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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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blick eines Mannsbildes im Bette. Aber meine Frau Appendage,
Mitglied von so und so viel Religions- und Sittlichkeits-Compagnien,
trat herzhaft ein. Das verrieth schon ihre unerschütterliche Entschlossen¬
heit, sich diesmal Geld auszufechten. Sie warf sich auf's christliche
Mitleid, und stellte sich, als ob sie mich für unpäßlich hielte: so kam
sie um die weibliche Sittsamkeit herum. Ich dachte mir: Warte, du
falsches Stück Katzenvieh, du findest doch noch einen Klügern. Also:
Guten Morgen, Herr Henning. -- Guten Morgen, Frau Appendage. --
Ei, du mein süßes Gottchen, fehlt Ihnen etwas? Wollen Sie in die
Apotheke geschickt haben? -- Danke, danke, es geht wohl. -- Nun
desto besser; hier bring' ich die Wäsche. -- Schön, legen Sie's dort¬
hin. -- Wie, mein werther Herr Henning, das Hinlegen allein kann
mir nichts helfen! Sie wissen doch, daß ich heute Geld haben muß? --
Haben sollen Sie allerdings was, aber Geduld, das ist viel christ¬
licher als Geld. -- Sie gottloser Spötter! Ich kenne die Moral und
lerne sie noch von ganz andern Geistern als Sie mir sind. Sie sollen
mir sagen, was christlich ist! Zahlen ist heute christlich. Ich will
Geld haben! -- Da schlagen unsre Herzen vollkommen einig, Frau
Appendage, denn auch ich will Geld haben; ich hab's aber nicht. --
Das kümmert mich wenig; kurz ich gehe heute nicht aus dem Zimmer,
bis ich nicht auf den letzten Cent bezahlt bin. -- In diesem Augen¬
blicke stand ich auf, sie zu bezahlen. -- Wer lacht da? Honny soit
qui mal y pense!
sagt die Königin Elisabeth eine Scene zuvor, als
sie den Mortimer zum Giftmorde dingt, und ihm eine Nacht verspricht.
Das war ein Weibsbild! Wenn unser einer so wär'! Aber nein; im
Gegentheile, ich war nie unschuldiger als heut Morgen, da ich aufstand,
meine Frau Appendage zu bezahlen. Auf Ehre, ich zeigte mich ihr
wie ein neugebornes Kind, so unschuldig, will ich sagen. Ihr hättet's
sehen sollen, wie hübsch dem langen Henning das Kleid der Unschuld
zu Gesichte stand. Wenigstens passend sind solche Kleider, sie machen
kein Fältchen, ich versichere euch. Aber meine Frau Appendage --
Herr Jeses, so soll ich kreischen hören! Gott weiß, was sie hatte;
konnte ich ahnen, daß ihr die helle pure Kinderunschuld so ein Dorn
im Auge war? Krisch, krasch, krusch! kreischt sie auf, als ob ein gan¬
zes Nest von Kibitzen zerstöbe, und zur Thüre war sie hinaus, wie
ein Kreisel. Durch's Schlüsselloch rief ich ihr nach: Ei, Frau Appen¬

blick eines Mannsbildes im Bette. Aber meine Frau Appendage,
Mitglied von ſo und ſo viel Religions- und Sittlichkeits-Compagnien,
trat herzhaft ein. Das verrieth ſchon ihre unerſchütterliche Entſchloſſen¬
heit, ſich diesmal Geld auszufechten. Sie warf ſich auf's chriſtliche
Mitleid, und ſtellte ſich, als ob ſie mich für unpäßlich hielte: ſo kam
ſie um die weibliche Sittſamkeit herum. Ich dachte mir: Warte, du
falſches Stück Katzenvieh, du findeſt doch noch einen Klügern. Alſo:
Guten Morgen, Herr Henning. — Guten Morgen, Frau Appendage. —
Ei, du mein ſüßes Gottchen, fehlt Ihnen etwas? Wollen Sie in die
Apotheke geſchickt haben? — Danke, danke, es geht wohl. — Nun
deſto beſſer; hier bring' ich die Wäſche. — Schön, legen Sie's dort¬
hin. — Wie, mein werther Herr Henning, das Hinlegen allein kann
mir nichts helfen! Sie wiſſen doch, daß ich heute Geld haben muß? —
Haben ſollen Sie allerdings was, aber Geduld, das iſt viel chriſt¬
licher als Geld. — Sie gottloſer Spötter! Ich kenne die Moral und
lerne ſie noch von ganz andern Geiſtern als Sie mir ſind. Sie ſollen
mir ſagen, was chriſtlich iſt! Zahlen iſt heute chriſtlich. Ich will
Geld haben! — Da ſchlagen unſre Herzen vollkommen einig, Frau
Appendage, denn auch ich will Geld haben; ich hab's aber nicht. —
Das kümmert mich wenig; kurz ich gehe heute nicht aus dem Zimmer,
bis ich nicht auf den letzten Cent bezahlt bin. — In dieſem Augen¬
blicke ſtand ich auf, ſie zu bezahlen. — Wer lacht da? Honny soit
qui mal y pense!
ſagt die Königin Eliſabeth eine Scene zuvor, als
ſie den Mortimer zum Giftmorde dingt, und ihm eine Nacht verſpricht.
Das war ein Weibsbild! Wenn unſer einer ſo wär'! Aber nein; im
Gegentheile, ich war nie unſchuldiger als heut Morgen, da ich aufſtand,
meine Frau Appendage zu bezahlen. Auf Ehre, ich zeigte mich ihr
wie ein neugebornes Kind, ſo unſchuldig, will ich ſagen. Ihr hättet's
ſehen ſollen, wie hübſch dem langen Henning das Kleid der Unſchuld
zu Geſichte ſtand. Wenigſtens paſſend ſind ſolche Kleider, ſie machen
kein Fältchen, ich verſichere euch. Aber meine Frau Appendage —
Herr Jeſes, ſo ſoll ich kreiſchen hören! Gott weiß, was ſie hatte;
konnte ich ahnen, daß ihr die helle pure Kinderunſchuld ſo ein Dorn
im Auge war? Kriſch, kraſch, kruſch! kreiſcht ſie auf, als ob ein gan¬
zes Neſt von Kibitzen zerſtöbe, und zur Thüre war ſie hinaus, wie
ein Kreiſel. Durch's Schlüſſelloch rief ich ihr nach: Ei, Frau Appen¬

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[105/0123] blick eines Mannsbildes im Bette. Aber meine Frau Appendage, Mitglied von ſo und ſo viel Religions- und Sittlichkeits-Compagnien, trat herzhaft ein. Das verrieth ſchon ihre unerſchütterliche Entſchloſſen¬ heit, ſich diesmal Geld auszufechten. Sie warf ſich auf's chriſtliche Mitleid, und ſtellte ſich, als ob ſie mich für unpäßlich hielte: ſo kam ſie um die weibliche Sittſamkeit herum. Ich dachte mir: Warte, du falſches Stück Katzenvieh, du findeſt doch noch einen Klügern. Alſo: Guten Morgen, Herr Henning. — Guten Morgen, Frau Appendage. — Ei, du mein ſüßes Gottchen, fehlt Ihnen etwas? Wollen Sie in die Apotheke geſchickt haben? — Danke, danke, es geht wohl. — Nun deſto beſſer; hier bring' ich die Wäſche. — Schön, legen Sie's dort¬ hin. — Wie, mein werther Herr Henning, das Hinlegen allein kann mir nichts helfen! Sie wiſſen doch, daß ich heute Geld haben muß? — Haben ſollen Sie allerdings was, aber Geduld, das iſt viel chriſt¬ licher als Geld. — Sie gottloſer Spötter! Ich kenne die Moral und lerne ſie noch von ganz andern Geiſtern als Sie mir ſind. Sie ſollen mir ſagen, was chriſtlich iſt! Zahlen iſt heute chriſtlich. Ich will Geld haben! — Da ſchlagen unſre Herzen vollkommen einig, Frau Appendage, denn auch ich will Geld haben; ich hab's aber nicht. — Das kümmert mich wenig; kurz ich gehe heute nicht aus dem Zimmer, bis ich nicht auf den letzten Cent bezahlt bin. — In dieſem Augen¬ blicke ſtand ich auf, ſie zu bezahlen. — Wer lacht da? Honny soit qui mal y pense! ſagt die Königin Eliſabeth eine Scene zuvor, als ſie den Mortimer zum Giftmorde dingt, und ihm eine Nacht verſpricht. Das war ein Weibsbild! Wenn unſer einer ſo wär'! Aber nein; im Gegentheile, ich war nie unſchuldiger als heut Morgen, da ich aufſtand, meine Frau Appendage zu bezahlen. Auf Ehre, ich zeigte mich ihr wie ein neugebornes Kind, ſo unſchuldig, will ich ſagen. Ihr hättet's ſehen ſollen, wie hübſch dem langen Henning das Kleid der Unſchuld zu Geſichte ſtand. Wenigſtens paſſend ſind ſolche Kleider, ſie machen kein Fältchen, ich verſichere euch. Aber meine Frau Appendage — Herr Jeſes, ſo ſoll ich kreiſchen hören! Gott weiß, was ſie hatte; konnte ich ahnen, daß ihr die helle pure Kinderunſchuld ſo ein Dorn im Auge war? Kriſch, kraſch, kruſch! kreiſcht ſie auf, als ob ein gan¬ zes Neſt von Kibitzen zerſtöbe, und zur Thüre war ſie hinaus, wie ein Kreiſel. Durch's Schlüſſelloch rief ich ihr nach: Ei, Frau Appen¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/123>, abgerufen am 29.04.2024.