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Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888.

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die Reihen und spähten nach leeren Stühlen
Man begrüßte sich laut, versuchte, sich zu Bekannten hin¬
zudrängen und erkundigte sich nach diesem und jenem. Die
ganze Unterhaltung drehte sich um die Ersatzwahl. Man
setzte ein sicheres Durchkommen des Arbeiterkandidaten vor¬
aus, aber das offizielle Resultat fehlte noch. Jeder Hinzu¬
kommende wurde mit Fragen bestürmt; auf allen Gesichtern
glänzte die Freude über den voraussichtlichen Sieg. Man
kannte sich nicht, aber trank sich gegenseitig zu auf das Wohl
der guten Sache. Die Stimmen wurden immer lauter, die
Gläser klirrten immer heftiger. Man gestikulirte äußerst auf¬
geregt oder hörte Einem zu, der am Tisch das Wort führte
und die Anderen durch seinen Redefluß zum Schweigen
brachte. Hier waren alle einer Meinung, die Unterhaltung
war eine ruhige; dort stießen die Ansichten schroff auf¬
einander. Die Opposition des Gegners wühlte die Leiden¬
schaft auf und hastige, halberstickte Sätze kamen zum
Vorschein, die dem Redner das Wort vom Munde ab¬
schnitten. Dazwischen die Rufe nach dem Kellner, das Rücken
der Stühle und Tische, das laute Begrüßen Eintretender
und irgend ein Witzwort, das die Stimmung immer rosiger
machte.

Das ganze Bild dieser Menge von tausend in steter
Bewegung sich befindenden Köpfen, belebten Gesichtern, war
beleuchtet von dem flackernden Licht der Gasflammen, die
sich durch die ungeheure Wolke von Qualm, die den Kron¬
leuchter umzog, wie umnebelte Irrlichter ausnahmen. Und
dieses Spreizen der Finger, das jeden Kraftausdruck begleitete;
diese nervösen Bewegungen der Hände, gleichsam, als wollte
man durch sie die so eben gesprochenen Worte doppelt

die Reihen und ſpähten nach leeren Stühlen
Man begrüßte ſich laut, verſuchte, ſich zu Bekannten hin¬
zudrängen und erkundigte ſich nach dieſem und jenem. Die
ganze Unterhaltung drehte ſich um die Erſatzwahl. Man
ſetzte ein ſicheres Durchkommen des Arbeiterkandidaten vor¬
aus, aber das offizielle Reſultat fehlte noch. Jeder Hinzu¬
kommende wurde mit Fragen beſtürmt; auf allen Geſichtern
glänzte die Freude über den vorausſichtlichen Sieg. Man
kannte ſich nicht, aber trank ſich gegenſeitig zu auf das Wohl
der guten Sache. Die Stimmen wurden immer lauter, die
Gläſer klirrten immer heftiger. Man geſtikulirte äußerſt auf¬
geregt oder hörte Einem zu, der am Tiſch das Wort führte
und die Anderen durch ſeinen Redefluß zum Schweigen
brachte. Hier waren alle einer Meinung, die Unterhaltung
war eine ruhige; dort ſtießen die Anſichten ſchroff auf¬
einander. Die Oppoſition des Gegners wühlte die Leiden¬
ſchaft auf und haſtige, halberſtickte Sätze kamen zum
Vorſchein, die dem Redner das Wort vom Munde ab¬
ſchnitten. Dazwiſchen die Rufe nach dem Kellner, das Rücken
der Stühle und Tiſche, das laute Begrüßen Eintretender
und irgend ein Witzwort, das die Stimmung immer roſiger
machte.

Das ganze Bild dieſer Menge von tauſend in ſteter
Bewegung ſich befindenden Köpfen, belebten Geſichtern, war
beleuchtet von dem flackernden Licht der Gasflammen, die
ſich durch die ungeheure Wolke von Qualm, die den Kron¬
leuchter umzog, wie umnebelte Irrlichter ausnahmen. Und
dieſes Spreizen der Finger, das jeden Kraftausdruck begleitete;
dieſe nervöſen Bewegungen der Hände, gleichſam, als wollte
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[286/0298] die Reihen und ſpähten nach leeren Stühlen Man begrüßte ſich laut, verſuchte, ſich zu Bekannten hin¬ zudrängen und erkundigte ſich nach dieſem und jenem. Die ganze Unterhaltung drehte ſich um die Erſatzwahl. Man ſetzte ein ſicheres Durchkommen des Arbeiterkandidaten vor¬ aus, aber das offizielle Reſultat fehlte noch. Jeder Hinzu¬ kommende wurde mit Fragen beſtürmt; auf allen Geſichtern glänzte die Freude über den vorausſichtlichen Sieg. Man kannte ſich nicht, aber trank ſich gegenſeitig zu auf das Wohl der guten Sache. Die Stimmen wurden immer lauter, die Gläſer klirrten immer heftiger. Man geſtikulirte äußerſt auf¬ geregt oder hörte Einem zu, der am Tiſch das Wort führte und die Anderen durch ſeinen Redefluß zum Schweigen brachte. Hier waren alle einer Meinung, die Unterhaltung war eine ruhige; dort ſtießen die Anſichten ſchroff auf¬ einander. Die Oppoſition des Gegners wühlte die Leiden¬ ſchaft auf und haſtige, halberſtickte Sätze kamen zum Vorſchein, die dem Redner das Wort vom Munde ab¬ ſchnitten. Dazwiſchen die Rufe nach dem Kellner, das Rücken der Stühle und Tiſche, das laute Begrüßen Eintretender und irgend ein Witzwort, das die Stimmung immer roſiger machte. Das ganze Bild dieſer Menge von tauſend in ſteter Bewegung ſich befindenden Köpfen, belebten Geſichtern, war beleuchtet von dem flackernden Licht der Gasflammen, die ſich durch die ungeheure Wolke von Qualm, die den Kron¬ leuchter umzog, wie umnebelte Irrlichter ausnahmen. Und dieſes Spreizen der Finger, das jeden Kraftausdruck begleitete; dieſe nervöſen Bewegungen der Hände, gleichſam, als wollte man durch ſie die ſo eben geſprochenen Worte doppelt

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Zitationshilfe: Kretzer, Max: Meister Timpe. Berlin, 1888, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kretzer_timpe_1888/298>, abgerufen am 26.04.2024.