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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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warten. Der angeknüpfte Faden riß aber bald wieder ab und die
Seele der folgenden Scenen war der Lärm. So scheiterte im An¬
fange des zweiten Actes der ewig betrunkene Steuermann an einem
wüsten Vorgebirge, und gibt dem Kapitän Drivvle, dem Simson und
Goliath des Anschlagzettels, Gelegenheit, ganz martialisch zu tumul¬
tuiren. Deßungeachtet sinkt sein Schiff, die abgerichteten Ratten treten
auf und rennen verzweiflungsvoll auf dem Verdecke herum, die New¬
foundländer stürzen auf sie, die Hunde bellen, die Ratten pfeifen, das
Publikum wälzt sich in Wonne und Hoby der Straßenjunge von der
Battery schreit, es sei der schönste Tag seines Lebens. Nicht weniger
dramatisch als Ratten und Hunde benimmt sich das Schiffspersonal.
Hilferufen, Händeringen, Auf- und Abrennen, bestialisches Kämpfen
um die Rettungsboote -- das Alles wird mit einer Wahrheit und
Sinnlichkeit agirt, daß das Publikum auf seinen trockenen Sitzen die
Gräuel eines Schiffbruches nicht mehr schrecklicher erleben kann. Der
Sclavenhändler, seine Beute, Jane Norwood, im Arm, erkämpft sich
ein Rettungsboot, und droht mit seinem Revolver alles niederzuschie¬
ßen, was Miene machte, ihm nachzufolgen. Der Schiffscadett ist wü¬
thend und wirft sich um so eiliger in ein zweites Boot, womit er jenes
zu entern sucht. Die beiden Fahrzeuge liefern sich gegenseitig eine
Schlacht, aber im Boot des Cadetten entsteht selbst wieder ein Auf¬
ruhr darüber, daß er es den Kugeln des Sclavenhändlers aussetzt.
Unter diesem Spektakel verlieren sich beide aus dem Auge des Zu¬
schauers, während das zurückbleibende Wrak die zweite Spektakel-Violine
spielt und vom Geheul der Hunde und Ratten erfüllt in's Wasser sinkt.

Natürlich retten sich die Hauptpersonen. Kapitän Drivvle hat auf
dem Lande durch die öffentlichen Blätter erfahren, daß der Gouverneur
von New-Schottland für die Zurückbringung oder auch nur für eine
Nachricht von seiner Nichte eine hohe Prämie aussetzt. Augenblicklich
macht er den kleinen Abstecher nach Halifax, -- eine neue Scene mit
der Blaunase. Doch das ist nur ein Intermezzo. Die Hauptaction
ruft nach New-Orleans auf den Sclavenmarkt. Der abscheuliche An¬
drew Jackson Dewis hat seine Beute glücklich an Ort gebracht und
bezieht mit ihr die Verkaufshalle. Menschen von allen Schattirungen
erfüllen dieselbe. Und eben wird wieder ein starker Negertrupp aus
den Züchtereien der Carolinen angetrieben, sie singen ihr Heimatslied

warten. Der angeknüpfte Faden riß aber bald wieder ab und die
Seele der folgenden Scenen war der Lärm. So ſcheiterte im An¬
fange des zweiten Actes der ewig betrunkene Steuermann an einem
wüſten Vorgebirge, und gibt dem Kapitän Drivvle, dem Simſon und
Goliath des Anſchlagzettels, Gelegenheit, ganz martialiſch zu tumul¬
tuiren. Deßungeachtet ſinkt ſein Schiff, die abgerichteten Ratten treten
auf und rennen verzweiflungsvoll auf dem Verdecke herum, die New¬
foundländer ſtürzen auf ſie, die Hunde bellen, die Ratten pfeifen, das
Publikum wälzt ſich in Wonne und Hoby der Straßenjunge von der
Battery ſchreit, es ſei der ſchönſte Tag ſeines Lebens. Nicht weniger
dramatiſch als Ratten und Hunde benimmt ſich das Schiffsperſonal.
Hilferufen, Händeringen, Auf- und Abrennen, beſtialiſches Kämpfen
um die Rettungsboote — das Alles wird mit einer Wahrheit und
Sinnlichkeit agirt, daß das Publikum auf ſeinen trockenen Sitzen die
Gräuel eines Schiffbruches nicht mehr ſchrecklicher erleben kann. Der
Sclavenhändler, ſeine Beute, Jane Norwood, im Arm, erkämpft ſich
ein Rettungsboot, und droht mit ſeinem Revolver alles niederzuſchie¬
ßen, was Miene machte, ihm nachzufolgen. Der Schiffscadett iſt wü¬
thend und wirft ſich um ſo eiliger in ein zweites Boot, womit er jenes
zu entern ſucht. Die beiden Fahrzeuge liefern ſich gegenſeitig eine
Schlacht, aber im Boot des Cadetten entſteht ſelbſt wieder ein Auf¬
ruhr darüber, daß er es den Kugeln des Sclavenhändlers ausſetzt.
Unter dieſem Spektakel verlieren ſich beide aus dem Auge des Zu¬
ſchauers, während das zurückbleibende Wrak die zweite Spektakel-Violine
ſpielt und vom Geheul der Hunde und Ratten erfüllt in's Waſſer ſinkt.

Natürlich retten ſich die Hauptperſonen. Kapitän Drivvle hat auf
dem Lande durch die öffentlichen Blätter erfahren, daß der Gouverneur
von New-Schottland für die Zurückbringung oder auch nur für eine
Nachricht von ſeiner Nichte eine hohe Prämie ausſetzt. Augenblicklich
macht er den kleinen Abſtecher nach Halifax, — eine neue Scene mit
der Blaunaſe. Doch das iſt nur ein Intermezzo. Die Hauptaction
ruft nach New-Orleans auf den Sclavenmarkt. Der abſcheuliche An¬
drew Jackſon Dewis hat ſeine Beute glücklich an Ort gebracht und
bezieht mit ihr die Verkaufshalle. Menſchen von allen Schattirungen
erfüllen dieſelbe. Und eben wird wieder ein ſtarker Negertrupp aus
den Züchtereien der Carolinen angetrieben, ſie ſingen ihr Heimatslied

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[88/0106] warten. Der angeknüpfte Faden riß aber bald wieder ab und die Seele der folgenden Scenen war der Lärm. So ſcheiterte im An¬ fange des zweiten Actes der ewig betrunkene Steuermann an einem wüſten Vorgebirge, und gibt dem Kapitän Drivvle, dem Simſon und Goliath des Anſchlagzettels, Gelegenheit, ganz martialiſch zu tumul¬ tuiren. Deßungeachtet ſinkt ſein Schiff, die abgerichteten Ratten treten auf und rennen verzweiflungsvoll auf dem Verdecke herum, die New¬ foundländer ſtürzen auf ſie, die Hunde bellen, die Ratten pfeifen, das Publikum wälzt ſich in Wonne und Hoby der Straßenjunge von der Battery ſchreit, es ſei der ſchönſte Tag ſeines Lebens. Nicht weniger dramatiſch als Ratten und Hunde benimmt ſich das Schiffsperſonal. Hilferufen, Händeringen, Auf- und Abrennen, beſtialiſches Kämpfen um die Rettungsboote — das Alles wird mit einer Wahrheit und Sinnlichkeit agirt, daß das Publikum auf ſeinen trockenen Sitzen die Gräuel eines Schiffbruches nicht mehr ſchrecklicher erleben kann. Der Sclavenhändler, ſeine Beute, Jane Norwood, im Arm, erkämpft ſich ein Rettungsboot, und droht mit ſeinem Revolver alles niederzuſchie¬ ßen, was Miene machte, ihm nachzufolgen. Der Schiffscadett iſt wü¬ thend und wirft ſich um ſo eiliger in ein zweites Boot, womit er jenes zu entern ſucht. Die beiden Fahrzeuge liefern ſich gegenſeitig eine Schlacht, aber im Boot des Cadetten entſteht ſelbſt wieder ein Auf¬ ruhr darüber, daß er es den Kugeln des Sclavenhändlers ausſetzt. Unter dieſem Spektakel verlieren ſich beide aus dem Auge des Zu¬ ſchauers, während das zurückbleibende Wrak die zweite Spektakel-Violine ſpielt und vom Geheul der Hunde und Ratten erfüllt in's Waſſer ſinkt. Natürlich retten ſich die Hauptperſonen. Kapitän Drivvle hat auf dem Lande durch die öffentlichen Blätter erfahren, daß der Gouverneur von New-Schottland für die Zurückbringung oder auch nur für eine Nachricht von ſeiner Nichte eine hohe Prämie ausſetzt. Augenblicklich macht er den kleinen Abſtecher nach Halifax, — eine neue Scene mit der Blaunaſe. Doch das iſt nur ein Intermezzo. Die Hauptaction ruft nach New-Orleans auf den Sclavenmarkt. Der abſcheuliche An¬ drew Jackſon Dewis hat ſeine Beute glücklich an Ort gebracht und bezieht mit ihr die Verkaufshalle. Menſchen von allen Schattirungen erfüllen dieſelbe. Und eben wird wieder ein ſtarker Negertrupp aus den Züchtereien der Carolinen angetrieben, ſie ſingen ihr Heimatslied

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/106>, abgerufen am 29.04.2024.