Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

wäldler! -- Und der Dutchman mißhandelt seine Frau, wenn er sie
nicht zur Lady travestirt.

Ich hatte also, diesem Fuhrwerk zur Seite reitend, die größte Aehn¬
lichkeit mit Don Quixotte, indem er eine seiner sonderbaren Herzo¬
ginnen begleitet. Dieses Bild war mir willkommen und ich malte
mir's weiter aus, um von der Heiterkeit desselben zu profitiren. Mein
Meier hatte unterdessen heiligere Gedanken. Während der Knecht
(ich sehe ab von dem hiesigen Euphemismus "hand" --), während der
Knecht kutschirte, machte der Meier Miene, das Gesangbuch aufzu¬
schlagen, und einen biblischen Psalm anzustimmen. Ich gestehe, daß
mich diese Aussicht wenig erquickte. Glücklicherweise war Annette zu
lebhaft. Sie war ganz Kind. Alles kam ihr neu vor, ich mußte
durchaus jedes Stämmchen und Zweiglein für ein Wunder erklären.
Wie gerne that ich's! Entrannen wir wenigstens dem Morgensegen,
nach welchem Vater Ermar lechzte, wie nach einem guten Schluck.
Was für ein prächtiges Morgenlied sein eigenes Kind war, fühlte er
nicht. Leider dauerte mein Feld- und Waldduett mit dem kleinen
Mädchen nicht lange. Die Andacht ereilte uns doch. Ein Wagen
mit Männern, Frauen und Kindern kam in unsern Fahrweg eingelenkt
und alle überraschten aus vollen Kehlen ihren lieben Gott mit einem
Frühgesang, wobei es mir merkwürdig blieb, daß die Pferde nicht
scheuchten davor. Zwischen eine spielende Batterie und dieses Geheul
gestellt, hätte ich jedenfalls bei den Kartätschen Sicherheit gesucht. Wie
wenig kann man sich doch das höchste Wesen nach dem menschlichen
Bilde vorstellen, wenn ein amerikanischer Chor im Himmel angenehm
klingt! Das ganze Volk hat keine einzige musikalische Note in seiner
Kehle. Daß sich diese Sangeslust nun unfehlbar unserm Wagen mit¬
theilen würde, war ein Gedanke, der mich sehr beunruhigte. Ich ließ
dem Cäsar die Zügel und erwartete mein Schicksal. Auf einmal
galloppirte es seitwärts zum Walde heraus, ein Kerl kam zum Vor¬
schein mit aufgestreckten Hemdärmeln und einem kupfernen Kessel als
Sonnenschirm über'm Kopf, -- nie saß was Tolleres zu Pferde, selbst
den Barbier mit Mambrin's Helm nicht ausgenommen. Der Bursche
hatte kaum den singenden Wagen wahrgenommen, als er den Vor¬
sänger mit heller Stimme anrief: He Jones, sing' gegen den Wind,
daß Niemand merkt, wie viel Maisbranntwein heute schon den Weg

wäldler! — Und der Dutchman mißhandelt ſeine Frau, wenn er ſie
nicht zur Lady traveſtirt.

Ich hatte alſo, dieſem Fuhrwerk zur Seite reitend, die größte Aehn¬
lichkeit mit Don Quixotte, indem er eine ſeiner ſonderbaren Herzo¬
ginnen begleitet. Dieſes Bild war mir willkommen und ich malte
mir's weiter aus, um von der Heiterkeit deſſelben zu profitiren. Mein
Meier hatte unterdeſſen heiligere Gedanken. Während der Knecht
(ich ſehe ab von dem hieſigen Euphemismus „hand“ —), während der
Knecht kutſchirte, machte der Meier Miene, das Geſangbuch aufzu¬
ſchlagen, und einen bibliſchen Pſalm anzuſtimmen. Ich geſtehe, daß
mich dieſe Ausſicht wenig erquickte. Glücklicherweiſe war Annette zu
lebhaft. Sie war ganz Kind. Alles kam ihr neu vor, ich mußte
durchaus jedes Stämmchen und Zweiglein für ein Wunder erklären.
Wie gerne that ich's! Entrannen wir wenigſtens dem Morgenſegen,
nach welchem Vater Ermar lechzte, wie nach einem guten Schluck.
Was für ein prächtiges Morgenlied ſein eigenes Kind war, fühlte er
nicht. Leider dauerte mein Feld- und Waldduett mit dem kleinen
Mädchen nicht lange. Die Andacht ereilte uns doch. Ein Wagen
mit Männern, Frauen und Kindern kam in unſern Fahrweg eingelenkt
und alle überraſchten aus vollen Kehlen ihren lieben Gott mit einem
Frühgeſang, wobei es mir merkwürdig blieb, daß die Pferde nicht
ſcheuchten davor. Zwiſchen eine ſpielende Batterie und dieſes Geheul
geſtellt, hätte ich jedenfalls bei den Kartätſchen Sicherheit geſucht. Wie
wenig kann man ſich doch das höchſte Weſen nach dem menſchlichen
Bilde vorſtellen, wenn ein amerikaniſcher Chor im Himmel angenehm
klingt! Das ganze Volk hat keine einzige muſikaliſche Note in ſeiner
Kehle. Daß ſich dieſe Sangesluſt nun unfehlbar unſerm Wagen mit¬
theilen würde, war ein Gedanke, der mich ſehr beunruhigte. Ich ließ
dem Cäſar die Zügel und erwartete mein Schickſal. Auf einmal
galloppirte es ſeitwärts zum Walde heraus, ein Kerl kam zum Vor¬
ſchein mit aufgeſtreckten Hemdärmeln und einem kupfernen Keſſel als
Sonnenſchirm über'm Kopf, — nie ſaß was Tolleres zu Pferde, ſelbſt
den Barbier mit Mambrin's Helm nicht ausgenommen. Der Burſche
hatte kaum den ſingenden Wagen wahrgenommen, als er den Vor¬
ſänger mit heller Stimme anrief: He Jones, ſing' gegen den Wind,
daß Niemand merkt, wie viel Maisbranntwein heute ſchon den Weg

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0397" n="379"/>
wäldler! &#x2014; Und der Dutchman mißhandelt &#x017F;eine Frau, wenn er &#x017F;ie<lb/>
nicht zur Lady trave&#x017F;tirt.</p><lb/>
          <p>Ich hatte al&#x017F;o, die&#x017F;em Fuhrwerk zur Seite reitend, die größte Aehn¬<lb/>
lichkeit mit Don Quixotte, indem er eine &#x017F;einer &#x017F;onderbaren Herzo¬<lb/>
ginnen begleitet. Die&#x017F;es Bild war mir willkommen und ich malte<lb/>
mir's weiter aus, um von der Heiterkeit de&#x017F;&#x017F;elben zu profitiren. Mein<lb/>
Meier hatte unterde&#x017F;&#x017F;en heiligere Gedanken. Während der <hi rendition="#g">Knecht</hi><lb/>
(ich &#x017F;ehe ab von dem hie&#x017F;igen Euphemismus <hi rendition="#aq">&#x201E;hand&#x201C;</hi> &#x2014;), während der<lb/>
Knecht kut&#x017F;chirte, machte der Meier Miene, das Ge&#x017F;angbuch aufzu¬<lb/>
&#x017F;chlagen, und einen bibli&#x017F;chen P&#x017F;alm anzu&#x017F;timmen. Ich ge&#x017F;tehe, daß<lb/>
mich die&#x017F;e Aus&#x017F;icht wenig erquickte. Glücklicherwei&#x017F;e war Annette zu<lb/>
lebhaft. Sie war ganz Kind. Alles kam ihr neu vor, ich mußte<lb/>
durchaus jedes Stämmchen und Zweiglein für ein Wunder erklären.<lb/>
Wie gerne that ich's! Entrannen wir wenig&#x017F;tens dem Morgen&#x017F;egen,<lb/>
nach welchem Vater Ermar lechzte, wie nach einem guten Schluck.<lb/>
Was für ein prächtiges Morgenlied &#x017F;ein eigenes Kind war, fühlte er<lb/>
nicht. Leider dauerte mein Feld- und Waldduett mit dem kleinen<lb/>
Mädchen nicht lange. Die Andacht ereilte uns doch. Ein Wagen<lb/>
mit Männern, Frauen und Kindern kam in un&#x017F;ern Fahrweg eingelenkt<lb/>
und alle überra&#x017F;chten aus vollen Kehlen ihren lieben Gott mit einem<lb/>
Frühge&#x017F;ang, wobei es mir merkwürdig blieb, daß die Pferde nicht<lb/>
&#x017F;cheuchten davor. Zwi&#x017F;chen eine &#x017F;pielende Batterie und die&#x017F;es Geheul<lb/>
ge&#x017F;tellt, hätte ich jedenfalls bei den Kartät&#x017F;chen Sicherheit ge&#x017F;ucht. Wie<lb/>
wenig kann man &#x017F;ich doch das höch&#x017F;te We&#x017F;en nach dem men&#x017F;chlichen<lb/>
Bilde vor&#x017F;tellen, wenn ein amerikani&#x017F;cher Chor im Himmel angenehm<lb/>
klingt! Das ganze Volk hat keine einzige mu&#x017F;ikali&#x017F;che Note in &#x017F;einer<lb/>
Kehle. Daß &#x017F;ich die&#x017F;e Sangeslu&#x017F;t nun unfehlbar un&#x017F;erm Wagen mit¬<lb/>
theilen würde, war ein Gedanke, der mich &#x017F;ehr beunruhigte. Ich ließ<lb/>
dem Cä&#x017F;ar die Zügel und erwartete mein Schick&#x017F;al. Auf einmal<lb/>
galloppirte es &#x017F;eitwärts zum Walde heraus, ein Kerl kam zum Vor¬<lb/>
&#x017F;chein mit aufge&#x017F;treckten Hemdärmeln und einem kupfernen Ke&#x017F;&#x017F;el als<lb/>
Sonnen&#x017F;chirm über'm Kopf, &#x2014; nie &#x017F;aß was Tolleres zu Pferde, &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den Barbier mit Mambrin's Helm nicht ausgenommen. Der Bur&#x017F;che<lb/>
hatte kaum den &#x017F;ingenden Wagen wahrgenommen, als er den Vor¬<lb/>
&#x017F;änger mit heller Stimme anrief: He Jones, &#x017F;ing' gegen den Wind,<lb/>
daß Niemand merkt, wie viel Maisbranntwein heute &#x017F;chon den Weg<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[379/0397] wäldler! — Und der Dutchman mißhandelt ſeine Frau, wenn er ſie nicht zur Lady traveſtirt. Ich hatte alſo, dieſem Fuhrwerk zur Seite reitend, die größte Aehn¬ lichkeit mit Don Quixotte, indem er eine ſeiner ſonderbaren Herzo¬ ginnen begleitet. Dieſes Bild war mir willkommen und ich malte mir's weiter aus, um von der Heiterkeit deſſelben zu profitiren. Mein Meier hatte unterdeſſen heiligere Gedanken. Während der Knecht (ich ſehe ab von dem hieſigen Euphemismus „hand“ —), während der Knecht kutſchirte, machte der Meier Miene, das Geſangbuch aufzu¬ ſchlagen, und einen bibliſchen Pſalm anzuſtimmen. Ich geſtehe, daß mich dieſe Ausſicht wenig erquickte. Glücklicherweiſe war Annette zu lebhaft. Sie war ganz Kind. Alles kam ihr neu vor, ich mußte durchaus jedes Stämmchen und Zweiglein für ein Wunder erklären. Wie gerne that ich's! Entrannen wir wenigſtens dem Morgenſegen, nach welchem Vater Ermar lechzte, wie nach einem guten Schluck. Was für ein prächtiges Morgenlied ſein eigenes Kind war, fühlte er nicht. Leider dauerte mein Feld- und Waldduett mit dem kleinen Mädchen nicht lange. Die Andacht ereilte uns doch. Ein Wagen mit Männern, Frauen und Kindern kam in unſern Fahrweg eingelenkt und alle überraſchten aus vollen Kehlen ihren lieben Gott mit einem Frühgeſang, wobei es mir merkwürdig blieb, daß die Pferde nicht ſcheuchten davor. Zwiſchen eine ſpielende Batterie und dieſes Geheul geſtellt, hätte ich jedenfalls bei den Kartätſchen Sicherheit geſucht. Wie wenig kann man ſich doch das höchſte Weſen nach dem menſchlichen Bilde vorſtellen, wenn ein amerikaniſcher Chor im Himmel angenehm klingt! Das ganze Volk hat keine einzige muſikaliſche Note in ſeiner Kehle. Daß ſich dieſe Sangesluſt nun unfehlbar unſerm Wagen mit¬ theilen würde, war ein Gedanke, der mich ſehr beunruhigte. Ich ließ dem Cäſar die Zügel und erwartete mein Schickſal. Auf einmal galloppirte es ſeitwärts zum Walde heraus, ein Kerl kam zum Vor¬ ſchein mit aufgeſtreckten Hemdärmeln und einem kupfernen Keſſel als Sonnenſchirm über'm Kopf, — nie ſaß was Tolleres zu Pferde, ſelbſt den Barbier mit Mambrin's Helm nicht ausgenommen. Der Burſche hatte kaum den ſingenden Wagen wahrgenommen, als er den Vor¬ ſänger mit heller Stimme anrief: He Jones, ſing' gegen den Wind, daß Niemand merkt, wie viel Maisbranntwein heute ſchon den Weg

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/397
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/397>, abgerufen am 13.05.2024.