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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Mimen sein, so war der Moment vom Dichter übel gewählt; denn
nach dem Gewühl der großen Massen-Action war der Zuschauer ent¬
weder zu aufgeregt, als daß das Spiel eines Einzelnen durchschlagen
konnte oder dieser Einzelne mußte seiner Sache sehr gewiß sein.

Der Künstler führte nun folgende Scene auf. Mit der klaffen¬
den Todeswunde in der Brust, aus welcher er einen wirklichen
Strom von rother Flüssigkeit hervorrinnen ließ, dachte er vorerst an's
Sterben noch nicht. In bestialischer Kampfeswuth rast er wie unsinnig
auf der Bühne umher, ganz Rache gegen seine Mörder, schwingt seinen
Schlagriemen, peitscht, geißelt, klatscht in die Luft, gegen die Coulissen,
an den Boden. Fürchterliche Gießbäche von Flüchen schallen aus seinem
Munde und bezeichnen eine noch kraftvolle Lunge, während das rinnende
Blut überall seinen Schritten nachtröpfelt. Aber indem seine Lebens¬
geister noch unbändig strotzen, fängt sein Körper zu brechen an. Glied
für Glied knickt ein, man sieht den Tod durch seinen Körper laufen,
wie über eine stufenreiche Treppe, die Ober- und Unter-Gelenke der
Arme, die Ober- und Unter-Gelenke der Beine, jeder einzelne Wirbel
des Rückgrates bricht zusammen und muß dazu dienen, die Fortschritte
des Todes zu veranschaulichen. Der Künstler weiß seine osteologischen
Mittel mit einem Reichthume zu entfalten, der ein nur allzu genaues
Studium bestaunen läßt. Der Zuschauer verwundert sich über die
Gliederung seines eigenen Körpers. Diesen zerhackten, zerknickten, zer¬
sprungenen Leib jagt der Sterbende nichts desto weniger heulend und
brüllend noch eine Zeit lang umher, und stößt, schleppt und schleift
ihn gewaltsam in wilden Tigersprüngen herum, während seine Bewe¬
gungen immer eckiger und brüchiger, von Tempo zu Tempo immer
zusammenhangloser werden. Er spielt sein Leben ab, wie ein ohrzer¬
reißendes Drehorgelstück, bei welchem Stift für Stift, von der Walze
bricht. Und doch scheint er bis hierher seinen Tod nicht empfunden
zu haben. Dieser Moment tritt jetzt ein. Mitten im wildesten Sprunge
packt er ihn. Der Donner der Lippe erstirbt, der gehobene Fuß ge¬
friert, der geschwungene Schlagriemen erstarrt in der Luft, so steht er
da mit ausholendem Körper, und kann nicht mehr weiter. Der Schlag¬
riemen in der rechten Hand taumelt schlaff am Stiele herab, und leise
zittert seine Spitze. Die linke Hand läßt von der Brustwunde los
und fährt mit den blutigen Fingern über die Augen, gleichsam den

Mimen ſein, ſo war der Moment vom Dichter übel gewählt; denn
nach dem Gewühl der großen Maſſen-Action war der Zuſchauer ent¬
weder zu aufgeregt, als daß das Spiel eines Einzelnen durchſchlagen
konnte oder dieſer Einzelne mußte ſeiner Sache ſehr gewiß ſein.

Der Künſtler führte nun folgende Scene auf. Mit der klaffen¬
den Todeswunde in der Bruſt, aus welcher er einen wirklichen
Strom von rother Flüſſigkeit hervorrinnen ließ, dachte er vorerſt an's
Sterben noch nicht. In beſtialiſcher Kampfeswuth rast er wie unſinnig
auf der Bühne umher, ganz Rache gegen ſeine Mörder, ſchwingt ſeinen
Schlagriemen, peitſcht, geißelt, klatſcht in die Luft, gegen die Couliſſen,
an den Boden. Fürchterliche Gießbäche von Flüchen ſchallen aus ſeinem
Munde und bezeichnen eine noch kraftvolle Lunge, während das rinnende
Blut überall ſeinen Schritten nachtröpfelt. Aber indem ſeine Lebens¬
geiſter noch unbändig ſtrotzen, fängt ſein Körper zu brechen an. Glied
für Glied knickt ein, man ſieht den Tod durch ſeinen Körper laufen,
wie über eine ſtufenreiche Treppe, die Ober- und Unter-Gelenke der
Arme, die Ober- und Unter-Gelenke der Beine, jeder einzelne Wirbel
des Rückgrates bricht zuſammen und muß dazu dienen, die Fortſchritte
des Todes zu veranſchaulichen. Der Künſtler weiß ſeine oſteologiſchen
Mittel mit einem Reichthume zu entfalten, der ein nur allzu genaues
Studium beſtaunen läßt. Der Zuſchauer verwundert ſich über die
Gliederung ſeines eigenen Körpers. Dieſen zerhackten, zerknickten, zer¬
ſprungenen Leib jagt der Sterbende nichts deſto weniger heulend und
brüllend noch eine Zeit lang umher, und ſtößt, ſchleppt und ſchleift
ihn gewaltſam in wilden Tigerſprüngen herum, während ſeine Bewe¬
gungen immer eckiger und brüchiger, von Tempo zu Tempo immer
zuſammenhangloſer werden. Er ſpielt ſein Leben ab, wie ein ohrzer¬
reißendes Drehorgelſtück, bei welchem Stift für Stift, von der Walze
bricht. Und doch ſcheint er bis hierher ſeinen Tod nicht empfunden
zu haben. Dieſer Moment tritt jetzt ein. Mitten im wildeſten Sprunge
packt er ihn. Der Donner der Lippe erſtirbt, der gehobene Fuß ge¬
friert, der geſchwungene Schlagriemen erſtarrt in der Luft, ſo ſteht er
da mit ausholendem Körper, und kann nicht mehr weiter. Der Schlag¬
riemen in der rechten Hand taumelt ſchlaff am Stiele herab, und leiſe
zittert ſeine Spitze. Die linke Hand läßt von der Bruſtwunde los
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[93/0111] Mimen ſein, ſo war der Moment vom Dichter übel gewählt; denn nach dem Gewühl der großen Maſſen-Action war der Zuſchauer ent¬ weder zu aufgeregt, als daß das Spiel eines Einzelnen durchſchlagen konnte oder dieſer Einzelne mußte ſeiner Sache ſehr gewiß ſein. Der Künſtler führte nun folgende Scene auf. Mit der klaffen¬ den Todeswunde in der Bruſt, aus welcher er einen wirklichen Strom von rother Flüſſigkeit hervorrinnen ließ, dachte er vorerſt an's Sterben noch nicht. In beſtialiſcher Kampfeswuth rast er wie unſinnig auf der Bühne umher, ganz Rache gegen ſeine Mörder, ſchwingt ſeinen Schlagriemen, peitſcht, geißelt, klatſcht in die Luft, gegen die Couliſſen, an den Boden. Fürchterliche Gießbäche von Flüchen ſchallen aus ſeinem Munde und bezeichnen eine noch kraftvolle Lunge, während das rinnende Blut überall ſeinen Schritten nachtröpfelt. Aber indem ſeine Lebens¬ geiſter noch unbändig ſtrotzen, fängt ſein Körper zu brechen an. Glied für Glied knickt ein, man ſieht den Tod durch ſeinen Körper laufen, wie über eine ſtufenreiche Treppe, die Ober- und Unter-Gelenke der Arme, die Ober- und Unter-Gelenke der Beine, jeder einzelne Wirbel des Rückgrates bricht zuſammen und muß dazu dienen, die Fortſchritte des Todes zu veranſchaulichen. Der Künſtler weiß ſeine oſteologiſchen Mittel mit einem Reichthume zu entfalten, der ein nur allzu genaues Studium beſtaunen läßt. Der Zuſchauer verwundert ſich über die Gliederung ſeines eigenen Körpers. Dieſen zerhackten, zerknickten, zer¬ ſprungenen Leib jagt der Sterbende nichts deſto weniger heulend und brüllend noch eine Zeit lang umher, und ſtößt, ſchleppt und ſchleift ihn gewaltſam in wilden Tigerſprüngen herum, während ſeine Bewe¬ gungen immer eckiger und brüchiger, von Tempo zu Tempo immer zuſammenhangloſer werden. Er ſpielt ſein Leben ab, wie ein ohrzer¬ reißendes Drehorgelſtück, bei welchem Stift für Stift, von der Walze bricht. Und doch ſcheint er bis hierher ſeinen Tod nicht empfunden zu haben. Dieſer Moment tritt jetzt ein. Mitten im wildeſten Sprunge packt er ihn. Der Donner der Lippe erſtirbt, der gehobene Fuß ge¬ friert, der geſchwungene Schlagriemen erſtarrt in der Luft, ſo ſteht er da mit ausholendem Körper, und kann nicht mehr weiter. Der Schlag¬ riemen in der rechten Hand taumelt ſchlaff am Stiele herab, und leiſe zittert ſeine Spitze. Die linke Hand läßt von der Bruſtwunde los und fährt mit den blutigen Fingern über die Augen, gleichſam den

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/111>, abgerufen am 29.04.2024.