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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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meeting, zu veranstalten beschlossen. Die Zurüstungen zu diesem
Feste lagen bisher gänzlich ab von dem Kreise unseres Interesses; sie
zu verfolgen fanden wir uns ohne jede Veranlassung. Dieses camp¬
meeting
aber ist es, welches in unserer Aufmerksamkeit jetzt plötzlich
seinen unheilvollen Platz begehrt. Es rückte heran, es war da, und
erst indem die Sonne seines Tages aufgeht, reißt uns das Schicksal
unvorbereitet in seine Mitte.

Unvorbereitet -- nach der Ordnung jedes bekannten Naturgesetzes. Aber
Moorfeld spricht von einer Vorahnung, die zu merkwürdig scheint, als
daß wir den schmerzlichen Bericht jenes Ereignisses nicht mit ihr selbst
schon beginnen sollten.

Moorfeld erzählt:

....Tags vor dem camp-meeting hatte ich eine meiner melan¬
cholischen Visionen. Es war am hellen, heißen Mittage da sie mir
widerfuhr. Ich war früh morgens ausgeritten, den Tischler Rapp zu
besuchen, der einen kleinen Fieberanfall bekommen. Ich plauderte eine
gute Weile mit ihm, denn sein Zustand schien großentheils deprimirte
Gemüthsstimmung und die ganze Indication -- ein theilnehmendes Herz.
Die Sonne brannte schon ziemlich heiß, als ich ihn verließ. Ich wollte
hierauf zu Vater Ermar hinüberreiten, oder zum "Meier" wie er nach
westphälischem Landesbrauch sich gerne noch nennt. Der Weg war mir nicht
so geläufig, als von meiner eigenen Farm aus, ich hatte mich daher
bald verirrt. Die berühmte Herbstpracht des amerikanischen Waldes
beginnt schon und that das Ihrige, mich kreuz und quer herumzu¬
narren. Das Auge des Neulings schwelgt in einem Farben-Kaleidoscop,
wovon der Europäer schwer eine Vorstellung hat, -- das Gemüth
freilich klingt wenig mit. Die stille geschlossene Ruhe eines deutschen
Herbstwaldes ist mir lieber. Es ist ein rastloses Effecthaschen in
dieser Fülle von unvermischbaren Tinten, -- später scheint es sich zur
erklärten Musterkarte auswachsen zu wollen. Von dem grellen Ge¬
pränge sprang ich daher bald ab und vertiefte mich über eine Strophe,
die mir schon seit Tagen zu schaffen macht. Inzwischen knusperten in
den Wallnüssen Schaaren von Eichhörnchen rings um mich her: da
schoß ich bis zum letzten Pulverkorn darein. Endlich fing stomachus
an seine Spieluhr klingen zu lassen und auch Cäsar schaubte und
schnobberte wenigstens nach Wasser. Ich wäre herzlich froh gewesen

meeting, zu veranſtalten beſchloſſen. Die Zurüſtungen zu dieſem
Feſte lagen bisher gänzlich ab von dem Kreiſe unſeres Intereſſes; ſie
zu verfolgen fanden wir uns ohne jede Veranlaſſung. Dieſes camp¬
meeting
aber iſt es, welches in unſerer Aufmerkſamkeit jetzt plötzlich
ſeinen unheilvollen Platz begehrt. Es rückte heran, es war da, und
erſt indem die Sonne ſeines Tages aufgeht, reißt uns das Schickſal
unvorbereitet in ſeine Mitte.

Unvorbereitet — nach der Ordnung jedes bekannten Naturgeſetzes. Aber
Moorfeld ſpricht von einer Vorahnung, die zu merkwürdig ſcheint, als
daß wir den ſchmerzlichen Bericht jenes Ereigniſſes nicht mit ihr ſelbſt
ſchon beginnen ſollten.

Moorfeld erzählt:

....Tags vor dem camp-meeting hatte ich eine meiner melan¬
choliſchen Viſionen. Es war am hellen, heißen Mittage da ſie mir
widerfuhr. Ich war früh morgens ausgeritten, den Tiſchler Rapp zu
beſuchen, der einen kleinen Fieberanfall bekommen. Ich plauderte eine
gute Weile mit ihm, denn ſein Zuſtand ſchien großentheils deprimirte
Gemüthsſtimmung und die ganze Indication — ein theilnehmendes Herz.
Die Sonne brannte ſchon ziemlich heiß, als ich ihn verließ. Ich wollte
hierauf zu Vater Ermar hinüberreiten, oder zum „Meier“ wie er nach
weſtphäliſchem Landesbrauch ſich gerne noch nennt. Der Weg war mir nicht
ſo geläufig, als von meiner eigenen Farm aus, ich hatte mich daher
bald verirrt. Die berühmte Herbſtpracht des amerikaniſchen Waldes
beginnt ſchon und that das Ihrige, mich kreuz und quer herumzu¬
narren. Das Auge des Neulings ſchwelgt in einem Farben-Kaleidoſcop,
wovon der Europäer ſchwer eine Vorſtellung hat, — das Gemüth
freilich klingt wenig mit. Die ſtille geſchloſſene Ruhe eines deutſchen
Herbſtwaldes iſt mir lieber. Es iſt ein raſtloſes Effecthaſchen in
dieſer Fülle von unvermiſchbaren Tinten, — ſpäter ſcheint es ſich zur
erklärten Muſterkarte auswachſen zu wollen. Von dem grellen Ge¬
pränge ſprang ich daher bald ab und vertiefte mich über eine Strophe,
die mir ſchon ſeit Tagen zu ſchaffen macht. Inzwiſchen knusperten in
den Wallnüſſen Schaaren von Eichhörnchen rings um mich her: da
ſchoß ich bis zum letzten Pulverkorn darein. Endlich fing stomachus
an ſeine Spieluhr klingen zu laſſen und auch Cäſar ſchaubte und
ſchnobberte wenigſtens nach Waſſer. Ich wäre herzlich froh geweſen

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[374/0392] meeting, zu veranſtalten beſchloſſen. Die Zurüſtungen zu dieſem Feſte lagen bisher gänzlich ab von dem Kreiſe unſeres Intereſſes; ſie zu verfolgen fanden wir uns ohne jede Veranlaſſung. Dieſes camp¬ meeting aber iſt es, welches in unſerer Aufmerkſamkeit jetzt plötzlich ſeinen unheilvollen Platz begehrt. Es rückte heran, es war da, und erſt indem die Sonne ſeines Tages aufgeht, reißt uns das Schickſal unvorbereitet in ſeine Mitte. Unvorbereitet — nach der Ordnung jedes bekannten Naturgeſetzes. Aber Moorfeld ſpricht von einer Vorahnung, die zu merkwürdig ſcheint, als daß wir den ſchmerzlichen Bericht jenes Ereigniſſes nicht mit ihr ſelbſt ſchon beginnen ſollten. Moorfeld erzählt: ....Tags vor dem camp-meeting hatte ich eine meiner melan¬ choliſchen Viſionen. Es war am hellen, heißen Mittage da ſie mir widerfuhr. Ich war früh morgens ausgeritten, den Tiſchler Rapp zu beſuchen, der einen kleinen Fieberanfall bekommen. Ich plauderte eine gute Weile mit ihm, denn ſein Zuſtand ſchien großentheils deprimirte Gemüthsſtimmung und die ganze Indication — ein theilnehmendes Herz. Die Sonne brannte ſchon ziemlich heiß, als ich ihn verließ. Ich wollte hierauf zu Vater Ermar hinüberreiten, oder zum „Meier“ wie er nach weſtphäliſchem Landesbrauch ſich gerne noch nennt. Der Weg war mir nicht ſo geläufig, als von meiner eigenen Farm aus, ich hatte mich daher bald verirrt. Die berühmte Herbſtpracht des amerikaniſchen Waldes beginnt ſchon und that das Ihrige, mich kreuz und quer herumzu¬ narren. Das Auge des Neulings ſchwelgt in einem Farben-Kaleidoſcop, wovon der Europäer ſchwer eine Vorſtellung hat, — das Gemüth freilich klingt wenig mit. Die ſtille geſchloſſene Ruhe eines deutſchen Herbſtwaldes iſt mir lieber. Es iſt ein raſtloſes Effecthaſchen in dieſer Fülle von unvermiſchbaren Tinten, — ſpäter ſcheint es ſich zur erklärten Muſterkarte auswachſen zu wollen. Von dem grellen Ge¬ pränge ſprang ich daher bald ab und vertiefte mich über eine Strophe, die mir ſchon ſeit Tagen zu ſchaffen macht. Inzwiſchen knusperten in den Wallnüſſen Schaaren von Eichhörnchen rings um mich her: da ſchoß ich bis zum letzten Pulverkorn darein. Endlich fing stomachus an ſeine Spieluhr klingen zu laſſen und auch Cäſar ſchaubte und ſchnobberte wenigſtens nach Waſſer. Ich wäre herzlich froh geweſen

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/392>, abgerufen am 26.04.2024.