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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Blässe ihres Antlitzes. War es eine Caprice, so war es auch -- eine
Wahl.

Cöleste hatte inzwischen die Fassung errungen, Moorfeld anzu¬
reden. Sie sprach ohne aufzublicken: Meine Mutter wird Ihnen ge¬
sagt haben, Herr Doctor, wir sehr es mich gefreut hätte, diesen Winter
einen Theil meines Bildungsweges mit Ihnen zurückzulegen. Meine
-- plötzliche Reise nach Europa bringt mich um diesen Gewinn.
Darf ich Sie jetzt bitten, mir ein Zeichen mitzugeben, das ich als
Denkmal -- selbst einer vereitelten Hoffnung noch werth halten werde?
Darf ich mir erlauben, Herr Doctor, Ihnen mein Gedenkbuch vor¬
zulegen?

Indem Moorfeld den Klang dieser Stimme wieder hörte, schauerte
sein ganzes Inneres zusammen. Mit Mühe stotterte er eine übliche
Formel der Bejahung. Cöleste holte das Buch. Moorfeld rückte an
den Tisch und versuchte zu schreiben. Aber seine Hand zitterte heftig.
Er setzte wiederholt an, -- es gelang nicht.

Ich bitte, mit dem Blatte nach Zeit und Muße zu verfügen --
sagte Cöleste -- wir reisen wahrscheinlich erst in vierzehn Tagen.

Verzeihung, Miß, ich schon morgen, war Moorfeld's Antwort.

Cöleste blickte erschrocken-fragend auf.

Moorfeld war nicht im Stande, ihren Blick zu ertragen. Er stand
auf und machte einige Schritte durchs Zimmer. Der Moment wäre
nicht zu bewältigen gewesen -- da fiel Moorfeld's Blick auf eine
Violine im untersten Fach des Glasschrankes. Es mochte jene monu¬
mentale Violine sein, welche Mr. Bennet zum Andenken an den er¬
sten amerikanischen Walzer aufbewahrte. Wie der Blitz auf seinen
Ableiter, so stürzte Moorfeld auf das Instrument. Er that ein paar
Probegriffe, dann fing er zu phantasiren an. Die Geige hatte einen
weiten großartigen Ton; der Spieler empfand sogleich ihren ganzen
Geist. Er begann einen breiten heroischen Satz, schwebend, wie aus¬
gebreitete Adlerflügel, hoch in der Höhe. Er zog Töne von hinreißen¬
der Beredsamkeit, es war Schmerz darin, aber der Schmerz eines
Demosthenes um die schönste Weltrepublik. Nicht lange declamirte er
so. Dieser erste, volle Trunk der musikalischen Seele gethan, schöpfte
sie gieriger, wilder. Bald hackten sich kurze, scharfschnäbliche Triolen
in die breite Prometheus-Brust des Eingangssatzes ein, und die ehr¬

Bläſſe ihres Antlitzes. War es eine Caprice, ſo war es auch — eine
Wahl.

Cöleſte hatte inzwiſchen die Faſſung errungen, Moorfeld anzu¬
reden. Sie ſprach ohne aufzublicken: Meine Mutter wird Ihnen ge¬
ſagt haben, Herr Doctor, wir ſehr es mich gefreut hätte, dieſen Winter
einen Theil meines Bildungsweges mit Ihnen zurückzulegen. Meine
— plötzliche Reiſe nach Europa bringt mich um dieſen Gewinn.
Darf ich Sie jetzt bitten, mir ein Zeichen mitzugeben, das ich als
Denkmal — ſelbſt einer vereitelten Hoffnung noch werth halten werde?
Darf ich mir erlauben, Herr Doctor, Ihnen mein Gedenkbuch vor¬
zulegen?

Indem Moorfeld den Klang dieſer Stimme wieder hörte, ſchauerte
ſein ganzes Inneres zuſammen. Mit Mühe ſtotterte er eine übliche
Formel der Bejahung. Cöleſte holte das Buch. Moorfeld rückte an
den Tiſch und verſuchte zu ſchreiben. Aber ſeine Hand zitterte heftig.
Er ſetzte wiederholt an, — es gelang nicht.

Ich bitte, mit dem Blatte nach Zeit und Muße zu verfügen —
ſagte Cöleſte — wir reiſen wahrſcheinlich erſt in vierzehn Tagen.

Verzeihung, Miß, ich ſchon morgen, war Moorfeld's Antwort.

Cöleſte blickte erſchrocken-fragend auf.

Moorfeld war nicht im Stande, ihren Blick zu ertragen. Er ſtand
auf und machte einige Schritte durchs Zimmer. Der Moment wäre
nicht zu bewältigen geweſen — da fiel Moorfeld's Blick auf eine
Violine im unterſten Fach des Glasſchrankes. Es mochte jene monu¬
mentale Violine ſein, welche Mr. Bennet zum Andenken an den er¬
ſten amerikaniſchen Walzer aufbewahrte. Wie der Blitz auf ſeinen
Ableiter, ſo ſtürzte Moorfeld auf das Inſtrument. Er that ein paar
Probegriffe, dann fing er zu phantaſiren an. Die Geige hatte einen
weiten großartigen Ton; der Spieler empfand ſogleich ihren ganzen
Geiſt. Er begann einen breiten heroiſchen Satz, ſchwebend, wie aus¬
gebreitete Adlerflügel, hoch in der Höhe. Er zog Töne von hinreißen¬
der Beredſamkeit, es war Schmerz darin, aber der Schmerz eines
Demoſthenes um die ſchönſte Weltrepublik. Nicht lange declamirte er
ſo. Dieſer erſte, volle Trunk der muſikaliſchen Seele gethan, ſchöpfte
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[493/0511] Bläſſe ihres Antlitzes. War es eine Caprice, ſo war es auch — eine Wahl. Cöleſte hatte inzwiſchen die Faſſung errungen, Moorfeld anzu¬ reden. Sie ſprach ohne aufzublicken: Meine Mutter wird Ihnen ge¬ ſagt haben, Herr Doctor, wir ſehr es mich gefreut hätte, dieſen Winter einen Theil meines Bildungsweges mit Ihnen zurückzulegen. Meine — plötzliche Reiſe nach Europa bringt mich um dieſen Gewinn. Darf ich Sie jetzt bitten, mir ein Zeichen mitzugeben, das ich als Denkmal — ſelbſt einer vereitelten Hoffnung noch werth halten werde? Darf ich mir erlauben, Herr Doctor, Ihnen mein Gedenkbuch vor¬ zulegen? Indem Moorfeld den Klang dieſer Stimme wieder hörte, ſchauerte ſein ganzes Inneres zuſammen. Mit Mühe ſtotterte er eine übliche Formel der Bejahung. Cöleſte holte das Buch. Moorfeld rückte an den Tiſch und verſuchte zu ſchreiben. Aber ſeine Hand zitterte heftig. Er ſetzte wiederholt an, — es gelang nicht. Ich bitte, mit dem Blatte nach Zeit und Muße zu verfügen — ſagte Cöleſte — wir reiſen wahrſcheinlich erſt in vierzehn Tagen. Verzeihung, Miß, ich ſchon morgen, war Moorfeld's Antwort. Cöleſte blickte erſchrocken-fragend auf. Moorfeld war nicht im Stande, ihren Blick zu ertragen. Er ſtand auf und machte einige Schritte durchs Zimmer. Der Moment wäre nicht zu bewältigen geweſen — da fiel Moorfeld's Blick auf eine Violine im unterſten Fach des Glasſchrankes. Es mochte jene monu¬ mentale Violine ſein, welche Mr. Bennet zum Andenken an den er¬ ſten amerikaniſchen Walzer aufbewahrte. Wie der Blitz auf ſeinen Ableiter, ſo ſtürzte Moorfeld auf das Inſtrument. Er that ein paar Probegriffe, dann fing er zu phantaſiren an. Die Geige hatte einen weiten großartigen Ton; der Spieler empfand ſogleich ihren ganzen Geiſt. Er begann einen breiten heroiſchen Satz, ſchwebend, wie aus¬ gebreitete Adlerflügel, hoch in der Höhe. Er zog Töne von hinreißen¬ der Beredſamkeit, es war Schmerz darin, aber der Schmerz eines Demoſthenes um die ſchönſte Weltrepublik. Nicht lange declamirte er ſo. Dieſer erſte, volle Trunk der muſikaliſchen Seele gethan, ſchöpfte ſie gieriger, wilder. Bald hackten ſich kurze, ſcharfſchnäbliche Triolen in die breite Prometheus-Bruſt des Eingangsſatzes ein, und die ehr¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/511>, abgerufen am 26.04.2024.