Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

deiner Nieren ging. Der Spötter war eine jener verwegenen Rowdy¬
gestalten, und bezog das camp-meeting offenbar als Scandalmacher
und Boxer. Für diesesmal unterblieb aber noch ein Hahnenkampf
zwischen dem Herausforderer und dem Geforderten, wahrscheinlich der
Ladies wegen, welche bereits Zion und Israel um Gnade ankreischten.
Der Beleidigte begnügte sich damit, daß er zu unserm Wagen herüber¬
rief: Nathanael Cutter spricht nur mit seinen Pferden die Wahrheit,
mit den Menschen nie. Nathanael aber machte sich an uns und er¬
zählte uns, wie jener psalmsingende Wagenlenker, ein eifriges Mitglied
der Mäßigkeitspropaganda, nichts so sehr liebe als ein volles Whiskey¬
glas, das bei gehöriger Tiefe die entsprechende Breite habe. Jüngst
sei ihm ein artiges Abenteuer passirt. Der Mann unterhalte ein
Croceryshop auf seinem Farm, das er natürlich mit einem Schilde
versehen habe: Hier werden keine Spirituosen verkauft. Nun war es
aber Nacht, das Schild nicht mehr zu lesen, oder vielleicht schon ein¬
gezogen, kurz, ein später Wanderer hält mit seinem Wagen vor dem
Laden und fordert in aller Unschuld ein Quart Whiskey. Der Fromme
war in einiger Verlegenheit. Er führte allerdings Whiskey, aber nur
für sich selbst und seine guten Freunde; er sieht sich also den fremden
Kunden ein wenig bedächtig an. Dabei gerieth aber dieser in Ver¬
legenheit. Er steckte sich, um dem Mantel der Nacht unter die Arme
zu greifen, möglichst tief in seinen eigenen, und drehte sich mit der
allergeringsten Fläche dem Inhaber des geforderten Labsals zu. Trotz¬
dem erkannte ihn dieser, denn der Fremde war Ehrn Joe Johnson,
der Mäßigkeitsmissionär des dasigen Townships, derselbe, der den
Farmer sogar persönlich affiliirt hatte. Bei so bewandten Umständen
wurde das Quart Whiskey mit aller Discretion verabreicht, und eben
so schweigsam genossen, die beiden Frommen verloren kein Wort über
ihr erkanntes Incognito und am hellen Tage im Missionshause be¬
glückwünschen sie sich als die auserwählten Kinder dieser gottlosen
Welt. -- Mit dieser Schnurre galloppirte der Spottvogel wieder von
dannen, der singende Wagen aber hatte schamvoll einen Seitenweg
eingeschlagen und ließ noch lauter als zuvor seine Lungen arbeiten. --
Der Waldweg wurde inzwischen immer lebhafter. Von allen Seiten
kamen Farmer von ihren einsamen Hofstellen herangefahren, hielten
aber nie dauernd unsere Richtung ein, denn Jeder schlug sich nach

deiner Nieren ging. Der Spötter war eine jener verwegenen Rowdy¬
geſtalten, und bezog das camp-meeting offenbar als Scandalmacher
und Boxer. Für dieſesmal unterblieb aber noch ein Hahnenkampf
zwiſchen dem Herausforderer und dem Geforderten, wahrſcheinlich der
Ladies wegen, welche bereits Zion und Israel um Gnade ankreiſchten.
Der Beleidigte begnügte ſich damit, daß er zu unſerm Wagen herüber¬
rief: Nathanael Cutter ſpricht nur mit ſeinen Pferden die Wahrheit,
mit den Menſchen nie. Nathanael aber machte ſich an uns und er¬
zählte uns, wie jener pſalmſingende Wagenlenker, ein eifriges Mitglied
der Mäßigkeitspropaganda, nichts ſo ſehr liebe als ein volles Whiskey¬
glas, das bei gehöriger Tiefe die entſprechende Breite habe. Jüngſt
ſei ihm ein artiges Abenteuer paſſirt. Der Mann unterhalte ein
Croceryshop auf ſeinem Farm, das er natürlich mit einem Schilde
verſehen habe: Hier werden keine Spirituoſen verkauft. Nun war es
aber Nacht, das Schild nicht mehr zu leſen, oder vielleicht ſchon ein¬
gezogen, kurz, ein ſpäter Wanderer hält mit ſeinem Wagen vor dem
Laden und fordert in aller Unſchuld ein Quart Whiskey. Der Fromme
war in einiger Verlegenheit. Er führte allerdings Whiskey, aber nur
für ſich ſelbſt und ſeine guten Freunde; er ſieht ſich alſo den fremden
Kunden ein wenig bedächtig an. Dabei gerieth aber dieſer in Ver¬
legenheit. Er ſteckte ſich, um dem Mantel der Nacht unter die Arme
zu greifen, möglichſt tief in ſeinen eigenen, und drehte ſich mit der
allergeringſten Fläche dem Inhaber des geforderten Labſals zu. Trotz¬
dem erkannte ihn dieſer, denn der Fremde war Ehrn Joe Johnſon,
der Mäßigkeitsmiſſionär des daſigen Townſhips, derſelbe, der den
Farmer ſogar perſönlich affiliirt hatte. Bei ſo bewandten Umſtänden
wurde das Quart Whiskey mit aller Discretion verabreicht, und eben
ſo ſchweigſam genoſſen, die beiden Frommen verloren kein Wort über
ihr erkanntes Incognito und am hellen Tage im Miſſionshauſe be¬
glückwünſchen ſie ſich als die auserwählten Kinder dieſer gottloſen
Welt. — Mit dieſer Schnurre galloppirte der Spottvogel wieder von
dannen, der ſingende Wagen aber hatte ſchamvoll einen Seitenweg
eingeſchlagen und ließ noch lauter als zuvor ſeine Lungen arbeiten. —
Der Waldweg wurde inzwiſchen immer lebhafter. Von allen Seiten
kamen Farmer von ihren einſamen Hofſtellen herangefahren, hielten
aber nie dauernd unſere Richtung ein, denn Jeder ſchlug ſich nach

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0398" n="380"/>
deiner Nieren ging. Der Spötter war eine jener verwegenen Rowdy¬<lb/>
ge&#x017F;talten, und bezog das <hi rendition="#aq">camp-meeting</hi> offenbar als Scandalmacher<lb/>
und Boxer. Für die&#x017F;esmal unterblieb aber noch ein Hahnenkampf<lb/>
zwi&#x017F;chen dem Herausforderer und dem Geforderten, wahr&#x017F;cheinlich der<lb/>
Ladies wegen, welche bereits Zion und Israel um Gnade ankrei&#x017F;chten.<lb/>
Der Beleidigte begnügte &#x017F;ich damit, daß er zu un&#x017F;erm Wagen herüber¬<lb/>
rief: Nathanael Cutter &#x017F;pricht nur mit &#x017F;einen Pferden die Wahrheit,<lb/>
mit den Men&#x017F;chen nie. Nathanael aber machte &#x017F;ich an uns und er¬<lb/>
zählte uns, wie jener p&#x017F;alm&#x017F;ingende Wagenlenker, ein eifriges Mitglied<lb/>
der Mäßigkeitspropaganda, nichts &#x017F;o &#x017F;ehr liebe als ein volles Whiskey¬<lb/>
glas, das bei gehöriger Tiefe die ent&#x017F;prechende Breite habe. Jüng&#x017F;t<lb/>
&#x017F;ei ihm ein artiges Abenteuer pa&#x017F;&#x017F;irt. Der Mann unterhalte ein<lb/><hi rendition="#aq">Croceryshop</hi> auf &#x017F;einem Farm, das er natürlich mit einem Schilde<lb/>
ver&#x017F;ehen habe: Hier werden keine Spirituo&#x017F;en verkauft. Nun war es<lb/>
aber Nacht, das Schild nicht mehr zu le&#x017F;en, oder vielleicht &#x017F;chon ein¬<lb/>
gezogen, kurz, ein &#x017F;päter Wanderer hält mit &#x017F;einem Wagen vor dem<lb/>
Laden und fordert in aller Un&#x017F;chuld ein Quart Whiskey. Der Fromme<lb/>
war in einiger Verlegenheit. Er führte allerdings Whiskey, aber nur<lb/>
für &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und &#x017F;eine guten Freunde; er &#x017F;ieht &#x017F;ich al&#x017F;o den fremden<lb/>
Kunden ein wenig bedächtig an. Dabei gerieth aber die&#x017F;er in Ver¬<lb/>
legenheit. Er &#x017F;teckte &#x017F;ich, um dem Mantel der Nacht unter die Arme<lb/>
zu greifen, möglich&#x017F;t tief in &#x017F;einen eigenen, und drehte &#x017F;ich mit der<lb/>
allergering&#x017F;ten Fläche dem Inhaber des geforderten Lab&#x017F;als zu. Trotz¬<lb/>
dem erkannte ihn die&#x017F;er, denn der Fremde war Ehrn Joe John&#x017F;on,<lb/>
der Mäßigkeitsmi&#x017F;&#x017F;ionär des da&#x017F;igen Town&#x017F;hips, der&#x017F;elbe, der den<lb/>
Farmer &#x017F;ogar per&#x017F;önlich affiliirt hatte. Bei &#x017F;o bewandten Um&#x017F;tänden<lb/>
wurde das Quart Whiskey mit aller Discretion verabreicht, und eben<lb/>
&#x017F;o &#x017F;chweig&#x017F;am geno&#x017F;&#x017F;en, die beiden Frommen verloren kein Wort über<lb/>
ihr erkanntes Incognito und am hellen Tage im Mi&#x017F;&#x017F;ionshau&#x017F;e be¬<lb/>
glückwün&#x017F;chen &#x017F;ie &#x017F;ich als die auserwählten Kinder die&#x017F;er gottlo&#x017F;en<lb/>
Welt. &#x2014; Mit die&#x017F;er Schnurre galloppirte der Spottvogel wieder von<lb/>
dannen, der &#x017F;ingende Wagen aber hatte &#x017F;chamvoll einen Seitenweg<lb/>
einge&#x017F;chlagen und ließ noch lauter als zuvor &#x017F;eine Lungen arbeiten. &#x2014;<lb/>
Der Waldweg wurde inzwi&#x017F;chen immer lebhafter. Von allen Seiten<lb/>
kamen Farmer von ihren ein&#x017F;amen Hof&#x017F;tellen herangefahren, hielten<lb/>
aber nie dauernd un&#x017F;ere Richtung ein, denn Jeder &#x017F;chlug &#x017F;ich nach<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[380/0398] deiner Nieren ging. Der Spötter war eine jener verwegenen Rowdy¬ geſtalten, und bezog das camp-meeting offenbar als Scandalmacher und Boxer. Für dieſesmal unterblieb aber noch ein Hahnenkampf zwiſchen dem Herausforderer und dem Geforderten, wahrſcheinlich der Ladies wegen, welche bereits Zion und Israel um Gnade ankreiſchten. Der Beleidigte begnügte ſich damit, daß er zu unſerm Wagen herüber¬ rief: Nathanael Cutter ſpricht nur mit ſeinen Pferden die Wahrheit, mit den Menſchen nie. Nathanael aber machte ſich an uns und er¬ zählte uns, wie jener pſalmſingende Wagenlenker, ein eifriges Mitglied der Mäßigkeitspropaganda, nichts ſo ſehr liebe als ein volles Whiskey¬ glas, das bei gehöriger Tiefe die entſprechende Breite habe. Jüngſt ſei ihm ein artiges Abenteuer paſſirt. Der Mann unterhalte ein Croceryshop auf ſeinem Farm, das er natürlich mit einem Schilde verſehen habe: Hier werden keine Spirituoſen verkauft. Nun war es aber Nacht, das Schild nicht mehr zu leſen, oder vielleicht ſchon ein¬ gezogen, kurz, ein ſpäter Wanderer hält mit ſeinem Wagen vor dem Laden und fordert in aller Unſchuld ein Quart Whiskey. Der Fromme war in einiger Verlegenheit. Er führte allerdings Whiskey, aber nur für ſich ſelbſt und ſeine guten Freunde; er ſieht ſich alſo den fremden Kunden ein wenig bedächtig an. Dabei gerieth aber dieſer in Ver¬ legenheit. Er ſteckte ſich, um dem Mantel der Nacht unter die Arme zu greifen, möglichſt tief in ſeinen eigenen, und drehte ſich mit der allergeringſten Fläche dem Inhaber des geforderten Labſals zu. Trotz¬ dem erkannte ihn dieſer, denn der Fremde war Ehrn Joe Johnſon, der Mäßigkeitsmiſſionär des daſigen Townſhips, derſelbe, der den Farmer ſogar perſönlich affiliirt hatte. Bei ſo bewandten Umſtänden wurde das Quart Whiskey mit aller Discretion verabreicht, und eben ſo ſchweigſam genoſſen, die beiden Frommen verloren kein Wort über ihr erkanntes Incognito und am hellen Tage im Miſſionshauſe be¬ glückwünſchen ſie ſich als die auserwählten Kinder dieſer gottloſen Welt. — Mit dieſer Schnurre galloppirte der Spottvogel wieder von dannen, der ſingende Wagen aber hatte ſchamvoll einen Seitenweg eingeſchlagen und ließ noch lauter als zuvor ſeine Lungen arbeiten. — Der Waldweg wurde inzwiſchen immer lebhafter. Von allen Seiten kamen Farmer von ihren einſamen Hofſtellen herangefahren, hielten aber nie dauernd unſere Richtung ein, denn Jeder ſchlug ſich nach

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/398
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/398>, abgerufen am 12.05.2024.