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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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unterhalten, ob von Wind und Wetter oder von Geschäften: 's ist
immer Zeitvertreib. Das müßte noch ganz andere Maßstäbe annehmen,
wenn es des Lohnes werth sein sollte. Ein Berichterstatter müßte
seinen Beruf daraus machen, -- was sag' ich, Einer? Ein ganzes
Comite wäre nicht zu viel. Wahrscheinlich erleben wir auch die Grün¬
dung eines solchen; es müssen erst ein paar tausend unsers Volks zu
Grunde gehen in den Händen der Hafenauskünftler. Das ist auch in
der Ordnung! -- Und abspringend von dem patriotischen Sarkasmus
fuhr er fort: Ihr Gewerbe, Herr Eckerlein, hat goldenen Boden in
Newyork, seien Sie ganz ruhig darüber. Die Sache ist einfach die:
Sie haben die sogenannte "gute Zeit" ungefähr um Ostern herum
auf der See zugebracht; nicht wahr? Herbst und Frühling ist
aber auch hier die gute Zeit für die Schneider, und Winter und
Sommer die schlechte. Indeß ist auch die schlechte keineswegs brodlos
in Newyork. Es floriren da die sogenannten South-Shops, die großen
Kleiderfabriken, welche ganze Schiffsladungen ihrer Waare nach dem
Süden absetzen. Sie können denken, wie für die Schafhirten Virginiens,
oder für die Neger der Reis- und Zuckerplantagen genäht wird. So
bekommen Sie denn auch für ein Beinkleid fünfundzwanzig Cent, eine
Näherin gar nur achtzehn, während in der eleganten Newyorker Season
der Lohn ein, sogar anderthalb Dollar ist. Dieses Lohnersparniß macht
natürlich den enormen Vortheil der South-Shops aus, während der
Schneider selbst doch auch wieder Vortheil davon hat: den Vortheil
einer stets offenen Versorgungsanstalt in seinen schlimmsten Tagen.
Ich rathe Ihnen also, Herr Eckerlein, nehmen Sie bis zum Herbst
mit so einem Shout-Shop verlieb.

Der Würtemberger antwortete: Ei, Herr Rector, ich frug schon
herum bei Einigen, aber man schlug mir überall fixes Engagement
vor, und da bat ich mir doch Bedenkzeit aus.

Benthal lächelte: Die Rackers! wie sie nur ein deutsches Gesicht
sehen, versuchen sie gleich die Prellerei. Fixes Engagement in einem
Shouth-Shop! Ein theures Linsengericht in einer hungrigen Stunde!
Ueberhaupt, meine Herren, betrachten Sie das so ziemlich als Regel:
wer Ihnen gar zu prompt festen Contract anbietet, der speculirt auf
Ihre Landesunkenntniß, auf Ihre augenblickliche Noth, und will Sie
zum weißen Sclaven machen. Nein, Herr Eckerlein, nichts von solchen

unterhalten, ob von Wind und Wetter oder von Geſchäften: 's iſt
immer Zeitvertreib. Das müßte noch ganz andere Maßſtäbe annehmen,
wenn es des Lohnes werth ſein ſollte. Ein Berichterſtatter müßte
ſeinen Beruf daraus machen, — was ſag' ich, Einer? Ein ganzes
Comité wäre nicht zu viel. Wahrſcheinlich erleben wir auch die Grün¬
dung eines ſolchen; es müſſen erſt ein paar tauſend unſers Volks zu
Grunde gehen in den Händen der Hafenauskünftler. Das iſt auch in
der Ordnung! — Und abſpringend von dem patriotiſchen Sarkasmus
fuhr er fort: Ihr Gewerbe, Herr Eckerlein, hat goldenen Boden in
Newyork, ſeien Sie ganz ruhig darüber. Die Sache iſt einfach die:
Sie haben die ſogenannte „gute Zeit“ ungefähr um Oſtern herum
auf der See zugebracht; nicht wahr? Herbſt und Frühling iſt
aber auch hier die gute Zeit für die Schneider, und Winter und
Sommer die ſchlechte. Indeß iſt auch die ſchlechte keineswegs brodlos
in Newyork. Es floriren da die ſogenannten South-Shops, die großen
Kleiderfabriken, welche ganze Schiffsladungen ihrer Waare nach dem
Süden abſetzen. Sie können denken, wie für die Schafhirten Virginiens,
oder für die Neger der Reis- und Zuckerplantagen genäht wird. So
bekommen Sie denn auch für ein Beinkleid fünfundzwanzig Cent, eine
Näherin gar nur achtzehn, während in der eleganten Newyorker Seaſon
der Lohn ein, ſogar anderthalb Dollar iſt. Dieſes Lohnerſparniß macht
natürlich den enormen Vortheil der South-Shops aus, während der
Schneider ſelbſt doch auch wieder Vortheil davon hat: den Vortheil
einer ſtets offenen Verſorgungsanſtalt in ſeinen ſchlimmſten Tagen.
Ich rathe Ihnen alſo, Herr Eckerlein, nehmen Sie bis zum Herbſt
mit ſo einem Shout-Shop verlieb.

Der Würtemberger antwortete: Ei, Herr Rector, ich frug ſchon
herum bei Einigen, aber man ſchlug mir überall fixes Engagement
vor, und da bat ich mir doch Bedenkzeit aus.

Benthal lächelte: Die Rackers! wie ſie nur ein deutſches Geſicht
ſehen, verſuchen ſie gleich die Prellerei. Fixes Engagement in einem
Shouth-Shop! Ein theures Linſengericht in einer hungrigen Stunde!
Ueberhaupt, meine Herren, betrachten Sie das ſo ziemlich als Regel:
wer Ihnen gar zu prompt feſten Contract anbietet, der ſpeculirt auf
Ihre Landesunkenntniß, auf Ihre augenblickliche Noth, und will Sie
zum weißen Sclaven machen. Nein, Herr Eckerlein, nichts von ſolchen

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[122/0140] unterhalten, ob von Wind und Wetter oder von Geſchäften: 's iſt immer Zeitvertreib. Das müßte noch ganz andere Maßſtäbe annehmen, wenn es des Lohnes werth ſein ſollte. Ein Berichterſtatter müßte ſeinen Beruf daraus machen, — was ſag' ich, Einer? Ein ganzes Comité wäre nicht zu viel. Wahrſcheinlich erleben wir auch die Grün¬ dung eines ſolchen; es müſſen erſt ein paar tauſend unſers Volks zu Grunde gehen in den Händen der Hafenauskünftler. Das iſt auch in der Ordnung! — Und abſpringend von dem patriotiſchen Sarkasmus fuhr er fort: Ihr Gewerbe, Herr Eckerlein, hat goldenen Boden in Newyork, ſeien Sie ganz ruhig darüber. Die Sache iſt einfach die: Sie haben die ſogenannte „gute Zeit“ ungefähr um Oſtern herum auf der See zugebracht; nicht wahr? Herbſt und Frühling iſt aber auch hier die gute Zeit für die Schneider, und Winter und Sommer die ſchlechte. Indeß iſt auch die ſchlechte keineswegs brodlos in Newyork. Es floriren da die ſogenannten South-Shops, die großen Kleiderfabriken, welche ganze Schiffsladungen ihrer Waare nach dem Süden abſetzen. Sie können denken, wie für die Schafhirten Virginiens, oder für die Neger der Reis- und Zuckerplantagen genäht wird. So bekommen Sie denn auch für ein Beinkleid fünfundzwanzig Cent, eine Näherin gar nur achtzehn, während in der eleganten Newyorker Seaſon der Lohn ein, ſogar anderthalb Dollar iſt. Dieſes Lohnerſparniß macht natürlich den enormen Vortheil der South-Shops aus, während der Schneider ſelbſt doch auch wieder Vortheil davon hat: den Vortheil einer ſtets offenen Verſorgungsanſtalt in ſeinen ſchlimmſten Tagen. Ich rathe Ihnen alſo, Herr Eckerlein, nehmen Sie bis zum Herbſt mit ſo einem Shout-Shop verlieb. Der Würtemberger antwortete: Ei, Herr Rector, ich frug ſchon herum bei Einigen, aber man ſchlug mir überall fixes Engagement vor, und da bat ich mir doch Bedenkzeit aus. Benthal lächelte: Die Rackers! wie ſie nur ein deutſches Geſicht ſehen, verſuchen ſie gleich die Prellerei. Fixes Engagement in einem Shouth-Shop! Ein theures Linſengericht in einer hungrigen Stunde! Ueberhaupt, meine Herren, betrachten Sie das ſo ziemlich als Regel: wer Ihnen gar zu prompt feſten Contract anbietet, der ſpeculirt auf Ihre Landesunkenntniß, auf Ihre augenblickliche Noth, und will Sie zum weißen Sclaven machen. Nein, Herr Eckerlein, nichts von ſolchen

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/140>, abgerufen am 28.04.2024.