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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Todesnebel hinweg zu wischen. Diese Gebärde ist namenlos traurig.
Aber der Nebel war nicht zu verwischen, und der Sterbende erkennt
seinen ganzen Zustand. Der Gedanke: aufhören, ergreift ihn zum
erstenmal mit vollem Bewußtsein. Verzweiflungsvoll rollen seine Augen,
klappernd schlagen seine Kinnbacken an einander, die geballte Faust
zittert heftiger, sie löst sich auf, der Schlagriemen schlottert einen Augen¬
blick darin, dann fällt er dröhnend auf die Erde herab. Die Hand
sinkt nach. Alle Glieder sinken nach. Er stürzt; die Hände tappen
in Todesfinsterniß nach einem Halt, sie tappen und greifen in's Leere,
der Körper stolpert taumelnd über sich selbst, -- da liegt er! Er liegt
zu Boden. Aber todt ist er noch lange nicht. Nur die willkürlichen
Bewegungen haben aufgehört, die convulsivischen treten jetzt ein. Er
fängt zu zucken an, er wälzt sich unruhig hin und her, die Augen
rollen nicht mehr, sondern sind blöd und groß herausgetrieben, seine
Miene durchläuft eine Reihe der fürchterlichsten Grimassen und wird
immer unkenntlicher. Auch die Stimme verändert sich. Er spricht
noch fort und fort, seine heißen Lebensgeister kühlen sich zu schwer
ab, er wird sprechen bis zum letzten Athemzug. Aber es ist keine
Sprache mehr; die Stimme hat keinen Ton, keine Klangfarbe mehr.
Hohl wimmert er die Töne in sich hinein, er blöckt, er heult, er röchelt
und stöhnt in Lauten, welche nicht mehr dieser Welt gehören. Der
fürchterliche Klang dieser Stimme trifft von Zeit zu Zeit sein eigenes
Ohr, er erschrickt, gibt sich Mühe sich zu verbessern -- wechselt zwi¬
schen menschlichen und thierischen Lauten und bezeichnet dadurch den
Kampf des Bewußtseins mit der überhandnehmenden Bewußtlosigkeit.
Der letzte Ton, den er in der menschlichen Stimmlage versucht, mißlingt
endlich gänzlich; ein raspelnder Athem wälzt sich durch seine Brust,
seine Stimme kommt hervor wie zwischen Feilen und Kratzbürsten. Es
ist eine entsetzliche Erfindung um diese Sterbestimme. Gleichzeitig mit
seinem Ausathmen verdunkelt sich die Bühne. Sei es, daß es in dem
Stücke selbst Abend wird, oder daß das Auslöschen eines Lebenslichtes
mit diesem symbolischen Effect gehoben werden soll. Doch nein, es
wird ein dritter Zweck davon deutlich. Der Sterbende wälzt sich nach
dem Hintergrund. Er streckt seinen Körper dicht an den Vorhang
desselben aus und scheint sich in eine ruhige Lage zurecht zu rücken.
Sein Röcheln wird nicht mehr gehört, sein Zucken nicht mehr gesehen;

Todesnebel hinweg zu wiſchen. Dieſe Gebärde iſt namenlos traurig.
Aber der Nebel war nicht zu verwiſchen, und der Sterbende erkennt
ſeinen ganzen Zuſtand. Der Gedanke: aufhören, ergreift ihn zum
erſtenmal mit vollem Bewußtſein. Verzweiflungsvoll rollen ſeine Augen,
klappernd ſchlagen ſeine Kinnbacken an einander, die geballte Fauſt
zittert heftiger, ſie löst ſich auf, der Schlagriemen ſchlottert einen Augen¬
blick darin, dann fällt er dröhnend auf die Erde herab. Die Hand
ſinkt nach. Alle Glieder ſinken nach. Er ſtürzt; die Hände tappen
in Todesfinſterniß nach einem Halt, ſie tappen und greifen in's Leere,
der Körper ſtolpert taumelnd über ſich ſelbſt, — da liegt er! Er liegt
zu Boden. Aber todt iſt er noch lange nicht. Nur die willkürlichen
Bewegungen haben aufgehört, die convulſiviſchen treten jetzt ein. Er
fängt zu zucken an, er wälzt ſich unruhig hin und her, die Augen
rollen nicht mehr, ſondern ſind blöd und groß herausgetrieben, ſeine
Miene durchläuft eine Reihe der fürchterlichſten Grimaſſen und wird
immer unkenntlicher. Auch die Stimme verändert ſich. Er ſpricht
noch fort und fort, ſeine heißen Lebensgeiſter kühlen ſich zu ſchwer
ab, er wird ſprechen bis zum letzten Athemzug. Aber es iſt keine
Sprache mehr; die Stimme hat keinen Ton, keine Klangfarbe mehr.
Hohl wimmert er die Töne in ſich hinein, er blöckt, er heult, er röchelt
und ſtöhnt in Lauten, welche nicht mehr dieſer Welt gehören. Der
fürchterliche Klang dieſer Stimme trifft von Zeit zu Zeit ſein eigenes
Ohr, er erſchrickt, gibt ſich Mühe ſich zu verbeſſern — wechſelt zwi¬
ſchen menſchlichen und thieriſchen Lauten und bezeichnet dadurch den
Kampf des Bewußtſeins mit der überhandnehmenden Bewußtloſigkeit.
Der letzte Ton, den er in der menſchlichen Stimmlage verſucht, mißlingt
endlich gänzlich; ein raſpelnder Athem wälzt ſich durch ſeine Bruſt,
ſeine Stimme kommt hervor wie zwiſchen Feilen und Kratzbürſten. Es
iſt eine entſetzliche Erfindung um dieſe Sterbeſtimme. Gleichzeitig mit
ſeinem Ausathmen verdunkelt ſich die Bühne. Sei es, daß es in dem
Stücke ſelbſt Abend wird, oder daß das Auslöſchen eines Lebenslichtes
mit dieſem ſymboliſchen Effect gehoben werden ſoll. Doch nein, es
wird ein dritter Zweck davon deutlich. Der Sterbende wälzt ſich nach
dem Hintergrund. Er ſtreckt ſeinen Körper dicht an den Vorhang
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Sein Röcheln wird nicht mehr gehört, ſein Zucken nicht mehr geſehen;

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[94/0112] Todesnebel hinweg zu wiſchen. Dieſe Gebärde iſt namenlos traurig. Aber der Nebel war nicht zu verwiſchen, und der Sterbende erkennt ſeinen ganzen Zuſtand. Der Gedanke: aufhören, ergreift ihn zum erſtenmal mit vollem Bewußtſein. Verzweiflungsvoll rollen ſeine Augen, klappernd ſchlagen ſeine Kinnbacken an einander, die geballte Fauſt zittert heftiger, ſie löst ſich auf, der Schlagriemen ſchlottert einen Augen¬ blick darin, dann fällt er dröhnend auf die Erde herab. Die Hand ſinkt nach. Alle Glieder ſinken nach. Er ſtürzt; die Hände tappen in Todesfinſterniß nach einem Halt, ſie tappen und greifen in's Leere, der Körper ſtolpert taumelnd über ſich ſelbſt, — da liegt er! Er liegt zu Boden. Aber todt iſt er noch lange nicht. Nur die willkürlichen Bewegungen haben aufgehört, die convulſiviſchen treten jetzt ein. Er fängt zu zucken an, er wälzt ſich unruhig hin und her, die Augen rollen nicht mehr, ſondern ſind blöd und groß herausgetrieben, ſeine Miene durchläuft eine Reihe der fürchterlichſten Grimaſſen und wird immer unkenntlicher. Auch die Stimme verändert ſich. Er ſpricht noch fort und fort, ſeine heißen Lebensgeiſter kühlen ſich zu ſchwer ab, er wird ſprechen bis zum letzten Athemzug. Aber es iſt keine Sprache mehr; die Stimme hat keinen Ton, keine Klangfarbe mehr. Hohl wimmert er die Töne in ſich hinein, er blöckt, er heult, er röchelt und ſtöhnt in Lauten, welche nicht mehr dieſer Welt gehören. Der fürchterliche Klang dieſer Stimme trifft von Zeit zu Zeit ſein eigenes Ohr, er erſchrickt, gibt ſich Mühe ſich zu verbeſſern — wechſelt zwi¬ ſchen menſchlichen und thieriſchen Lauten und bezeichnet dadurch den Kampf des Bewußtſeins mit der überhandnehmenden Bewußtloſigkeit. Der letzte Ton, den er in der menſchlichen Stimmlage verſucht, mißlingt endlich gänzlich; ein raſpelnder Athem wälzt ſich durch ſeine Bruſt, ſeine Stimme kommt hervor wie zwiſchen Feilen und Kratzbürſten. Es iſt eine entſetzliche Erfindung um dieſe Sterbeſtimme. Gleichzeitig mit ſeinem Ausathmen verdunkelt ſich die Bühne. Sei es, daß es in dem Stücke ſelbſt Abend wird, oder daß das Auslöſchen eines Lebenslichtes mit dieſem ſymboliſchen Effect gehoben werden ſoll. Doch nein, es wird ein dritter Zweck davon deutlich. Der Sterbende wälzt ſich nach dem Hintergrund. Er ſtreckt ſeinen Körper dicht an den Vorhang deſſelben aus und ſcheint ſich in eine ruhige Lage zurecht zu rücken. Sein Röcheln wird nicht mehr gehört, ſein Zucken nicht mehr geſehen;

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/112>, abgerufen am 29.04.2024.