes, der auf direkte
Bestellung nach eingereichter Zeichnung ausgeführt werden
sollte. Das war das Ganze. Zu allerletzt hielt ihn der Stolz
davon ab, sich mit einem Artikel zu befassen, dessen Preis
seiner einfach unwürdig erschien.

"Lieber thust Du nichts und setzte das Letzte zu," dachte
er dann, wenn er den Ort verließ, wo man ihm soeben zu¬
gemuthet hatte, schlechte Arbeit für ein Spottgeld zu liefern.
Er dachte an seinen verstorbenen Vater, an David Timpe und

lohn bekam. Der Vater gebrauchte nach einer Beſchwerde
die Ausrede, ſein Sohn habe ihm berichtet, daß ſelten etwas
zu thun ſei, und da könne er wenig lernen. Johannes faßte
die Sache trotz des Aergers, den er empfand, nicht ſo tragiſch
auf. Er hatte einen Eſſer weniger, und das wollte bei der
trüben Zeit ſchon etwas ſagen.

Als außer einigen Kleinigkeiten immer noch keine nennens¬
werthe Beſtellung eintraf, konnte Timpe den Anblick der
bewegungsloſen Drehbänke nicht mehr ertragen. Er zog
ſeinen Sonntagsſtaat an, legte einige Muſter zuſammen und
machte ſich auf den Weg zu den ihm fremden Händlern und
größeren Fabrikanten, um Arbeit zu verlangen. Man lobte
ſeine Kunſtfertigkeit, machte ihm das Kompliment, bereits von
ihm gehört zu haben und bat wie gewöhnlich um eine
Kalkulation. War man einmal mit derſelben einverſtanden
und nicht abgeneigt, ihm einen größeren Auftrag zu geben, ſo
ſcheiterte die Ausführung derſelben wieder an dem Umſtande,
daß er jetzt nicht einmal das nothwendige Kapital beſaß, um
Rohmaterialien einzukaufen. Obendrein verlangte man einen
Kredit von einem halben Jahre. Bei den Modeartikeln war
das durchaus der Fall. Hin und wieder bekam er die An¬
fertigung irgend eines einzelnen Gegenſtandes, der auf direkte
Beſtellung nach eingereichter Zeichnung ausgeführt werden
ſollte. Das war das Ganze. Zu allerletzt hielt ihn der Stolz
davon ab, ſich mit einem Artikel zu befaſſen, deſſen Preis
ſeiner einfach unwürdig erſchien.

„Lieber thuſt Du nichts und ſetzte das Letzte zu,“ dachte
er dann, wenn er den Ort verließ, wo man ihm ſoeben zu¬
gemuthet hatte, ſchlechte Arbeit für ein Spottgeld zu liefern.
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[231/0243] lohn bekam. Der Vater gebrauchte nach einer Beſchwerde die Ausrede, ſein Sohn habe ihm berichtet, daß ſelten etwas zu thun ſei, und da könne er wenig lernen. Johannes faßte die Sache trotz des Aergers, den er empfand, nicht ſo tragiſch auf. Er hatte einen Eſſer weniger, und das wollte bei der trüben Zeit ſchon etwas ſagen. Als außer einigen Kleinigkeiten immer noch keine nennens¬ werthe Beſtellung eintraf, konnte Timpe den Anblick der bewegungsloſen Drehbänke nicht mehr ertragen. Er zog ſeinen Sonntagsſtaat an, legte einige Muſter zuſammen und machte ſich auf den Weg zu den ihm fremden Händlern und größeren Fabrikanten, um Arbeit zu verlangen. Man lobte ſeine Kunſtfertigkeit, machte ihm das Kompliment, bereits von ihm gehört zu haben und bat wie gewöhnlich um eine Kalkulation. War man einmal mit derſelben einverſtanden und nicht abgeneigt, ihm einen größeren Auftrag zu geben, ſo ſcheiterte die Ausführung derſelben wieder an dem Umſtande, daß er jetzt nicht einmal das nothwendige Kapital beſaß, um Rohmaterialien einzukaufen. Obendrein verlangte man einen Kredit von einem halben Jahre. Bei den Modeartikeln war das durchaus der Fall. Hin und wieder bekam er die An¬ fertigung irgend eines einzelnen Gegenſtandes, der auf direkte Beſtellung nach eingereichter Zeichnung ausgeführt werden ſollte. Das war das Ganze. Zu allerletzt hielt ihn der Stolz davon ab, ſich mit einem Artikel zu befaſſen, deſſen Preis ſeiner einfach unwürdig erſchien. „Lieber thuſt Du nichts und ſetzte das Letzte zu,“ dachte er dann, wenn er den Ort verließ, wo man ihm ſoeben zu¬ gemuthet hatte, ſchlechte Arbeit für ein Spottgeld zu liefern. Er dachte an ſeinen verſtorbenen Vater, an David Timpe und

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/243>, abgerufen am 29.04.2024.