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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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ein Ziel meiner Irrfahrt zu finden. Ich spannte meine Aufmerk¬
samkeit nach allen Richtungen, umsonst. Tiefe unberührte Waldfremde
rings, -- keine Spur, kein Merkzeichen eines Menschen. Wäre ich
noch Herr eines Pulverkörnchens gewesen, so hätte ich's jetzt zu Noth¬
signalen verschossen; dagegen verführte mich lange Zeit eine hiesige
Spechtart, der wood-cock, der mit einem menschenähnlichen Klopfen
die Bäume behackt, und dessen Treiben ich selbst für Signale hielt.
So gerieth ich immer tiefer ins Waldöde. Einmal stand ich an
einer gräßlichen Stelle. Der Boden war bedeckt mit Gerippen von
Hornvieh; die Schädel der Thiere glotzten fürchterlich in allen Lagen
und Richtungen aus dem verworrenen Beinhaufen. Schaudernd starrte
ich das Räthsel dieses gespenstischen Bildes an, bis ich mich auf seine
Erklärung besann. Die Heerden überwintern bekanntlich im Freien
hier; aber in diesem aus Scandinavien und Italien zusammenge¬
backenen Clima erfriert das Vieh oft massenhaft in kalten Winter¬
nächten. Der Leichenanger solch einer verunglückten Heerde war's, der
mir da aufgestoßen.

Krankenbesuch -- Waldschattirung -- Gedicht -- Eichhörnchenjagd
-- Hunger -- gefallenes Vieh -- ich skizzire diese Scenerie, um
darzuthun, wie sehr ich mit meinem Sinnenleben am Aeußerlichen
betheiligt war, und nichts weniger als zur Schwärmerei aufgelegt.
Zuletzt brachte mich das Geläute einer weidenden Heerde wieder
auf die rechte Bahn. Sie weidete zwar nach Landesart frei im
Walde, aber indem ich ihren Spuren folgte, erreichte ich den Rand
desselben. Vor mir lag ein Ackerfeld, in der Ferne entdeckte ich eine
Hofstelle, doch konnte ich nicht erkennen, welche? Ich setzte mich
auf einen der niedergebrannten Baumstämme am Waldessaum und
ruhte aus.

Die Sonne stand im Zenith; es war die Panstunde. Der Himmel
glühte in einem grau-rostigen Dunst. Die Luft vor mir zitterte wie
über einem Kalkofen. Auf dem Acker knisterte das Stroh, als würde es
langsam geröstet. Der strohene Acker war ein häßlicher Anblick.
Indem man hier nur die Aehren absichelt, das Stroh aber stehen
läßt, so sieht sich das Besenfeld an, als hätten Buben die ganze
Ernte muthwillig geköpft und gemeuchelmordet. Später brennt man
das Stroh nieder und die Asche ist der einzige Dünger des Feldes.

25 *

ein Ziel meiner Irrfahrt zu finden. Ich ſpannte meine Aufmerk¬
ſamkeit nach allen Richtungen, umſonſt. Tiefe unberührte Waldfremde
rings, — keine Spur, kein Merkzeichen eines Menſchen. Wäre ich
noch Herr eines Pulverkörnchens geweſen, ſo hätte ich's jetzt zu Noth¬
ſignalen verſchoſſen; dagegen verführte mich lange Zeit eine hieſige
Spechtart, der wood-cock, der mit einem menſchenähnlichen Klopfen
die Bäume behackt, und deſſen Treiben ich ſelbſt für Signale hielt.
So gerieth ich immer tiefer ins Waldöde. Einmal ſtand ich an
einer gräßlichen Stelle. Der Boden war bedeckt mit Gerippen von
Hornvieh; die Schädel der Thiere glotzten fürchterlich in allen Lagen
und Richtungen aus dem verworrenen Beinhaufen. Schaudernd ſtarrte
ich das Räthſel dieſes geſpenſtiſchen Bildes an, bis ich mich auf ſeine
Erklärung beſann. Die Heerden überwintern bekanntlich im Freien
hier; aber in dieſem aus Scandinavien und Italien zuſammenge¬
backenen Clima erfriert das Vieh oft maſſenhaft in kalten Winter¬
nächten. Der Leichenanger ſolch einer verunglückten Heerde war's, der
mir da aufgeſtoßen.

Krankenbeſuch — Waldſchattirung — Gedicht — Eichhörnchenjagd
— Hunger — gefallenes Vieh — ich ſkizzire dieſe Scenerie, um
darzuthun, wie ſehr ich mit meinem Sinnenleben am Aeußerlichen
betheiligt war, und nichts weniger als zur Schwärmerei aufgelegt.
Zuletzt brachte mich das Geläute einer weidenden Heerde wieder
auf die rechte Bahn. Sie weidete zwar nach Landesart frei im
Walde, aber indem ich ihren Spuren folgte, erreichte ich den Rand
deſſelben. Vor mir lag ein Ackerfeld, in der Ferne entdeckte ich eine
Hofſtelle, doch konnte ich nicht erkennen, welche? Ich ſetzte mich
auf einen der niedergebrannten Baumſtämme am Waldesſaum und
ruhte aus.

Die Sonne ſtand im Zenith; es war die Panſtunde. Der Himmel
glühte in einem grau-roſtigen Dunſt. Die Luft vor mir zitterte wie
über einem Kalkofen. Auf dem Acker kniſterte das Stroh, als würde es
langſam geröſtet. Der ſtrohene Acker war ein häßlicher Anblick.
Indem man hier nur die Aehren abſichelt, das Stroh aber ſtehen
läßt, ſo ſieht ſich das Beſenfeld an, als hätten Buben die ganze
Ernte muthwillig geköpft und gemeuchelmordet. Später brennt man
das Stroh nieder und die Aſche iſt der einzige Dünger des Feldes.

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[375/0393] ein Ziel meiner Irrfahrt zu finden. Ich ſpannte meine Aufmerk¬ ſamkeit nach allen Richtungen, umſonſt. Tiefe unberührte Waldfremde rings, — keine Spur, kein Merkzeichen eines Menſchen. Wäre ich noch Herr eines Pulverkörnchens geweſen, ſo hätte ich's jetzt zu Noth¬ ſignalen verſchoſſen; dagegen verführte mich lange Zeit eine hieſige Spechtart, der wood-cock, der mit einem menſchenähnlichen Klopfen die Bäume behackt, und deſſen Treiben ich ſelbſt für Signale hielt. So gerieth ich immer tiefer ins Waldöde. Einmal ſtand ich an einer gräßlichen Stelle. Der Boden war bedeckt mit Gerippen von Hornvieh; die Schädel der Thiere glotzten fürchterlich in allen Lagen und Richtungen aus dem verworrenen Beinhaufen. Schaudernd ſtarrte ich das Räthſel dieſes geſpenſtiſchen Bildes an, bis ich mich auf ſeine Erklärung beſann. Die Heerden überwintern bekanntlich im Freien hier; aber in dieſem aus Scandinavien und Italien zuſammenge¬ backenen Clima erfriert das Vieh oft maſſenhaft in kalten Winter¬ nächten. Der Leichenanger ſolch einer verunglückten Heerde war's, der mir da aufgeſtoßen. Krankenbeſuch — Waldſchattirung — Gedicht — Eichhörnchenjagd — Hunger — gefallenes Vieh — ich ſkizzire dieſe Scenerie, um darzuthun, wie ſehr ich mit meinem Sinnenleben am Aeußerlichen betheiligt war, und nichts weniger als zur Schwärmerei aufgelegt. Zuletzt brachte mich das Geläute einer weidenden Heerde wieder auf die rechte Bahn. Sie weidete zwar nach Landesart frei im Walde, aber indem ich ihren Spuren folgte, erreichte ich den Rand deſſelben. Vor mir lag ein Ackerfeld, in der Ferne entdeckte ich eine Hofſtelle, doch konnte ich nicht erkennen, welche? Ich ſetzte mich auf einen der niedergebrannten Baumſtämme am Waldesſaum und ruhte aus. Die Sonne ſtand im Zenith; es war die Panſtunde. Der Himmel glühte in einem grau-roſtigen Dunſt. Die Luft vor mir zitterte wie über einem Kalkofen. Auf dem Acker kniſterte das Stroh, als würde es langſam geröſtet. Der ſtrohene Acker war ein häßlicher Anblick. Indem man hier nur die Aehren abſichelt, das Stroh aber ſtehen läßt, ſo ſieht ſich das Beſenfeld an, als hätten Buben die ganze Ernte muthwillig geköpft und gemeuchelmordet. Später brennt man das Stroh nieder und die Aſche iſt der einzige Dünger des Feldes. 25 *

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/393>, abgerufen am 07.05.2024.