Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

dage, Sie wollten mir ja nicht aus dem Zimmer gehen, das heißt wohl
springen wollten Sie draus? Wie Sie meinen, Frau Appendage,
ganz nach Ihrem Belieben. Drauf ruf' ich meinen Kammerdiener,
laß mir Toilette machen -- et sic me serfafit Apollo!

Nach diesem Vortrage brach ein Sturm von Beifall und Heiter¬
keit los. Die ganze Gaststube erhob sich mit imposantem Tumulte.
Alle Arme fuhren mit ihren Gläsern empor, Mann für Mann, Tisch
für Tisch stieß an, und wie auf ein Zeichen erscholl's im Chorus:
Unser Bruder Henning der soll leben! Dazwischen sprang der Pfälzer,
kirschroth vor Begeisterung, in die Mitte und fing mit bombenähnlicher
Betonung der ersten Note zu fingen an: Feierlich schalle der Jubel¬
gesang! Auf einmal schrie eine Stimme: Einen Kranz! einen Kranz!
eine Bürgerkrone für den Retter Kleindeutschlands! Der Vorschlag
zündete augenblicklich; die Gesellschaft ruhte nicht bis des deutschen
Kaisers Vronele einen Strohkranz aus der Küche geholt hatte. Der
pfälzische Schreiner ergriff ihn, und um Fallstaff's Wort zu bethätigen:
ich bin nicht nur selbst witzig, sondern auch Ursache, daß Andere Witz
haben, -- schickte er sich an, die Krönung des witzigen Schriftsetzers
mit einer witzigen Ansprache vorzunehmen. Er sprang auf einen Stuhl,
hielt pathetisch den Kranz über Henning's Haupt und sprach: Meine Herren!
ich fühle die Ohnmacht in mir, eine Rede zu halten. Und da der
Mensch die moralische Verpflichtung hat, jedes Talent, das ihm ver¬
sagt ist, zu gebrauchen, so werden Sie mir Ihr gütiges Mißfallen
nicht entziehen, wenn ich meinen Rednermangel hiermit glänzen lasse. --
Aber schon stockte er. Der Kreis fing bereits an, ihn auszulachen, als
er sich wieder sammelte und fortfuhr: Ruhig! Das war nur eine
Kunstpause. Eine Kunstpause, die sich stets dann am Geeignetsten
einstellt, wenn die Gedanken eine Naturpause machen. Zum Teufel
auch mit allen Gedanken! Wozu braucht der Mensch Gedanken? In
der That, wir brauchen nur Einen Gedanken hier! Diesen Einen Ge¬
danken -- wären wir darauf vorbereitet, wir ließen ihn ausgeschnitten
in geöltem Papiertransparent über dem sinnreichen Haupte unsers
Gefeierten leuchten. So leuchte er denn mit Flammenschrift in unsern
Herzen und mit Flammenzunge sei er ausgesprochen der große, welt¬
geschichtliche Gedanke:

Gott verläßt keinen Deutschen!

dage, Sie wollten mir ja nicht aus dem Zimmer gehen, das heißt wohl
ſpringen wollten Sie draus? Wie Sie meinen, Frau Appendage,
ganz nach Ihrem Belieben. Drauf ruf' ich meinen Kammerdiener,
laß mir Toilette machen — et sic me serfafit Apollo!

Nach dieſem Vortrage brach ein Sturm von Beifall und Heiter¬
keit los. Die ganze Gaſtſtube erhob ſich mit impoſantem Tumulte.
Alle Arme fuhren mit ihren Gläſern empor, Mann für Mann, Tiſch
für Tiſch ſtieß an, und wie auf ein Zeichen erſcholl's im Chorus:
Unſer Bruder Henning der ſoll leben! Dazwiſchen ſprang der Pfälzer,
kirſchroth vor Begeiſterung, in die Mitte und fing mit bombenähnlicher
Betonung der erſten Note zu fingen an: Feierlich ſchalle der Jubel¬
geſang! Auf einmal ſchrie eine Stimme: Einen Kranz! einen Kranz!
eine Bürgerkrone für den Retter Kleindeutſchlands! Der Vorſchlag
zündete augenblicklich; die Geſellſchaft ruhte nicht bis des deutſchen
Kaiſers Vronele einen Strohkranz aus der Küche geholt hatte. Der
pfälziſche Schreiner ergriff ihn, und um Fallſtaff's Wort zu bethätigen:
ich bin nicht nur ſelbſt witzig, ſondern auch Urſache, daß Andere Witz
haben, — ſchickte er ſich an, die Krönung des witzigen Schriftſetzers
mit einer witzigen Anſprache vorzunehmen. Er ſprang auf einen Stuhl,
hielt pathetiſch den Kranz über Henning's Haupt und ſprach: Meine Herren!
ich fühle die Ohnmacht in mir, eine Rede zu halten. Und da der
Menſch die moraliſche Verpflichtung hat, jedes Talent, das ihm ver¬
ſagt iſt, zu gebrauchen, ſo werden Sie mir Ihr gütiges Mißfallen
nicht entziehen, wenn ich meinen Rednermangel hiermit glänzen laſſe. —
Aber ſchon ſtockte er. Der Kreis fing bereits an, ihn auszulachen, als
er ſich wieder ſammelte und fortfuhr: Ruhig! Das war nur eine
Kunſtpauſe. Eine Kunſtpauſe, die ſich ſtets dann am Geeignetſten
einſtellt, wenn die Gedanken eine Naturpauſe machen. Zum Teufel
auch mit allen Gedanken! Wozu braucht der Menſch Gedanken? In
der That, wir brauchen nur Einen Gedanken hier! Dieſen Einen Ge¬
danken — wären wir darauf vorbereitet, wir ließen ihn ausgeſchnitten
in geöltem Papiertransparent über dem ſinnreichen Haupte unſers
Gefeierten leuchten. So leuchte er denn mit Flammenſchrift in unſern
Herzen und mit Flammenzunge ſei er ausgeſprochen der große, welt¬
geſchichtliche Gedanke:

Gott verläßt keinen Deutſchen!

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0124" n="106"/>
dage, Sie wollten mir ja nicht aus dem Zimmer gehen, das heißt wohl<lb/><hi rendition="#g">&#x017F;pringen</hi> wollten Sie draus? Wie Sie meinen, Frau Appendage,<lb/>
ganz nach Ihrem Belieben. Drauf ruf' ich meinen Kammerdiener,<lb/>
laß mir Toilette machen &#x2014; <hi rendition="#aq">et sic me serfafit Apollo!</hi></p><lb/>
          <p>Nach die&#x017F;em Vortrage brach ein Sturm von Beifall und Heiter¬<lb/>
keit los. Die ganze Ga&#x017F;t&#x017F;tube erhob &#x017F;ich mit impo&#x017F;antem Tumulte.<lb/>
Alle Arme fuhren mit ihren Glä&#x017F;ern empor, Mann für Mann, Ti&#x017F;ch<lb/>
für Ti&#x017F;ch &#x017F;tieß an, und wie auf ein Zeichen er&#x017F;choll's im Chorus:<lb/>
Un&#x017F;er Bruder Henning der &#x017F;oll leben! Dazwi&#x017F;chen &#x017F;prang der Pfälzer,<lb/>
kir&#x017F;chroth vor Begei&#x017F;terung, in die Mitte und fing mit bombenähnlicher<lb/>
Betonung der er&#x017F;ten Note zu fingen an: Feierlich &#x017F;challe der Jubel¬<lb/>
ge&#x017F;ang! Auf einmal &#x017F;chrie eine Stimme: Einen Kranz! einen Kranz!<lb/>
eine Bürgerkrone für den Retter Kleindeut&#x017F;chlands! Der Vor&#x017F;chlag<lb/>
zündete augenblicklich; die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft ruhte nicht bis des deut&#x017F;chen<lb/>
Kai&#x017F;ers Vronele einen Strohkranz aus der Küche geholt hatte. Der<lb/>
pfälzi&#x017F;che Schreiner ergriff ihn, und um Fall&#x017F;taff's Wort zu bethätigen:<lb/>
ich bin nicht nur &#x017F;elb&#x017F;t witzig, &#x017F;ondern auch Ur&#x017F;ache, daß Andere Witz<lb/>
haben, &#x2014; &#x017F;chickte er &#x017F;ich an, die Krönung des witzigen Schrift&#x017F;etzers<lb/>
mit einer witzigen An&#x017F;prache vorzunehmen. Er &#x017F;prang auf einen Stuhl,<lb/>
hielt patheti&#x017F;ch den Kranz über Henning's Haupt und &#x017F;prach: Meine Herren!<lb/>
ich fühle die Ohnmacht in mir, eine Rede zu halten. Und da der<lb/>
Men&#x017F;ch die morali&#x017F;che Verpflichtung hat, jedes Talent, das ihm ver¬<lb/>
&#x017F;agt i&#x017F;t, zu gebrauchen, &#x017F;o werden Sie mir Ihr gütiges Mißfallen<lb/>
nicht entziehen, wenn ich meinen Rednermangel hiermit glänzen la&#x017F;&#x017F;e. &#x2014;<lb/>
Aber &#x017F;chon &#x017F;tockte er. Der Kreis fing bereits an, ihn auszulachen, als<lb/>
er &#x017F;ich wieder &#x017F;ammelte und fortfuhr: Ruhig! Das war nur eine<lb/>
Kun&#x017F;tpau&#x017F;e. Eine Kun&#x017F;tpau&#x017F;e, die &#x017F;ich &#x017F;tets dann am Geeignet&#x017F;ten<lb/>
ein&#x017F;tellt, wenn die Gedanken eine Naturpau&#x017F;e machen. Zum Teufel<lb/>
auch mit allen Gedanken! Wozu braucht der Men&#x017F;ch Gedanken? In<lb/>
der That, wir brauchen nur Einen Gedanken hier! Die&#x017F;en Einen Ge¬<lb/>
danken &#x2014; wären wir darauf vorbereitet, wir ließen ihn ausge&#x017F;chnitten<lb/>
in geöltem Papiertransparent über dem &#x017F;innreichen Haupte un&#x017F;ers<lb/>
Gefeierten leuchten. So leuchte er denn mit Flammen&#x017F;chrift in un&#x017F;ern<lb/>
Herzen und mit Flammenzunge &#x017F;ei er ausge&#x017F;prochen der große, welt¬<lb/>
ge&#x017F;chichtliche Gedanke:</p><lb/>
          <p rendition="#c">Gott verläßt keinen Deut&#x017F;chen!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0124] dage, Sie wollten mir ja nicht aus dem Zimmer gehen, das heißt wohl ſpringen wollten Sie draus? Wie Sie meinen, Frau Appendage, ganz nach Ihrem Belieben. Drauf ruf' ich meinen Kammerdiener, laß mir Toilette machen — et sic me serfafit Apollo! Nach dieſem Vortrage brach ein Sturm von Beifall und Heiter¬ keit los. Die ganze Gaſtſtube erhob ſich mit impoſantem Tumulte. Alle Arme fuhren mit ihren Gläſern empor, Mann für Mann, Tiſch für Tiſch ſtieß an, und wie auf ein Zeichen erſcholl's im Chorus: Unſer Bruder Henning der ſoll leben! Dazwiſchen ſprang der Pfälzer, kirſchroth vor Begeiſterung, in die Mitte und fing mit bombenähnlicher Betonung der erſten Note zu fingen an: Feierlich ſchalle der Jubel¬ geſang! Auf einmal ſchrie eine Stimme: Einen Kranz! einen Kranz! eine Bürgerkrone für den Retter Kleindeutſchlands! Der Vorſchlag zündete augenblicklich; die Geſellſchaft ruhte nicht bis des deutſchen Kaiſers Vronele einen Strohkranz aus der Küche geholt hatte. Der pfälziſche Schreiner ergriff ihn, und um Fallſtaff's Wort zu bethätigen: ich bin nicht nur ſelbſt witzig, ſondern auch Urſache, daß Andere Witz haben, — ſchickte er ſich an, die Krönung des witzigen Schriftſetzers mit einer witzigen Anſprache vorzunehmen. Er ſprang auf einen Stuhl, hielt pathetiſch den Kranz über Henning's Haupt und ſprach: Meine Herren! ich fühle die Ohnmacht in mir, eine Rede zu halten. Und da der Menſch die moraliſche Verpflichtung hat, jedes Talent, das ihm ver¬ ſagt iſt, zu gebrauchen, ſo werden Sie mir Ihr gütiges Mißfallen nicht entziehen, wenn ich meinen Rednermangel hiermit glänzen laſſe. — Aber ſchon ſtockte er. Der Kreis fing bereits an, ihn auszulachen, als er ſich wieder ſammelte und fortfuhr: Ruhig! Das war nur eine Kunſtpauſe. Eine Kunſtpauſe, die ſich ſtets dann am Geeignetſten einſtellt, wenn die Gedanken eine Naturpauſe machen. Zum Teufel auch mit allen Gedanken! Wozu braucht der Menſch Gedanken? In der That, wir brauchen nur Einen Gedanken hier! Dieſen Einen Ge¬ danken — wären wir darauf vorbereitet, wir ließen ihn ausgeſchnitten in geöltem Papiertransparent über dem ſinnreichen Haupte unſers Gefeierten leuchten. So leuchte er denn mit Flammenſchrift in unſern Herzen und mit Flammenzunge ſei er ausgeſprochen der große, welt¬ geſchichtliche Gedanke: Gott verläßt keinen Deutſchen!

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/124
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/124>, abgerufen am 28.04.2024.