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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Jahr und Tag keinen Erwerb hier gefunden, an den Hafenplatz, von
dem er gekommen, wieder zurückzuführen, und zwar unentgeltlich. Die¬
jenigen nun, welche im äußersten Falle --

Hier wurden die Worte des Sprechers unhörbar, denn die ganze
Versammlung war wie elektrisirt bei dieser Mittheilung. Alles sprang
von den Stühlen auf, als sollte es stehenden Fußes nach Deutschland
zurückgehen. Der Zustand jedes Einzelnen schien mit Einemmale kopf¬
über gestürzt, jede Sachlage in ihr Gegentheil verwandelt, jeder ge¬
faßte Entschluß unhaltbar, und nur der eine Gedanke lebensfähig:
Rückkehr nach Deutschland. Wie ein ausfliegender Bienenschwarm ent¬
stand plötzlich eine äußerst lebhafte, ja tumultuarische Debatte in der
Gaststube, und ihr Inhalt war -- wenn in dem allgemeinen Durch¬
einander überhaupt sich ein Inhalt verfolgen ließ -- daß Jeder dem
Andern zu beweisen suchte, sein Erwerb sei unzulänglich, war es nie an¬
ders, und werde es nie anders sein; kurz, er sei im vollsten Rechte,
jenes Gesetz zu seinen Gunsten in Anspruch zu nehmen. Dazwischen
wurde mit glühenden Farben das Leben in Deutschland geschildert, es
stellte sich sonnenklar heraus, daß man zu Hause das Beste verlassen
und das Schlimmste dafür eingetauscht, man könne nicht schnell genug
den Fehler gut machen; ja, die hitzigsten Köpfe ließen sogar den Vor¬
wurf hören, daß Benthal diese Nachricht all' seinen übrigen nicht gleich
vorausgeschickt, sie sei ja mehr werth, als das ganze Amerika.

Benthal versuchte ein paar Mal zu Worte zu kommen, aber ver¬
gebens: er wurde der Aufregung nicht mächtig. Mit schwülem Auf¬
athmen griff er sich an die Stirne, that einen Zug aus seinem Glase,
und sah über das ordnungslose Element dahin, mit einem Blicke, der
halb dem verachtenden, halb dem erbarmenden Mitleid angehörte. End¬
lich gewann das Erbarmen die Oberhand, er sprang auf, und griff
mit folgender Ansprache muthig an sein Steuer.

Meine Herren, rief er, da Sie sämmtlich nach Deutschland
zurückkehren, so erlauben Sie mir ein Wort des Abschiedes, denn wir
sehen uns in diesem Falle wahrscheinlich zum letzten Male heute. Nach
diesen Worten wiederholte er einen Zug aus seinem Glase, aber wenn
je eine Kunstpause wirkte, so that es diese. Es wurde plötzlich stille,
man sah sich mit langen Gesichtern an, einige fingen zu lachen an.
Diesen Moment ergriff Benthal, er setzte sein Glas ab, und lächelte

Jahr und Tag keinen Erwerb hier gefunden, an den Hafenplatz, von
dem er gekommen, wieder zurückzuführen, und zwar unentgeltlich. Die¬
jenigen nun, welche im äußerſten Falle —

Hier wurden die Worte des Sprechers unhörbar, denn die ganze
Verſammlung war wie elektriſirt bei dieſer Mittheilung. Alles ſprang
von den Stühlen auf, als ſollte es ſtehenden Fußes nach Deutſchland
zurückgehen. Der Zuſtand jedes Einzelnen ſchien mit Einemmale kopf¬
über geſtürzt, jede Sachlage in ihr Gegentheil verwandelt, jeder ge¬
faßte Entſchluß unhaltbar, und nur der eine Gedanke lebensfähig:
Rückkehr nach Deutſchland. Wie ein ausfliegender Bienenſchwarm ent¬
ſtand plötzlich eine äußerſt lebhafte, ja tumultuariſche Debatte in der
Gaſtſtube, und ihr Inhalt war — wenn in dem allgemeinen Durch¬
einander überhaupt ſich ein Inhalt verfolgen ließ — daß Jeder dem
Andern zu beweiſen ſuchte, ſein Erwerb ſei unzulänglich, war es nie an¬
ders, und werde es nie anders ſein; kurz, er ſei im vollſten Rechte,
jenes Geſetz zu ſeinen Gunſten in Anſpruch zu nehmen. Dazwiſchen
wurde mit glühenden Farben das Leben in Deutſchland geſchildert, es
ſtellte ſich ſonnenklar heraus, daß man zu Hauſe das Beſte verlaſſen
und das Schlimmſte dafür eingetauſcht, man könne nicht ſchnell genug
den Fehler gut machen; ja, die hitzigſten Köpfe ließen ſogar den Vor¬
wurf hören, daß Benthal dieſe Nachricht all' ſeinen übrigen nicht gleich
vorausgeſchickt, ſie ſei ja mehr werth, als das ganze Amerika.

Benthal verſuchte ein paar Mal zu Worte zu kommen, aber ver¬
gebens: er wurde der Aufregung nicht mächtig. Mit ſchwülem Auf¬
athmen griff er ſich an die Stirne, that einen Zug aus ſeinem Glaſe,
und ſah über das ordnungsloſe Element dahin, mit einem Blicke, der
halb dem verachtenden, halb dem erbarmenden Mitleid angehörte. End¬
lich gewann das Erbarmen die Oberhand, er ſprang auf, und griff
mit folgender Anſprache muthig an ſein Steuer.

Meine Herren, rief er, da Sie ſämmtlich nach Deutſchland
zurückkehren, ſo erlauben Sie mir ein Wort des Abſchiedes, denn wir
ſehen uns in dieſem Falle wahrſcheinlich zum letzten Male heute. Nach
dieſen Worten wiederholte er einen Zug aus ſeinem Glaſe, aber wenn
je eine Kunſtpauſe wirkte, ſo that es dieſe. Es wurde plötzlich ſtille,
man ſah ſich mit langen Geſichtern an, einige fingen zu lachen an.
Dieſen Moment ergriff Benthal, er ſetzte ſein Glas ab, und lächelte

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[126/0144] Jahr und Tag keinen Erwerb hier gefunden, an den Hafenplatz, von dem er gekommen, wieder zurückzuführen, und zwar unentgeltlich. Die¬ jenigen nun, welche im äußerſten Falle — Hier wurden die Worte des Sprechers unhörbar, denn die ganze Verſammlung war wie elektriſirt bei dieſer Mittheilung. Alles ſprang von den Stühlen auf, als ſollte es ſtehenden Fußes nach Deutſchland zurückgehen. Der Zuſtand jedes Einzelnen ſchien mit Einemmale kopf¬ über geſtürzt, jede Sachlage in ihr Gegentheil verwandelt, jeder ge¬ faßte Entſchluß unhaltbar, und nur der eine Gedanke lebensfähig: Rückkehr nach Deutſchland. Wie ein ausfliegender Bienenſchwarm ent¬ ſtand plötzlich eine äußerſt lebhafte, ja tumultuariſche Debatte in der Gaſtſtube, und ihr Inhalt war — wenn in dem allgemeinen Durch¬ einander überhaupt ſich ein Inhalt verfolgen ließ — daß Jeder dem Andern zu beweiſen ſuchte, ſein Erwerb ſei unzulänglich, war es nie an¬ ders, und werde es nie anders ſein; kurz, er ſei im vollſten Rechte, jenes Geſetz zu ſeinen Gunſten in Anſpruch zu nehmen. Dazwiſchen wurde mit glühenden Farben das Leben in Deutſchland geſchildert, es ſtellte ſich ſonnenklar heraus, daß man zu Hauſe das Beſte verlaſſen und das Schlimmſte dafür eingetauſcht, man könne nicht ſchnell genug den Fehler gut machen; ja, die hitzigſten Köpfe ließen ſogar den Vor¬ wurf hören, daß Benthal dieſe Nachricht all' ſeinen übrigen nicht gleich vorausgeſchickt, ſie ſei ja mehr werth, als das ganze Amerika. Benthal verſuchte ein paar Mal zu Worte zu kommen, aber ver¬ gebens: er wurde der Aufregung nicht mächtig. Mit ſchwülem Auf¬ athmen griff er ſich an die Stirne, that einen Zug aus ſeinem Glaſe, und ſah über das ordnungsloſe Element dahin, mit einem Blicke, der halb dem verachtenden, halb dem erbarmenden Mitleid angehörte. End¬ lich gewann das Erbarmen die Oberhand, er ſprang auf, und griff mit folgender Anſprache muthig an ſein Steuer. Meine Herren, rief er, da Sie ſämmtlich nach Deutſchland zurückkehren, ſo erlauben Sie mir ein Wort des Abſchiedes, denn wir ſehen uns in dieſem Falle wahrſcheinlich zum letzten Male heute. Nach dieſen Worten wiederholte er einen Zug aus ſeinem Glaſe, aber wenn je eine Kunſtpauſe wirkte, ſo that es dieſe. Es wurde plötzlich ſtille, man ſah ſich mit langen Geſichtern an, einige fingen zu lachen an. Dieſen Moment ergriff Benthal, er ſetzte ſein Glas ab, und lächelte

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/144>, abgerufen am 29.04.2024.